A85: Das Vermächtnis. Schauspiel in drei Akten, Seite 127

12. Auftritt.
Toni. Ferdinand. (Im Anfang) Emma (und) Agnes.
Toni (die eben eintritt, begegnet Emma und Agnes).
Toni (geht auf sie zu und küßt ihr die Hand)
Emma (will zuerst sprechen; dann fällt ihr Blick auf Agnes, die
sie ängstlich anschaut). Kommen Sie bald zu uns, Toni! Leben
Sie wohl!
Agnes. Adieu, Toni!
— (angstvoll) Agnes
Toni. Gnädige Frau
(Emma und Agnes ab.)
Toni. Warum sind sie so fortgegangen? (Will ihnen nach.)
Ferdinand. Ich muß Sie bitten zu bleiben. (Toni
sich zu ihm.) Ich habe mit Ihnen im Auftrage der
wendet
Familie zu sprechen.
Toni. Sie haben mit mir zu sprechen —
Ferdinand. Ja.
Toni. Man schickt mich fort?
Ferdinand. Sie werden selbst einsehen, daß Ihr
weiteres Verweilen innerhalb der Familie nicht mehr den
Verhältnissen entspricht
Toni. Ja, was hab' ich denn gethan?
Ferdinand. Man hat durchaus nicht die Absicht,
Ihnen Vorwürfe zu machen. Es ist ein Abschied in Frieden
und Sie können überzeugt sein, daß es Ihnen an aus¬
reichender Unterstützung nicht fehlen wird.
Toni. Ja... und wann... soll ich denn schon fort?
Ferdinand. Oas ist vollkommen Ihnen anheimgestellt.
Toni. Also nehmen sie mich mit hinaus auf's Land.
Ferdinand (leicht lächelnd). So ist das nun eben nicht
gemeint. Die Wohnung hier steht Ihnen bis auf Weiteres
zur Verfügung.
Toni. Hier soll ich bleiben. Aber da bin ich ja ganz
allein... das geht doch nicht
Ferdinand. Sie werden sich daran gewöhnen müssen.
(Nicht zu heftig.) Sie haben sich doch hoffentlich nicht einge¬
bildet, daß man Sie auf ewige Zeit hier behalten wird.
Toni. Nein — gewiß nicht — aber ein bischen Zeit
sollt' man mir noch lassen — das müssen Sie doch verstehn.
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Es ist doch mehr über mich gekommen, als man ertragen
kann. Vor wenigen Wochen war ich die glücklichste Frau von
der Welt... der Hugo war da... und ein Kind hab' ich
.gehabt —. und jetzt hab' ich nichts —nichts - gar nichtS.
Aber ich hab' doch wenigstens da sein dürfen, bei seiner
Mutter, bei seiner Schwester... Das sind doch die Menschen,
die ihn gern gehabt haben — es ist doch die Luft, in der
'er geathmet hat — und jetzt soll ich hinaus, hincus aus
all' dem... ja warum — warum?
Ferdinand. Es ist eben hier nicht Ihr Platz... be¬
greifen Sie das doch endlich.
Toni. Ja — warum denn? Hab' ich ihn denn weniger
geliebt, als ihn eine andere geliebt hätte. Hab’ ich ihn
weniger glücklich gemacht, als eine andere?
Ferdinand. Das giebt Ihnen doch kein Heimathsrecht
in diesem Hause. Dieses „Glücklich machen“ trifft manche.
Toni. Glauben Sie das wirklich? Sie würden ja
doch dem Himmel auf den Knieen danken, wenn die Franz
Sie nur den tausendsten Theil so gern hätte, wie ich Ihn
Ferdinand. Sprechen Sie den Namen meiner Braut
gehabt hab'!
nicht aus. Ich verbiete es Ihnen.
Toni. Warum denn? Bin ich vielleicht was schlechteres
Ferdinand. Das fragen Sie noch?! Sie, die sich
sie?
als
einfach dem ersten besten an den Hals geworfen haben, der
jung und hübsch war, und sich, gleichgiltig gegen alles andere,
Ihr Glück genommen haben, wo Sie's gefunden
Toni. Ist denn das ein Verbrechen? Hab' ich aus
meinem Elend nicht heraus dürfen? Wissen denn Sie, wie
mein Leben ausgeschaut hat, bevor ich den Hugo kennen
Ferdinand. Ich weiß auch, was Elend ist. Und
gelernt hab?
besser als Sie. Unser Einer hat's freilich nicht so leicht, sich
daraus zu retten — wie ein hübsches junges Ding, dem alles
gleichgiltig ist, was anständige Menschen Pflicht und Sitte
nennen. Man hat sich ja hier redliche Mühe gegeben, alles
das zu vergessen. Der Mutter des unschuldigen Kindes hat
man beinah verzeihen können — wir beweinen es alle wie
Sie — aber den großen Irrthum hat man mit ihm begraben.
Als Manuscript gedruckt.