Eine Begegnung mit Dr. Artur Schnitzler.
Was der Dichter des »
Reigen«
sagt
Heute Morgen hatte einer unserer Redakteure während eines Spazierganges im
Währinger
Cottage eine Begegnung mit
Artur Schnitzler. Der vielumstrittene Dichter des »
Reigen«
rief: »Um Gotteswillen – kein Interview! Begleiten Sie mich in das
Deutsche Volkstheater. Unterwegs wollen wir plaudern.«
Unser Vertreter machte den Dichter aufmerksam,
es würde zur Beseitigung mancher Mißverständnisse beitragen, wenn einige autoritative
Mitteilungen von berufener Seite – also vom Dichter selbst – erfolgten.
Dr.
Schnitzler überlegte lange; dann sagte er: Ob »
Reigen«
auf die Bühne gehört, darüber kann man, darf man diskutieren – aus ästhetischen und
dramaturgischen Gründen. Daß aber durch die Aufführung meines Werkes die Sittlichkeit
verletzt wird – das ist ein Standpunkt, über den ernsthaft zu reden keine Möglichkeit
besteht.
Es wäre vielleicht eine Möglichkeit darüber zu sprechen, wenn dieses – angeblich –
beleidigte Sittlichkeitsgefühl auch bei anderen Gelegenheiten sich zeigen würde oder
gezeigt hätte und zum mindesten den gleichen Anlaß zum Einschreiten geboten
hätte.
Sache einer klugen, taktvollen Inszenierung ist es, auf der Bühne alles was anstößig
wirken könnte, zu vermeiden, zu beseitigen.
Nun hat sich die Spielleitung in den
Wiener Kammerspielen großen Taktes
befleißigt. Kein Mensch wird die diskrete Inszenierung in den
Kammerspielen leugnen können. Auch in
Berlin,
München,
Leipzig und
Hamburg,
überall wo »
Reigen« gespielt wurde, haben die
Regisseure und die Schauspieler volle Diskretion gewahrt.
Es gibt Leute, die in aller Ehrlichkeit »
Reigen«
für unerlaubt halten, die
aus innerer Ueberzeugung heraus
mein Werk ablehnen. Ich achte diese Ueberzeugung, wie ich jede Ueberzeugung
respektiere. Aber ich glaube nicht, daß die Leute zu den aufrichtigen Menschen
gehören,
die aus einer ästhetisch-dramaturgischen Frage, ein –
Politikum machen.
Unser Vertreter wollte wissen, ob bei den
weiteren Aufführungen von »
Reigen« Striche
vorgenommen werden.
Der Dichter antwortete in energischem Tone: »Nachdem ich mich einmal zur Aufführung
entschlossen habe, wird nichts gestrichen. Keine Szene wird
weggelassen und von einer Zurückziehung ist keine Rede. Gegen Regieänderungen
habe ich indes nichts einzuwenden.«
Das Gespräch berührte auch die Entstehung des
»
Reigen«. »Die Dialoge wurden
vor achtzehn Jahren geschrieben, sie sind ein Jugendwerk.«
Beim Abschiede sagte der Dichter: »Sie möchten noch einiges über die weitere
Entwicklung der Angelegenheit erfahren? Lesen Sie meinen »
Professor Bernhardi«!
Unser Vertreter: Meinen Sie, weil auch dort aus einer
nichtpolitischen Angelegenheit ein Politikum gemacht wird?
Schnitzler: Und der Professor arbeitet weiter.
–sch.