Berichtigung. Ein paar Worte zum Gutachten Maximilian Hardens über den »Reigen«, 30. 1. 1921

Berichtigung.
Ein paar Worte zum Gutachten Maximilian Hardens über den »Reigen«.
Von
Artur Schnitzler.
Niemals hat es mich sonderlich gelockt, auch wo ich einem Urteil, war es gut oder böse, mit Interesse, dem Urteilenden, ob Freund oder Feind, mit Respekt, wie es diesmal der Fall ist, gegenüberstehen durfte, mich in Diskussionen über Wert oder Unwert meiner Arbeiten oder gar über meine ethischen Qualifikationen einzulassen. Aber nicht nur müßig, sondern geradezu unwürdig erschiene es mir, mich und mein Werk gegen unfaß- und ungreifbare Anschuldigungen verteidigen zu wollen, wie etwa die, daß ich »einer Literatenplejade angehöre, die von der Gunst einer ihr durch mancherlei Interessensträhne verbündeten Rezensentenzunft mit Lob aufgepäppelt wurde«, – oder daß ich mich »in die Sucht verirrte, Wirkung, die meine Kunst nicht zu erlangen vermöge, aus entlehntem, künstlich erhitztem Erotenreiz zu erbrüten« und »diesen Reiz klug nutzend mit Talentaufwand von dem anderer Stoff noch nicht genießbar würde, einem großen Publikum den Gaumen kitzeln könne.« Hätte Maximilian Harden auch nur einen der Rezensenten zu nennen gewußt, mit denen ich angeblich durch Interessensträhne verbunden war oder bin und sich über die Art dieser Interessen mit genügender Deutlichkeit auszusprechen beliebt; hätte er aus den zahlreichen Sachen, die ich geschrieben, eine oder die andere herausgegriffen, mit der ich seiner Meinung nach einem großen Publikum den Gaumen kitzeln wollte, – dann wäre es – ich will nicht gerade sagen der Mühe wert, aber doch immerhin möglich gewesen, ihn im einzelnen zu widerlegen. Wer sich aber ernsthaft in Positur stellt, um einen Lufthieb zu parieren, der wäre in Gefahr, sich genau so lächerlich zu machen wie sein Gegner, dessen Degen, sei es auch mit allerkühnstem Schwunge, am Ziel vorbei ins Leere gesaust ist.
Somit habe ich keinerlei Anlaß, mich mit dem Gutachten Maximilian Hardens zu beschäftigen, soweit es meine Person betrifft. Was zu berichtigen mir nötig scheint, ist die Darstellung, die Maximilian Harden von dem inneren Verhältnis und dem äußeren Verhalten Max Reinhardts gegenüber dem »Reigen« gibt, und die aus unzureichender Kenntnis von Tatsachen und offenbaren Mißverständnissen beruht. Zur endgültigen Aufklärung muß ich mehr um Max Reinhardts als um meinetwillen in aller Kürze mitteilen, wie meine Szenenreihe »Reigen«, die bekanntlich ursprünglich keineswegs zur Aufführung bestimmt war, mit meiner ausdrücklichen Einwilligung auf die Bühne kam.
Nachdem im Laufe der Jahre von einzelnen Schauspielern und Schauspielerinnen, später auch von Theaterdirektoren Anfragen und Anträge an mich gelangt waren, die von mir durchaus abgelehnt wurden, erbat Max Reinhardt im November 1918 telegraphisch von mir das Aufführungsrecht des »Reigen« für die Kammerspiele. Ich konnte mich zu einer zustimmenden Antwort nicht gleich entschließen, erklärte mich aber freiwillig bereit, Max Reinhardt die Priorität zu wahren, was er dankend zur Kenntnis nahm.
Indessen traten immer neue, zum Teil recht erwägenswerte Anträge an mich heran; im Januar 1919 lud mich der Direktor eines namhaften deutschen Theaters zur bevorstehenden Uraufführung des »Reigen« an seiner Bühne ein, so daß mir gerade noch Zeit blieb, die schon für einen bestimmten Tag angesetzte Vorstellung zu inhibieren; aus Rußland brachten zurückkehrende Kriegsgefangene die Kunde von Aufführungen des »Reigen« in einer Anzahl von russischen Städten; und so hatten, im Ausland vorerst, meine Dialoge ohne mein Dazutun und ohne meine Zustimmung ihre theatralische Laufbahn begonnen. Trotz allen gesetzlich gewährleisteten Schutzes schien es mir nach meinen bisherigen Erfahrungen nicht ganz außerhalb aller Möglichkeit zu liegen, daß am Ende auch irgendwo in deutschen Landen eine widerrechtliche Aufführung stattfinden könne (mit einzelnen Szenen war das schon in früheren rechtsklareren und rechtsbewußteren Zeiten der Fall gewesen); und diese Erwägung war mit ein Grund, daß ich im Frühjahr 1919 bei Max Reinhardt anfragte, ob er eine öffentliche Aufführung des »Reigen« noch immer für opportun halte. Er antwortete mir am 19. April 1919: »Ich halte die Aufführung Ihres Werkes künstlerisch nicht nur für opportun, sondern für unbedingt wünschenswert. Dabei ist allerdings Voraussetzung, daß bei den Gefahren, die in der Gegenständlichkeit des Stoffes liegen, das Werk in nicht unkünstlerische und undelikate Hände kommt, die es der Sensationslust eines allzu bereiten Publikums ausliefern könnten. Ich nehme aber bestimmt an, daß sich die Bedenken durch eine völlig sensationsfreie, reine künstlerische und diskrete Inszenierung überwinden lassen.« Und weiterhin: »Je weniger Sie mich zeitlich festlegen, je mehr wächst für mich die Möglichkeit unser beider Wünsche nach meiner Regie zu erfüllen. Sie dürfen jedoch in jedem Fall versichert sein, daß ich aus den schon wiederholten Gründen mein volles künstlerisches Interesse Ihrem Werk widmen werde und unbedingt dafür Sorge trage, daß es auf dem höchsten künstlerischen Niveau herauskomme.«
Auf diese Zusicherungen hin schloß ich mit Max Reinhardt einen Vertrag, nach welchem der »Reigen« bis spätestens 31. Januar 1920 an einer seiner Bühnen zur Aufführung kommen sollte. Der Termin wurde, wie das im Theaterleben zuweilen vorkommt, versäumt, eine kurze Zeit hindurch schienen die politischen Verhältnisse für eine Aufführung des »Reigen«, worüber ich mit Reinhardt eines Sinnes war, nicht sehr günstig zu liegen, und im Frühjahr 1920 drang ein Gerücht zu mir, daß Reinhardt mit einer anderen Berliner Theaterdirektion verhandle, die den »Reigen« in den Kammerspielen zur Aufführung bringen solle. Auf mein Ersuchen um Aufklärung wurde mir von Reinhardt am 24. April folgende Antwort zuteil: »Bezüglich des ›Reigen‹ möchte ich Ihnen mitteilen, daß von mehreren Seiten allerdings an mich herangetreten worden ist, das Werk freizugeben. Jede Unterhandlung in der Richtung ist von vornherein von mir abgelehnt worden. Ich habe niemals daran gedacht, dieses Stück einer andern Bühne zu überlassen. Ich habe immer an der Absicht festgehalten, das Werk selbst zu inszenieren. Daran hat sich nichts geändert.«
Ich bedauere – vielleicht noch aufrichtiger als es Maximilian Harden tut –, daß es zu dieser Regieleistung Max Reinhardts nicht gekommen ist, bedauere es um so mehr, als es mir kürzlich vergönnt war, einen Blick in das Regiebuch zu tun, das zu entwerfen er begonnen hatte. Im Sommer 1920 trat Max Reinhardt bekanntlich von der Leitung seiner Theater zurück. Felix Holländer, sein Nachfolger, übernahm mit anderen Verträgen auch den über den »Reigen«, erbat in mündlicher Unterredung mein Einverständnis, mein Lustspiel »Die Schwestern« in den Kammerspielen und den »Reigen« als »Ensemblegastspiel des Deutschen Theaters« (wie es im vorigen Jahr mit der »Büchse der Pandora« der Fall gewesen sei) am Kleinen Schauspielhaus zur Aufführung zu bringen, das unter der Leitung von Frau Eysoldt und Direktor Sladek stehe, und Hubert Reusch, mir auch aus persönlicher Erfahrung als vortrefflicher Regisseur bekannt, die Inszenierung anzuvertrauen. Die genannten Namen boten genügende Garantie; ich nahm an. Alles übrige, Aufführung trotz Verbotes, Aufhebung des Verbotes, gerichtliche und außergerichtliche Gutachten, all das ist durch Zeitungsnachrichten ausreichend bekannt geworden, so daß ich mir Wiederholungen ersparen darf.
Den Widerspruch aufzuklären zwischen dem, was in den Briefen Reinhardts an mich zu lesen steht und dem, was Maximilian Harden aus Reinhardts Worten oder aus seinem Schweigen zu entnehmen geglaubt hat, ist nicht meine Sache. Ebensowenig bedarf es der Versicherung, daß es keineswegs meine Absicht war, durch diese Berichtigung einen Teil der Verantwortung für die Aufführung des »Reigen« von meinen Schultern abzuwälzen Im Augenblick, da ich meine Zustimmung erteilt habe, stehe ich in jeder Weise dafür ein und hätte jede Verantwortung selbstverständlich auch dann mit dem größten Vergnügen getragen, wenn das Resultat nicht so unwidersprechlich für Max Reinhardts Auffassung zeugte: »daß die Bedenken gegen eine Aufführung des ›Reigen‹ sich durch eine künstlerische und diskrete Inszenierung überwinden ließen.«
Trotzdem bleibt es nach wie vor niemandem verwehrt, im »Reigen« mit Maximilian Harden nichts anderes zu sehen als eine Reihe »schon süßlich angeschimmelter, in jedem Sinn unplatonischer Gespräche über Lust und Leid der Paarung«; jedem steht es auch weiterhin frei, das Experiment einer »Reigen«-Aufführung, wie ich selbst es so lange Jahre hindurch tat, für problematisch, ein gelungenes für mißglückt und sogar ein behördlich approbiertes noch immer für strafwürdig zu erklären; ja ich bin fern davon, jeden, der so denkt, für einen Philister und Dunkelmann und jeden, der für das Bühnenrecht des »Reigen« eintritt, schon darum für einen Kunstkenner und Freiheitskämpfer zu halten. Wogegen ich mich aber mit aller Entschiedenheit verwahre, das ist der Versuch, gerade Max Reinhardt, der als Erster meine eigene Meinung von der Nichtaufführbarkeit des »Reigen« ins Wanken gebracht, meinen eigenen Bedenken gegenüber die Aufführung des »Reigen« nicht nur für »künstlerisch opportun«, sondern für »unbedingt wünschenswert« erklärt hat, als Eideshelfer gegen die künstlerische und moralische Zulässigkeit eines Experiments anzurufen, als dessen geistiger Initiator er in jedem Falle gelten muß – mögen auch äußere Umstände ihn verhindert haben, zu denen ich nach Reinhardts Briefen, die ich in ihrer ganzen ausführlichen und überzeugenden Herzlichkeit hier nicht wiederholen konnte, die Abmahnungen Maximilian Hardens keineswegs zu rechnen vermag – das Experiment, so wie er ursprünglich gesonnen war, persönlich und als erster zu wagen.