Von der Naturschutzparkbewegung, 20. 7. 1912

Von der Naturschutzparkbewegung
Das Verhältnis unseres heutigen Geschlechtes zur Natur ist ein anderes als das unserer Väter und Vorväter. Unsere Ahnen lebten begreiflicherweise der Natur näher als wir, und zwar einer ursprünglichen Natur, in der es noch Urwälder gab und mächtige Naturereignisse. Dann wurde von Geschlecht zu Geschlecht mehr die Natur unterjocht; die Wälder wurden umgerodet, die Flüsse eingedämmt: die Natur wurde zivilisiert wie die Menschen selber. Heute sind wir so weit, daß kaum ein Fleckchen deutscher Erde nicht bedroht ist von Straßen und Wegen, von Fabriken und sonstigen Kulturanlagen. Selbst wo noch scheinbar unberührte Natur ist, in den Wäldern der Ebene, in der Haide, in den Mooren, auf den Höhen der Berge, ist doch die Pionierarbeit des Landmannes, des Försters dabei, die Ursprünglichkeit zu vernichten. Gerade aber durch diese Entwicklung kommt die Menschheit vor neue Aufgaben der Natur gegenüber.
Unser Jahrhundert, das auf so vielen Gebieten im Zeichen der Selbstbesinnung steht, hat den Gedanken des Naturschutzes geboren, einen der liebenswertesten und eindringlichsten unserer Zeit, der so recht geschaffen ist, uns ein neues tiefes Gefühl zur Natur zu geben, ein Gefühl der Liebe und zwar der reifen Liebe, die mit Verantwortungssinn verbunden ist. Darum wohl hat schon lange keine Bewegung so schnell das Herz des deutschen Volkes gewonnen, wie die deutsche Naturschutzparkbestrebung. Weil wir in Sommerszeit sind, da man in die Natur hinausgeht und seine Naturliebe betätigt, ist es an der Ordnung, einmal von dieser Bewegung zu sprechen. Wenn unseren Vorvätern die Natur ein schreckhaftes Gebiet war, zu der sie in einem Kampfverhältnis standen, wenn unseren Vätern die Landschaft ein freundlicher Garten geworden war, ein fruchtbares Ernteland: wir stehen vor neuen, eindringlicheren Empfindungen, vor einer neuen Rückkehr zur Natur in einem noch stärkeren Sinne als je zuvor. Die Natur ist uns nicht nur ein Garten der Erholung, ein Nährboden für neue Kraft; sie ist uns für Leib und Seele wieder als der Quell unseres ganzen Lebens bewußt geworden.
Darum muß uns die Natur in ursprünglichem Zustande erhalten bleiben. Darum ist uns die Naturschutzparkbewegung so wertvoll, weil sie noch rechtzeitig imstande ist, uns solche unberührte Natur zu erhalten.
Als wir, einige wenige entschlossene Männer, vor etwa zwei Jahren in München, den »Verein Naturschutzpark«, gründeten, der jetzt seinen Sitz in Stuttgart hat, wagten wir allerdings nicht an so große und schnelle Erfolge zu denken. Heute bin ich stolz darauf, Mitgründer zu sein, denn der Verein umfaßt jetzt 14.000 Mitglieder, besitzt ein Vermögen von über 1 Million Mark, besitzt 8000 preußische Morgen Land und ist im Begriff, einen noch größeren Aufschwung zu nehmen.
Es sollen drei große Naturschutzparke geschaffen werden, in denen die Natur in unverfälschtem Zustande erhalten bleibt, »ohne Nutzung, ohne Axt, ohne Schuß«. Amerika hat sich bekanntlich schon solche Gebiete gesichert, und neuerdings sind die Schweiz und Schweden nachgefolgt. Die drei deutschen Parke sind geplant, einer im Tiefland, der andere im Mittelgebirge, der dritte im Hochgebirge. Der Park in der Ebene liegt in der Lüneburger Haide und umfaßt eins der herrlichsten Stücke der ganzen Haide am Wilseder Berg mit dem Toten-Grund; dieser Park, von dem schon 20 Quadratkilometer erworben sind, wird auf das Zehnfache abgerundet werden. Als Hochlandspark ist zunächst ein Gebiet von etwa 40 Quadratkilometer in Obersteiermark gesichert, in den Niedern Tauern, bei Schladming, das der Unterzeichnete selber für den Verein mitpachten half; auch dieses Gebiet soll weit größer abgerundet werden. Der Mittelgebirgspark ist für Bayern geplant, kann aber erst nach dem gesicherten Ausbau der andern in Angriff genommen werden.
Alle Freunde der Natur unter den Mitgliedern der Lesegemeinde, die in der jetzigen Sommerzeit auf ihren Reisen und Wanderungen und bei ihrem Ferienaufenthalt draußen in der Natur so recht den Segen der Natur empfinden, mögen dabei auch an den »Verein Naturschutzpark« denken und etwas zum Gelingen dieser großen kulturfördernden Bestrebungen beitragen.
Es mögen einige Stimmen bekannter Männer über die Bewegung folgen.
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Die schöne Idee des Naturschutzparkes wird nirgends Gegner, kaum irgendwo Gleichgiltige finden. Hier ist keinerlei Gelegenheit zu dem freundlichst gewünschten »Aphorismus«, sondern nur zu einem sehr herzlichen Ja.
Arthur Schnitzler.