–sch [= Ludwig Basch]: Eine Begegnung mit Dr. Artur Schnitzler, 12. 2. 1921

Eine Begegnung mit Dr. Artur Schnitzler.
Was der Dichter des »Reigen« sagt
Heute Morgen hatte einer unserer Redakteure während eines Spazierganges im Währinger Cottage eine Begegnung mit Artur Schnitzler. Der vielumstrittene Dichter des »Reigen« rief: »Um Gotteswillen – kein Interview! Begleiten Sie mich in das Deutsche Volkstheater. Unterwegs wollen wir plaudern.«
Unser Vertreter machte den Dichter aufmerksam, es würde zur Beseitigung mancher Mißverständnisse beitragen, wenn einige autoritative Mitteilungen von berufener Seite – also vom Dichter selbst – erfolgten.
Dr. Schnitzler überlegte lange; dann sagte er: Ob »Reigen« auf die Bühne gehört, darüber kann man, darf man diskutieren – aus ästhetischen und dramaturgischen Gründen. Daß aber durch die Aufführung meines Werkes die Sittlichkeit verletzt wird – das ist ein Standpunkt, über den ernsthaft zu reden keine Möglichkeit besteht.
Es wäre vielleicht eine Möglichkeit darüber zu sprechen, wenn dieses – angeblich – beleidigte Sittlichkeitsgefühl auch bei anderen Gelegenheiten sich zeigen würde oder gezeigt hätte und zum mindesten den gleichen Anlaß zum Einschreiten geboten hätte.
Sache einer klugen, taktvollen Inszenierung ist es, auf der Bühne alles was anstößig wirken könnte, zu vermeiden, zu beseitigen.
Nun hat sich die Spielleitung in den Wiener Kammerspielen großen Taktes befleißigt. Kein Mensch wird die diskrete Inszenierung in den Kammerspielen leugnen können. Auch in Berlin, München, Leipzig und Hamburg, überall wo »Reigen« gespielt wurde, haben die Regisseure und die Schauspieler volle Diskretion gewahrt.
Es gibt Leute, die in aller Ehrlichkeit »Reigen« für unerlaubt halten, die aus innerer Ueberzeugung heraus mein Werk ablehnen. Ich achte diese Ueberzeugung, wie ich jede Ueberzeugung respektiere. Aber ich glaube nicht, daß die Leute zu den aufrichtigen Menschen gehören, die aus einer ästhetisch-dramaturgischen Frage, ein – Politikum machen.
Unser Vertreter wollte wissen, ob bei den weiteren Aufführungen von »Reigen« Striche vorgenommen werden.
Der Dichter antwortete in energischem Tone: »Nachdem ich mich einmal zur Aufführung entschlossen habe, wird nichts gestrichen. Keine Szene wird weggelassen und von einer Zurückziehung ist keine Rede. Gegen Regieänderungen habe ich indes nichts einzuwenden.«
Das Gespräch berührte auch die Entstehung des »Reigen«. »Die Dialoge wurden vor achtzehn Jahren geschrieben, sie sind ein Jugendwerk.«
Beim Abschiede sagte der Dichter: »Sie möchten noch einiges über die weitere Entwicklung der Angelegenheit erfahren? Lesen Sie meinen »Professor Bernhardi«!
Unser Vertreter: Meinen Sie, weil auch dort aus einer nichtpolitischen Angelegenheit ein Politikum gemacht wird?
Schnitzler: Und der Professor arbeitet weiter.  –sch.