Von der Naturschutzparkbewegung
Das Verhältnis unseres heutigen Geschlechtes zur Natur ist ein anderes als das
unserer Väter und Vorväter. Unsere Ahnen lebten begreiflicherweise der Natur näher
als wir, und zwar einer ursprünglichen Natur, in der es noch Urwälder gab und
mächtige Naturereignisse. Dann wurde von Geschlecht zu Geschlecht mehr die Natur
unterjocht; die Wälder wurden umgerodet, die Flüsse eingedämmt: die Natur wurde
zivilisiert wie die Menschen selber. Heute sind wir so weit, daß kaum ein Fleckchen
deutscher Erde nicht bedroht ist von Straßen und Wegen, von Fabriken und sonstigen
Kulturanlagen. Selbst wo noch scheinbar unberührte Natur ist, in den Wäldern der
Ebene, in der Haide, in den Mooren, auf den Höhen der Berge, ist doch die
Pionierarbeit des Landmannes, des Försters dabei, die Ursprünglichkeit zu vernichten.
Gerade aber durch diese Entwicklung kommt die Menschheit vor neue Aufgaben der Natur
gegenüber.
Unser Jahrhundert, das auf so vielen Gebieten im Zeichen der Selbstbesinnung steht,
hat den Gedanken des Naturschutzes geboren, einen der liebenswertesten und
eindringlichsten unserer Zeit, der so recht geschaffen ist, uns ein neues tiefes
Gefühl zur Natur zu geben, ein Gefühl der Liebe und zwar der reifen Liebe, die mit
Verantwortungssinn verbunden ist. Darum wohl hat schon lange keine Bewegung so
schnell das Herz des deutschen Volkes gewonnen, wie die deutsche
Naturschutzparkbestrebung. Weil wir in Sommerszeit sind, da man in die Natur
hinausgeht und seine Naturliebe betätigt, ist es an der Ordnung, einmal von dieser
Bewegung zu sprechen. Wenn unseren Vorvätern die Natur ein schreckhaftes Gebiet war,
zu der sie in einem Kampfverhältnis standen, wenn unseren Vätern die Landschaft ein
freundlicher Garten geworden war, ein fruchtbares Ernteland: wir stehen vor neuen,
eindringlicheren Empfindungen, vor einer neuen Rückkehr zur Natur in einem noch
stärkeren Sinne als je zuvor. Die Natur ist uns nicht nur ein Garten der Erholung,
ein Nährboden für neue Kraft; sie ist uns für Leib und Seele wieder als der Quell unseres ganzen Lebens bewußt geworden.
Darum muß uns die Natur in ursprünglichem Zustande erhalten bleiben. Darum ist uns
die Naturschutzparkbewegung so wertvoll, weil sie noch rechtzeitig imstande ist, uns
solche unberührte Natur zu erhalten.
Als wir, einige wenige entschlossene Männer, vor etwa zwei Jahren in
München, den »
Verein
Naturschutzpark«, gründeten, der jetzt seinen Sitz in
Stuttgart hat, wagten wir allerdings nicht an so große und
schnelle Erfolge zu denken. Heute bin ich stolz darauf, Mitgründer zu sein, denn der
Verein umfaßt jetzt 14.000 Mitglieder, besitzt ein Vermögen von über 1 Million Mark,
besitzt 8000 preußische Morgen Land und ist im Begriff, einen noch größeren
Aufschwung zu nehmen.
Es sollen drei große Naturschutzparke geschaffen werden, in denen die Natur in
unverfälschtem Zustande erhalten bleibt, »ohne Nutzung, ohne Axt, ohne Schuß«.
Amerika hat sich bekanntlich schon solche Gebiete
gesichert, und neuerdings sind die
Schweiz und
Schweden nachgefolgt. Die drei deutschen Parke sind
geplant, einer im Tiefland, der andere im Mittelgebirge, der dritte im Hochgebirge.
Der Park in der Ebene liegt in der
Lüneburger
Haide und umfaßt eins der herrlichsten Stücke der ganzen Haide am
Wilseder Berg mit dem
Toten-Grund; dieser Park, von dem schon 20 Quadratkilometer erworben sind,
wird auf das Zehnfache abgerundet werden. Als Hochlandspark ist zunächst ein Gebiet
von etwa 40 Quadratkilometer in
Obersteiermark
gesichert, in den
Niedern Tauern, bei
Schladming, das der Unterzeichnete selber für den
Verein mitpachten half; auch dieses Gebiet soll weit größer abgerundet werden. Der
Mittelgebirgspark ist für
Bayern geplant, kann aber
erst nach dem gesicherten Ausbau der andern in Angriff genommen werden.
Alle Freunde der Natur unter den Mitgliedern der Lesegemeinde, die in der jetzigen
Sommerzeit auf ihren Reisen und Wanderungen und bei ihrem Ferienaufenthalt draußen
in
der Natur so recht den Segen der Natur empfinden, mögen dabei auch an den »
Verein Naturschutzpark« denken und etwas zum Gelingen
dieser großen kulturfördernden Bestrebungen beitragen.
Es mögen einige Stimmen bekannter Männer über die Bewegung folgen.
[…]
Die schöne Idee des Naturschutzparkes wird nirgends Gegner, kaum irgendwo
Gleichgiltige finden. Hier ist keinerlei Gelegenheit zu dem freundlichst gewünschten
»Aphorismus«, sondern nur zu einem sehr herzlichen Ja.
Arthur Schnitzler.