Arthur Schnitzler an Schönherr, 25. 2. 1927

Arthur Schnitzler an Schönherr.
Arthur Schnitzler schreibt:
Lieber und verehrter Karl Schönherr!
Gestatten Sie, daß ich mich zum heutigen Feste bescheiden mit zwei Anekdoten einstelle.
Vor ein paar Jahren fuhr ich nach Deutschland. Paßvisitation. Der Beamte, verständnis- und hochachtungsvoll: »Ah, ›Glaube und Heimat‹.« – Ich: »Leider nein. ›Glaube und Heimat‹ ist von Schönherr. Ich heiße A. S.« – Der Beamte, etwas unmutig, dann wieder gefaßt: »Also – doch!« Dies konnte ich freilich nicht leugnen.
Das habe ich Ihnen vielleicht schon erzählt. Nun aber lesen Sie, was mir heuer in Berlin vor wenigen Wochen passiert ist. Der Sekretär eines größeren Theaters läßt sich bei mir melden. Er ersucht mich im Namen der Direktion um Ueberlassung des »Reigen«. Ich lehne ab. Der Sekretär: »Vielleicht aber könnten wir etwas anderes vom Herrn Doktor aufführen.« – Ich: »Ich bitte um einen Vorschlag.« – Der Sekretär (nach einigem Nachdenken): »Vielleicht einen Zyklus Ihrer Stücke.« – Ich: »Man müßte doch mit einem anfangen. Bitte.« – Der Sekretär (nach noch längerem Nachsinnen): »Wie wäre es mit ›Volk in Not‹?« – Ich: »Das kann ich Ihnen leider nicht überlassen.« – Der Sekretär (etwas verletzt): »Warum?« – Ich: »Weil es nicht von mir, sondern von Schönherr ist.« – Der Sekretär: »Oh!« – Ich: »Vielleicht können Sie mir ein anderes Stück nennen?« – Er kannte keines – der Zyklist.
Nachdem diese beiden wörtlich wahren Geschichten mehr zu Ihrer Biographie, lieber Freund, gehören als zu meiner, fühle ich mich angenehm verpflichtet, sie Ihnen mitzuteilen.
Und benütze, als einer, der Ihnen mit Bewunderung und Sympathie von frühen Sonnwendtagen an in einen schönen und fruchtbaren Herbst gefolgt ist, die Gelegenheit, Ihnen zu Ihrem sechzigsten Geburtstag meine allerwärmsten Glückwünsche darzubringen.
Mit freundschaftlich herzlichen Grüßen
Ihr aufrichtig ergebener
Arthur Schnitzler m. p.