A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 125

Ferdinand. Heute, gnädige Frau, finden Sie sie noch
hier, aber es ist das letzte Mal.
Emma. Wie ist das zu verstehen?
Adolf. Das ist so zu verstehen, daß wir in reiflicher
Erwägung der durch den Tod des armen Kindes neu ge¬
schaffenen Umstände ein weiteres Verbleiben Toni's in un¬
serem Hause für — unthunlich halten.
Emma (zu Betty). Und Du giebst das zu?
Betty. Wir werden sie trotzdem nicht verlassen, Emma.
Emma. Das heißt, Ihr werdet ihr Geld geben? Dar¬
auf kommt es nicht an. Mit Geld ist diesem armen Geschöpfe
nicht geholfen, ein Heim braucht sie.
Ferdinand. Sie wird bald eines gefunden haben,
gnädige Frau.
Emma. Ja. — Sie hat eins gefunden. Ich nehme sie
in mein Haus.
Betty. Emma!
Ferdinand. Ich bitte um Entschuldigung. Halbe
Maßregeln helfen hier nicht! Toni muß nicht nur aus diesem
Haus — sie muß aus unserm Kreis verschwinden. Wir wollen
nichts mehr mit ihr zu thun haben.
Adolf. So ist es, Emma. — Es geht unmöglich, daß
Du eine Person, die wir nicht länger bei uns haben wollen,
zu Dir nimmst. Du würdest Dich dadurch in einen ganz
offenen Widerspruch mit uns setzen.
Emma. Ganz richtig.
Adolf. Und würdest es uns unmöglich machen, in
gleicher Weise wie bisher bei Dir zu verkehren.
Emma. So werdet Ihr eben nicht bei mir verkehren.
Adolf. Ach so... ach so — (auf und ab.) — Nun,
Deine Sympathie für diese Dame geht etwas weit.
Emma. Ich löse einfach Euer Versprechen an Hugo
ein; das ist alles.
Adolf. So. Ich will nun garnicht davon reden, daß
es sich um ein ganz anderes Versprechen gehandelt hat. Aber
ich möchte doch fragen, mit welchem Rechte Du Dich zur
Vollstreckerin des letzten Willens unseres Sohnes aufwirfst.
Emma. Ich bin seine beste Freundin gewesen. Ihr
wißt es sehr gut!
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Adolf. Ja, das weiß ich allerdings... allerdings
weiß ich das! Aber gerade darum erscheint es mir sehr un¬
wahrscheinlich, daß er Dich es ist zum mindesten nicht üblich
Betty (will Einhalt thun). Adolf!
Emma. Laß ihn, Betty! Ich weiß ja, was er glaubt.
Nennen wir die Dinge doch einmal bei ihrem Namen. Du
meinst, ich war die Geliebte Eures Sohns.
Betty. Emma
Adolf. Das hab' ich nie gesagt. Und was ich glaube,
ist meine Sache. Ich muß dringend bitten, mir nicht Dinge
in den Mund zu legen, die ich nie ausgesprochen habe.
Betty. Emma, was fällt Dir denn ein! Nie haben
wir das geglaubt! Wir wissen, daß Du seine Freundin warst.
Ich will's Dir ja gestehn: es hat mich oft gekränkt, daß er
zu Dir mehr Vertrauen gehabt hat als zu mir — aber nie
habe ich an so etwas gedacht — ich schwöre es Dir Emma
hätt' ich denn sonst so mit Dir sprechen können - die ganzen
Jahre her, wie ichs gethan? — Und auch Adolf glaubt es nicht.
Emma. Den kennst Du nicht, Betty. Der hätte
was anderes gar nie begriffen. Aber das hat ihn natürlich
nie gehindert mit mir zu verkehren.
Adolf. Mir scheint gar, Du willst mir das zum Vor¬
Emma. Statt Deine Größe zu bewundern — was?!
wurf machen
Aber Du hast auch gewußt, daß ich ihm meine Agnes mit
tausend Freuden zur Frau gegeben hätte — und warst sehr
einverstanden — weil es Dir bequem gewesen wäre, was
Du Ehrenmann? — Aber dieses arme Geschöpf, das ja ein
Engel gegen mich sein müßte, wenn das wahr wäre, was Ihr
von mir geglaubt habt — das jagt ihr davon, weil es Euch
Adolf. Ich werde mich nicht so weit erniedrigen, Dir zu
unbequem ist —?
erwidern. Nimm diesen Engel zu Dir in's Haus. Ich habe
nichts dagegen, wenn Du sie sofort hier in Empfang nimmst.
Sie, mein lieber Doctor, bestellen ihr, was wir ihr zu sagen
- Ich hab in dieser Sache nichts mehr mit
ihr zu reden. Komm, Betty, wir wollen unsern Besuch machen.
haben.
Betty. Emma, ich versichere Dich
Emma. Ich erwarte Toni hier, nehme sie mit mir und
betrete Euer Haus nie wieder.
Als Manuscript gedruckt.