Komödie der Irrungen
Von
Leo Feld.
Man erweist mir seit einiger Zeit die Ehre, mich mit
Artur Schnitzler zu verwechseln. Auf der Straße, im Theater, auf der
Elektrischen – es passiert mir fortwährend. Man spricht mich mit seinem Namen an,
man
grüßt, blickt, tuschelt, kurz man benimmt sich gegen mich, als ob ich der berühmte
Dichter der »
Liebelei« wäre.
Das ist eine Auszeichnung, vielleicht sogar eine Schmeichelei, aber sicherlich kein
Vergnügen. Wirklich nicht.
Es ist nicht angenehm, wenn man den Leuten immer wieder versichern muß, daß man nur
mit sich selbst identisch ist. Dieses »nur« ist besonders unsympathisch. Einem
Minister macht es vielleicht Spaß, wenn man ihn für seinen Hofrat hält. Aber der
Hofrat fährt unweigerlich zusammen, wenn ein schmeichlerisches »Exzellenz« seine
subalternen Ohren umflüstert.
Dabei ist es weder
Artur Schnitzler noch mir,
noch irgend jemandem, der uns genau kennt, jemals klar geworden, warum uns die Leute
verwechseln.
Schnitzler hat wundervolle blaue Augen, schönes, ach, noch so blondes Haar, ein ausgesprochen französisch
konturiertes Gesicht – es ist rätselhaft, daß sich die Leute da auf eine Aehnlichkeit
kaprizieren. Ich kann es mir nur mit dem begreiflichen Wunsche erklären, daß sie mit
einem Schnitzler nicht genug haben wollen.
Immerhin, bis vor kurzem konnte man sich solche Unfälle gefallen lassen. Sie waren
nicht gar so aufregend. Es war allerdings nicht sehr angenehm für den Dichter, wenn
er plötzlich von der
Volksoper angerufen wurde,
was er von der Direktion wünsche und er sich absolut nicht entsinnen konnte, jemals
etwas von ihr gewünscht zu haben. Er konnte freilich nicht wissen, daß ich in den
Vormittagsstunden desselben Tages den Direktor
Markowsky vergebens gesucht hatte, weil ich ihn für einen Freund
interessieren wollte. Noch verdrießlicher mag es ihm gewesen sein, als er eines Tages
aus
Schärding, einem lieben, verrunzelten
Städchen am
Inn, einen vorwurfsvollen Brief
erhielt, es sei nicht schön von ihm, daß er einmal in einen so weltfernen Winkel
verschlagen, für seine alten Freunde dort nicht eine Viertelstunde übrig habe. Was
wußte ich, als ich den einsamen Platz der Stadt durchquerte, daß mich hinter den
geschlossenen Fensterläden grollende Blicke verfolgten –!
Das waren noch harmlose Mißverständnisse. Die kann jeder halbwegs geübte Schwankautor
erfinden. Bedenklicher wurde es, als der Dichter selbst anfing, mich mit sich zu
verwechseln. Wenn er das Parkett eines Theaters betrat und mir mit einem höchst
erstaunten Lächeln die Hand gab: »Oh, ich bin schon da? Das hab' ich gar nicht
gewußt.« Oder, wenn ich ihm auf der Elektrischen meinen Platz respektvoll abtreten
wollte und er mit wohlwollender Logik ablehnte: »Ob Sie oder ich sitzen, das ist doch
ganz egal.«
Es gibt eine reizende
Novelle aus dem Quattrocento, die einen verwegenen Künstlerstreich schildert. Ein paar übermütige junge
Leute wollen einem braven Holzschnitzer einreden, er sei ein anderer; er sei nicht
er
selbst. Sie tun das mit einem so systematischen Raffinement, daß der arme Teufel ganz
verwirrt wird. Er wehrt sich und wehrt sich –
Ich wehre mich auch. Ich lasse mir nicht einreden, daß ich nicht mehr ich bin. Das
sind Grundtatsachen des Lebens, von denen sich ein ordentlicher Mensch nicht loslösen
will. Es ist ja sehr unklug, gewiß, es ist entschieden viel vorteilhafter,
Artur Schnitzler zu sein – aber in solchen
Dingen ist man nun einmal unverständig konservativ. Obwohl es einem manchmal wirklich
schwer gemacht wird, noch an seine eigene Existenz zu glauben.
Vor einigen Wochen erhielt ich von
Artur
Schnitzler einen Brief. Seinem Blatt lag ein zierliches Kuvert bei, das die
Visitenkarte einer Dame umschloß. Das Kuvert trug die genaue Adresse des Dichters:
Herrn Dr.
Artur Schnitzler,
Wien, etc., etc.; und auf der Karte stand unter dem Namen der
Dame mit sehr deutlichen und unableugbaren Buchstaben: . . .
bittet Herrn Dr. Leo Feld um ein Autogramm.
Als ich das las, begann mein Hirn sich etwas zu drehen. Eine Bitte an
Artur Schnitzler, die an mich um ein Autogramm
gerichtet war –? Die Welt ist doch noch schwerer zu erklären, als die Philosophen
meinen.
Und bei diesem Billett lag ein ebenso ratloses Blatt des Dichters:
Lieber Doktor Feld!
Das – geht denn doch schon zu weit. Bin ich ein Pseudonym von Ihnen
oder Sie von mir?
Herzlichst Ihr
Artur
Schnitzler.
Ich gestehe, daß ich vor diesem Problem ganz hilflos war. Ungefähr wie der Held der
Renaissancenovelle, der die
Schlinge immer näher um seinen Hals fühlt.
Und dann mit dem Aufgebot eines fabelhaften Scharfsinns und eines grandiosen
Erinnerungsvermögens kombinierte ich:
Ich hatte auf einer Redoute einer Dame, die mich als
Artur Schnitzler ansprach, gewissenhaft meinen Namen genannt.
Selbstverständlich sogleich und sehr bußfertig. Sie hatte diese Selbstbescheidung
lächelnd entgegengenommen und sich auch mit dieser zweiten Besetzung zufrieden
gegeben. Anscheinend. Aber nun schickte sie dem Dichter diese Karte, die ihm sagen
sollte: Ich bin ja doch nicht so dumm, wie Du meinst, und den Schwindel mit dem Herrn
Dr. L. F. glaube ich Dir nicht, mein Lieber. . .
Was soll man machen, wenn die Leute so witzig sind? Oder vielmehr, nein: meine
Existenz scheint sich in einen Witz zu sublimieren. Denn wenn es wahr ist, wie es
Raoul Auernheimer einmal so hübsch formulierte,
daß der Witz eine Wahrheit ist, die man
gerade in diesem Augenblick nicht erwartete – – du lieber Gott, ich fange an, eine höchst
unerwartete Wahrheit zu werden! Eine wirklich witzige Wahrheit. Denn ich bin
unwahrscheinlich und wirklich zugleich.
Die Sache beginnt sehr, sehr peinlich zu werden. Es gibt Situationen, in denen man
den Kopf verlieren kann. Nach einer Premiere trat ich neulich mit einem befreundeten
Schauspieler aus dem Bühnentürl des
Deutschen
Volkstheaters. Dort wartete, wie das bei Premieren so üblich ist, ein
stattliches Häuflein junger Enthusiasten. Als sie meiner ansichtig wurden, schrien
sie sofort unisono: »Hoch
Schnitzler!« Das war
mir doch zuviel. Ovationen einer begeisterten Menge zu empfangen, das grenzt an
Betrug. Und in meiner Erregung brüllte ich ziemlich unbesonnen: »Ich bin ja nicht
der
Schnitzler, ihr Trottel!« Jetzt erwartete
ich, gelyncht zu werden. Stattdessen sagte einer der Vordersten der offenbar über
seine Jahre gebildet war, seelenruhig: »Dös macht aa nix. Hoch Föld!«
Uebrigens der Unfug hat auch seine Vorteile. Oder vielmehr: er hätte sie. Denn bei
einer halbwegs merkantilen Veranlagung könnte ich ein glänzender
Schnitzler-Schieber werden. Ich finde, daß ich mir ein zwar
arbeitsloses aber ganz korrektes Einkommen leichtsinnig entgehen lasse.
Artur Schnitzler sollte mir eine sehr erhebliche
Rente aussetzen; denn sein persönliches Ansehen, sein Ruf und seine Schätzung in der
Stadt liegen in meinen Händen. Es ist gar nicht auszudenken, wie ich ihn
kompromittieren könnte! Zum Beispiel – und auch viel harmloser. Denn wenn ich mir
ein
Auto nehme, dann sagen die Leute: »Natürlich, der
Schnitzler! Bei den Auflagen seiner Bücher!« Und wenn ich meinen alten Hut
aufsetze, dann versichern sie: »Die Stücke vom
Schnitzler ziehen offenbar auch nicht mehr. Wenn man so einen Hut trägt
–!«
Aber, wie gesagt, mir fehlt jede großzügige Begabung. Ich bleibe ein kleiner
Unternehmer in
Schnitzler-Verwechslung und
dieser mesquine Betrieb rentiert sich absolut nicht. Offen gestanden, ich zahle drauf
dabei. Ich trage schwer am Kopf
Artur
Schnitzlers. Es ist eben kein Vergnügen, ein
Artur Schnitzler im übertragenen Wirkungskreis zu sein. Und ich kann mir
denken, daß man auf diesem Wege ein verärgerter und gehässiger Mensch wird. Nur hat
es mein Schicksal da doch gut mit mir gemeint. Vom Neid erlöst nur eins: die Liebe.
Und mit einem verehrten und lieben Meister verwechselt zu werden, hat auch manchmal
ein Schönes: man fühlt seine Nähe.