Berichtigung.
Ein paar Worte zum
Gutachten Maximilian Hardens über den »
Reigen«.
Von
Artur Schnitzler.
Niemals hat es mich sonderlich gelockt, auch wo ich einem Urteil, war es gut oder
böse, mit Interesse, dem Urteilenden, ob Freund oder Feind, mit Respekt, wie es
diesmal der Fall ist, gegenüberstehen durfte, mich in Diskussionen über Wert oder
Unwert meiner Arbeiten oder gar über meine ethischen Qualifikationen einzulassen.
Aber nicht nur müßig, sondern geradezu unwürdig erschiene es mir, mich und mein Werk
gegen unfaß- und ungreifbare Anschuldigungen verteidigen zu wollen, wie etwa die,
daß
ich »
einer Literatenplejade
angehöre, die von der Gunst einer ihr durch mancherlei Interessensträhne
verbündeten Rezensentenzunft mit Lob aufgepäppelt wurde«, – oder daß ich mich
»
in die Sucht verirrte, Wirkung,
die meine Kunst nicht zu erlangen vermöge, aus entlehntem, künstlich erhitztem
Erotenreiz zu erbrüten« und »
diesen Reiz klug nutzend mit Talentaufwand von dem anderer Stoff
noch nicht genießbar würde, einem großen Publikum den Gaumen kitzeln könne.«
Hätte
Maximilian Harden auch nur einen der
Rezensenten zu nennen gewußt, mit denen ich angeblich durch Interessensträhne
verbunden war oder bin und sich über die Art dieser Interessen mit genügender
Deutlichkeit auszusprechen beliebt; hätte er aus den zahlreichen Sachen, die ich
geschrieben, eine oder die andere herausgegriffen, mit der ich seiner Meinung nach
einem großen Publikum den Gaumen kitzeln wollte, – dann wäre es – ich will nicht
gerade sagen der Mühe wert, aber doch immerhin möglich gewesen, ihn im einzelnen zu
widerlegen. Wer sich aber ernsthaft in Positur stellt, um einen Lufthieb zu parieren,
der wäre in Gefahr, sich genau so lächerlich zu machen wie sein Gegner, dessen Degen,
sei es auch mit allerkühnstem Schwunge, am Ziel vorbei ins Leere gesaust ist.
Somit habe ich keinerlei Anlaß, mich mit dem
Gutachten Maximilian Hardens zu beschäftigen, soweit es
meine Person betrifft. Was zu berichtigen mir nötig scheint, ist die Darstellung,
die
Maximilian
Harden von dem inneren Verhältnis und dem äußeren Verhalten
Max Reinhardts gegenüber dem »
Reigen« gibt, und die aus unzureichender Kenntnis von Tatsachen und
offenbaren Mißverständnissen beruht. Zur endgültigen Aufklärung muß ich mehr um
Max Reinhardts als um meinetwillen in aller
Kürze mitteilen, wie meine Szenenreihe »
Reigen«,
die bekanntlich ursprünglich keineswegs zur Aufführung bestimmt war, mit meiner
ausdrücklichen Einwilligung auf die Bühne kam.
Nachdem im Laufe der Jahre von einzelnen
Schauspielern und Schauspielerinnen, später auch von Theaterdirektoren Anfragen und
Anträge an mich gelangt waren, die von mir durchaus abgelehnt wurden, erbat
Max Reinhardt im
November 1918 telegraphisch von mir das Aufführungsrecht des »
Reigen« für die
Kammerspiele. Ich konnte mich zu einer zustimmenden Antwort nicht gleich
entschließen, erklärte mich aber freiwillig bereit,
Max Reinhardt die Priorität zu wahren, was er dankend zur Kenntnis nahm.
Indessen traten immer neue, zum Teil recht erwägenswerte Anträge an mich heran; im
Januar 1919 lud mich der
Direktor eines namhaften
deutschen
Theaters zur bevorstehenden Uraufführung des »
Reigen« an seiner Bühne ein, so daß mir gerade noch Zeit
blieb, die schon für einen bestimmten Tag angesetzte Vorstellung zu inhibieren; aus
Rußland brachten zurückkehrende
Kriegsgefangene die Kunde von Aufführungen des »
Reigen« in einer Anzahl von
russischen
Städten; und so hatten, im Ausland vorerst, meine Dialoge ohne mein Dazutun und ohne
meine Zustimmung ihre theatralische Laufbahn begonnen. Trotz allen gesetzlich
gewährleisteten Schutzes schien es mir nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht ganz
außerhalb aller Möglichkeit zu liegen, daß am Ende auch irgendwo in deutschen Landen
eine widerrechtliche Aufführung stattfinden könne (mit einzelnen Szenen war das schon
in früheren rechtsklareren und rechtsbewußteren Zeiten der Fall gewesen); und diese
Erwägung war mit ein Grund, daß ich im
Frühjahr 1919 bei
Max Reinhardt anfragte, ob er eine öffentliche
Aufführung des »
Reigen« noch immer für opportun halte. Er antwortete mir am
19. April 1919: »Ich halte die
Aufführung Ihres Werkes künstlerisch nicht nur für opportun, sondern für unbedingt wünschenswert. Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß
bei den Gefahren, die in der Gegenständlichkeit des Stoffes liegen, das Werk in nicht
unkünstlerische und undelikate Hände kommt, die es der Sensationslust eines allzu
bereiten Publikums ausliefern könnten. Ich nehme aber bestimmt an, daß sich die
Bedenken durch eine
völlig sensationsfreie, reine künstlerische und diskrete Inszenierung überwinden
lassen.« Und weiterhin: »Je weniger Sie mich zeitlich festlegen, je mehr wächst für
mich die Möglichkeit unser beider Wünsche nach meiner Regie zu erfüllen. Sie dürfen
jedoch in jedem Fall versichert sein, daß ich aus den schon wiederholten Gründen mein
volles künstlerisches Interesse Ihrem Werk widmen werde und unbedingt dafür Sorge
trage, daß es auf dem höchsten künstlerischen Niveau herauskomme.«
Auf diese Zusicherungen hin schloß ich mit
Max
Reinhardt einen Vertrag, nach
welchem der »
Reigen« bis spätestens
31. Januar 1920 an einer seiner Bühnen zur Aufführung kommen sollte.
Der Termin wurde, wie das im Theaterleben zuweilen vorkommt, versäumt, eine kurze
Zeit hindurch schienen die politischen Verhältnisse für eine Aufführung des »
Reigen«, worüber ich mit
Reinhardt eines Sinnes war, nicht sehr günstig zu liegen, und
im
Frühjahr 1920 drang ein Gerücht zu mir, daß
Reinhardt mit einer anderen
Berliner Theaterdirektion verhandle, die den »
Reigen« in den
Kammerspielen zur Aufführung bringen solle. Auf mein Ersuchen um Aufklärung
wurde mir von
Reinhardt am
24.
April folgende Antwort zuteil: »Bezüglich des ›
Reigen‹ möchte ich Ihnen mitteilen, daß von mehreren Seiten
allerdings an mich herangetreten worden ist, das Werk freizugeben. Jede Unterhandlung
in der Richtung ist von vornherein von mir abgelehnt worden. Ich habe niemals daran
gedacht, dieses Stück einer andern Bühne zu überlassen. Ich habe immer an der Absicht
festgehalten, das Werk selbst zu inszenieren. Daran hat sich nichts geändert.«
So
Max Reinhardt.
Maximilian Harden aber weiß in seinem
Artikel folgendes zu berichten: »
Der mit der Verantwortlichkeit für
ein großes Heer Angestellter Bebürdete, von der Sorge für den über alles Erwarten
hinaus verteuerten Riesenbau des großen
Schauspielhauses bedrückte Künstler Max
Reinhardt war überredet worden,
sich das Aufführungsrecht für seine Kammerspielbühne zu sichern (›sonst erwirbt es morgen ein anderer‹),
stimmte mir aber sofort zu, als ich seiner Frage, ob die Aufführung mir ratsam
scheine, antwortete: ›Durch die Ausstellung von Akten, die den Beischlaf
vorbereiten, Geld zu verdienen, kann und muß Reinhardt anderen überlassen.‹ Er hat trotz mancher Schwierigkeit in der
Spielplangestaltung aus seinem Recht nicht Zins gezogen, die Koitusgespräche nicht
auf seine Bühne gebracht. Und er wäre vielleicht der einzige gewesen, dessen
Theatergenie ihnen ein szenisches Phantasiegewand von eigenem Kunstwert zu wirken
vermochte.«
Ich bedauere – vielleicht noch aufrichtiger als es
Maximilian Harden tut –, daß es zu dieser Regieleistung
Max Reinhardts nicht gekommen ist, bedauere es um so mehr,
als es mir kürzlich vergönnt war, einen Blick in das Regiebuch zu tun, das
zu entwerfen er begonnen hatte. Im
Sommer 1920 trat
Max Reinhardt bekanntlich von der Leitung seiner Theater
zurück.
Felix Holländer, sein Nachfolger,
übernahm mit anderen Verträgen auch den über den »
Reigen«, erbat in mündlicher
Unterredung mein Einverständnis, mein Lustspiel »
Die Schwestern« in den
Kammerspielen und den »
Reigen« als
»Ensemblegastspiel des Deutschen Theaters« (wie es im vorigen Jahr mit der »
Büchse der Pandora« der Fall gewesen sei) am
Kleinen Schauspielhaus zur Aufführung zu bringen,
das unter der Leitung von Frau
Eysoldt und
Direktor
Sladek stehe, und
Hubert Reusch, mir auch aus persönlicher Erfahrung als
vortrefflicher Regisseur bekannt, die Inszenierung anzuvertrauen. Die genannten Namen
boten genügende Garantie; ich nahm an. Alles übrige, Aufführung trotz Verbotes,
Aufhebung des Verbotes, gerichtliche und außergerichtliche Gutachten, all das ist
durch Zeitungsnachrichten ausreichend bekannt geworden, so daß ich mir Wiederholungen
ersparen darf.
Den Widerspruch aufzuklären zwischen dem, was in den Briefen
Reinhardts an mich zu lesen steht und dem, was
Maximilian Harden aus
Reinhardts Worten oder aus seinem Schweigen zu entnehmen
geglaubt hat, ist nicht meine Sache. Ebensowenig bedarf es der Versicherung, daß es keineswegs meine Absicht war,
durch diese Berichtigung einen Teil der Verantwortung für die Aufführung des »
Reigen« von meinen Schultern abzuwälzen Im
Augenblick, da ich meine Zustimmung erteilt habe, stehe ich in jeder Weise dafür ein
und hätte jede Verantwortung selbstverständlich auch dann mit dem größten Vergnügen
getragen, wenn das Resultat nicht so unwidersprechlich für
Max Reinhardts Auffassung zeugte: »daß die Bedenken gegen
eine Aufführung des ›Reigen‹ sich durch eine künstlerische und diskrete Inszenierung
überwinden ließen.«
Trotzdem bleibt es nach wie vor niemandem verwehrt, im »
Reigen« mit
Maximilian
Harden nichts anderes zu sehen als eine Reihe »
schon süßlich angeschimmelter, in jedem Sinn unplatonischer Gespräche über Lust und Leid
der Paarung«; jedem steht es auch weiterhin frei, das Experiment einer »
Reigen«-Aufführung, wie ich selbst es so lange
Jahre hindurch tat, für problematisch, ein gelungenes für mißglückt und sogar ein
behördlich approbiertes noch immer für strafwürdig zu erklären; ja ich bin fern
davon, jeden, der so denkt, für einen Philister und Dunkelmann und jeden, der für
das
Bühnenrecht des »
Reigen« eintritt, schon darum
für einen Kunstkenner und Freiheitskämpfer zu halten. Wogegen ich mich aber mit aller
Entschiedenheit verwahre, das ist der Versuch, gerade
Max Reinhardt, der als Erster meine eigene Meinung von der
Nichtaufführbarkeit des »
Reigen« ins Wanken
gebracht, meinen eigenen Bedenken gegenüber die Aufführung des »
Reigen« nicht nur für »künstlerisch opportun«, sondern für
»unbedingt wünschenswert« erklärt hat, als Eideshelfer gegen die künstlerische und
moralische Zulässigkeit eines Experiments anzurufen, als dessen geistiger Initiator
er in jedem Falle gelten muß – mögen auch äußere Umstände ihn verhindert haben, zu
denen ich nach
Reinhardts Briefen, die ich in
ihrer ganzen ausführlichen und überzeugenden Herzlichkeit hier nicht wiederholen
konnte, die Abmahnungen
Maximilian Hardens
keineswegs zu rechnen vermag – das Experiment, so wie er ursprünglich gesonnen war,
persönlich und als erster zu wagen.