A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 92

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Ferdinand. Nein! — ich habe leider nie Gelegenheit
und Zeit gehabt, es zu lernen.
Agnes. Ach Gott, Sie hätten schon Zeit — den ganzen
Tag practiciren Sie doch nicht.
Ferdinand. Jetzt ist's aber zu spät. Es würde mir
auch keine Freude machen. Diese Dinge muß man als ganz
junger Mensch anfangen. Und als ganz junger Mensch hab
ich eben andere Sachen zu thun gehabt. Ich habe mir mein
Leben nicht nach meinem Belieben einrichten können.
Agnes (altklag). Sehen Sie, Herr Doctor, meiner Ansicht
nach kann sich jeder Mensch das Leben so einrichten, wie
er will.
Emma. Was für ein Unsinn, mein Kind
Agnes. Gewissermaßen, mein' ich,
Ferdinand. Auch nicht „gewissermaßen", Fräulein
Agnes. Es kommt nicht nur auf die Anlagen an, sondern
auch auf die äußeren Umstände.
Agnes. Ist es Ihnen denn gar so schlecht gegangen?
Emma. Aber Kind!
Ferdinand. Oh, gnädige Frau, ich schäme mich nicht,
daß ich ein armer Teufel war.
Emma. Das weiß ich. Sie sind sogar stolz darauf
Agnes. Und Ihren Kindern werden Sie erzählen, daß
Sie mit zerrissenen Sohlen nach Wien gekommen sind.
Emma (lächelnd). Agnes!
Ferdinand. Was zufällig die Wahrheit sein könnte.
Betty. Das ist keine Schande.
Ferdinand. Besonders, wenn man allmählig doch zu
ganzen Schuhen gekommen ist.
Betty. Ich erinnere mich noch so genau an den Tag,
wo Sie das erste Mal bei uns waren und dem Hugo die erste
Lection gegeben haben.
Ferdinand. Das sind jetzt zwölf Jahre her! Erinnern
Sie sich auch noch daran, Fräulein Franziska?
Franziska. Gewiß.
Agnes. Ich auch! Damals (zu Franziska) seid Ihr ein-
mal bei uns zur Jause gewesen, — und der Hugo hat erzählt,
Ihr habt einen neuen Lehrer bekommen und
Ferdinand. Nun?
Agnes. Ah nichts. Sie wissen ja, der Hugo war immer
ein so ausgelassener Bub'.
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Ferdinand (etwas gezwungen). Na, der muß sich schön
über mich gemacht haben — damals. Im Übrigen
lustig
was reden wir von vergangenen Dingen. Wie geht's denn
dem Herrn Professor? Ist er noch nicht zu Hause?
Betty. Nein; der Club der Vereinigten Linken hat eine
Sitzung; er wird erst gegen Abend kommen.
Emma. Daß die nicht einmal Sonntag sich und dem
Vaterland eine Erholung gönnen.
Ferdinand. Gnädige Frau scheinen noch immer keine
Begeisterung für die Politik zu empfinden.
Emma (kühl). Oh, warum denn? Meinem Schwager
macht sie gewiß viel Spaß.
Ferdinand (auf die Uhr sehend). Wie man in's Plaudern
kommt. — Meine Damen, auf Wiedersehn!
Betty. Kommen Sie nicht zu spät. — Sie wissen, wie
gern Adolf vor dem Nachtmahl noch eine Partie Strohmandl
mit Ihnen spielt.
Ferdinand. Ich komme sobald als möglich. Wem
— Fräulein
werden Sie heute Glück bringen, Franz
Franziska?...
Franziska. Einem von Ihnen jedenfalls Unglück, ent-
weder Papa oder Ihnen.
Ferdinand (ungeschickt). Oh, das Unglück kommt nicht
von Ihnen, das ist da... nur das Glück muß hergezwungen
werden. Nicht wahr —? Also Adieu, auf Wiedersehen.
Betty (sich erhebend). Warten Sie nur, Herr Doctor
wir bleiben ja auch nicht länger in der „Höhle“ — (lächelnd
zu Agnes) in der Höhle des „Beliebten.
Ferdinand (lacht). Wie? Ah, Hugo ist der Beliebte,
freilich. Manche Leute sind dazu geboren.
Emma (hat sich auch erhoben). Sie sind ein Fatalist.
Wenn man zu allem geboren wäre.
Ferdinand. Nicht zu allem. Das sag' ich nicht. (Er,
sowie Betty und Emma sind abgegangen. Franziska und Agnes scheinen ihnen
folgen zu wollen; da faßt Agnes Franziska beim Arm und hält sie zurück.)
7. Auftritt.
Franziska. Agnes.
Agnes. Willst Du den wirklich heirathen?
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