A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 124

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Adolf. Sei ruhig, meine liebe Betty. Man wird ihr
eine Rente aussetzen, solang sie sie benöthigt.
Betty. Nein — nein: das war es nicht, was Hugo
von uns verlangt hat!
Ferdinand. Gnädige Fran, Alles, was Hugo gewollt
hat, haben wir leider mit dem Kleinen begraben müssen. Das
ist doch ziemlich klar. Was soll diese Person jetzt noch hier
Heut' ist sie nichts anderes als manche andere, die Sie gewiß
nicht in Ihr Haus aufnehmen möchten.
Adolf. Es ist beinahe wie ein Fingerzeig Gottes.
Betty. Sag' das nicht, Adolf
Adolf. Wie Du willst, liebe Betty. Aber wenn wir
die Sache genau nehmen, so haudelt es sich nur darum,
daß sie wo anders wohnen wird.
Ferdinand. Ganz richtig. Ich weiß auch garnicht
recht, gnädige Frau, wie Sie sich den weiteren Aufenthalt
Toni's bei Ihnen vorstellen. Wir wissen doch alle, daß die
Trauer junger Wittwen — wenn ich hier schon diesen Aus¬
druck anwenden darf — nicht ewig zu währen pflegt... und
es wäre doch uns allen — und insbesondere Ihnen, der
Mutter, in hohem Grade peinlich, wenn sozusagen unter
Ihren Augen
Betty (ziemlich heftig). Nein, nein, so ist Toni nicht.
Adolf (überlegen). Betty! Was glaubst Du denn eigent¬
Sie wird ewig um ihn weinen? Es ist doch auch
lich?
garnicht zu verlangen:
Betty. Adolf!
Adolf. Mein Kind — man muß die Dinge nehmen,
wie sie sind.
Ferdinand. Ich versichere Sie, gnädige Frau, es wird
Ihnen nur angenehm sein, wenn Toni die Besuche, die ihr
gelten, nicht in Ihrem Hause, sondern bei sich empfängt; es
wäre Ihnen möglicherweise bei genauerer Betrachtung schon
heute angenehm.
Betty. Was meinen Sie, Doctor?... Gustav? —
Er war Hugo's Freund.
Ferdinand. Sie deuten meine Worte falsch, gnädige
Frau. Gustav war der beste Freund Hugo's, und es ist nur
natürlich, daß er oft mit ihr zusammen gewesen ist. Man
darf nicht gleich an das Aergste denken. Solche Weiber sind
im Allgemeinen auch zu vorsichtig. Es steht Zu viel für sie
auf dem Spiel. — Jetzt freilich ist Hugo todt, und sie ist
jung und schön.
Betty (viel schwächer). Nein — sie wird meinen Sohn nie
vergessen.
-Adolf. Du hast ideale Ansichten, mein Kind. Erhalte
sie Dir. Aber Du wirst gewisse Naturgesetze nicht umstoßen
— und ich
Das ganze ist für uns einfach eine Geldfrage
werde die Sache noch heute in Ordnung bringen. Ja, wir
werden noch heute — jetzt, wenn sie zurückkommt, weiden wir
mit ihr reden.
Betty. Nein, ich kann ihr nicht sagen, daß sie gehen
Adolf. Das ist auch gar nicht nothwendig. Ich werd
soll.
es ihr sagen. Ich werde ihr einfach die Sachlage der Wahr¬
heit gemäß auseinandersetzen.
Betty. Was? Was willst Du ihr denn sagen
Adolf. Ich werde ihr sagen, daß unsere Landwohnung
zu klein ist.
Ferdinand. Da ich nun doch schon ein gewisses Recht
zu haben glaube, mich zu den Ihrigen zu zählen, lassen Sie
auch die Pflichten tragen. Ich will gern mit ihr
mich
Betty. Sie werden zu hart sein, Doctor. Sie haben
reden.
sie nie lieb gehabt.
Ferdinand. Ich werde milde sein.
Betty. Sie soll nicht gleich gehen. Ich will noch mit
ihr sprechen, bevor sie geht. Ich will ihr sagen, daß sie uns
nicht verliert, daß sie immer Freunde an uns haben wird
Adolf. Gewiß. Sie kann auch ohne weiteres heute
Nacht hier schlafen. Auch die nächste Woche. Ueberhaupt
so lange, bis sie eine andere Wohnung gefunden hat — wir
sind ja ohnehin nicht mehr da.
10. Auftritt.
Adolf. Betty. Ferdinand. Emma (kommt).
Emma. Guten Abend. Ich habe wohl gestört?
(Pause. Mit einem plötzlichen Gedanken.) Wo ist Toni?
Als Manuscript gedruckt.