Nr. 24168
Wien, Freitag
gestelltem Kragen der kleine Kopf und das kindliche Gesicht
herausragen. Sie ist grenzenlos verwirrt und erregt. Beide Hände
auf der Brust, hauchend.)
Das dürfen Sie nicht... Wenn jemand kommt..
Ist Ihnen nicht gut? Anastasia Karlowna hat die Arzneien
eingepackt... um Gottes willen, haben wir die Köfferchen
denn im Wagen gelassen? Das wäre ein Unglück... Nein,
ich erinnere mich, Anastasia Karlowna wollte alles selben
bringen... Ich vergesse das wichtigste... Ich weiß kaum,
wo wir sind... Spreche ich zu laut?... Wenn wir unser=
Rollen nicht spielen, müssen wir flüstern, hat sie gesagt. Aber
flüstern ist erst recht verdächtig... Hört man das, wenn ich
so spreche? Glauben Sie, man kann es durch die Wand
hören? Da ist eine Tür... im Spiegel.. Das Schlüssel-
loch muß man zustopfen... Wollen Sie... (Laut.) Willsi
du nicht Hut und Mantel ablegen, Liebster? (Wiede
flüsternd.) War's so recht? Er gibt mir keine Antwort. Es
scheint ihm nicht gut zu gehen. (Laut.) Soll ich ein Fenste
aufmachen. Liebster? (Flüsternd.) Wie das klingt... Ich
kann es nicht natürlich klingen machen. Aber es ist nur der
erste Augenblick, es wird schon besser werden... Ich dachte
nicht, daß es so schwer sein wird... (Sie zuckt zusammen
da es klopft.)
Anastasia Karlowna (schlüpft hastig herein)
späht zurück, ob sie unbemerkt geblieben ist, schließt leise die
Tür. Sie trägt zwei Lederköfferchen, eins unter dem Arm
eins in der Hand Zum Tisch, spricht bis zum Schluß der
Szene halblaut, mit starken Gesten, um Nichtgesagtes zu
markieren; ist in nervöser Eile, ihr Wesen ist jedoch be¬
stimmt, ja gebieterisch). Ich hoffe, man hat mich nicht gesehen
Gut, daß wir den Wagen an der Straßenecke haben halten
lassen. Der Nebel ist zum Schneiden dick, die Menschen
gehen wie in grauen Tüchern. Du hast doch das Geld
Lukardis? Später gibst du Jewgen Pawlowitsch die drei¬
Haus kann man nicht in Straßentoilette bleiben. (Während¬
dem hat sie aus dem einen Köfferchen den Schlafanzug der
Lukardis und einen seidenen Limono ausgepackt, die sie über
eine Stuhllehne hängt, ferner verschiedene Toilettegegen¬
stände, Verbandzeug und Arzneien, die sie zur Spiegelkonsol=
trägt. Alles sehr rasch, bisweilen mißtrauisch lauschend.) Ich
muß mich beeilen. Riegel die Tür ab, es darf jetzt niemand
herein.
Lukardis (tut es. Sie hat den Pelz auf einen Sessel
geworfen und den Schal abgenommen. Ihr Blick schweif
beständig durch das Zimmer. Ohne besonderen Grund geh
sie auf Fußspitzen). Es ist kalt...
Anastasia Karlowna. Das Feuer im Ofen
brennt ganz munter.
Lukardis. Ich fürchte, es wird hier nie richtig
warm werden.
Anastasia Karlowna. Vor der Wirtin hütet
euch. Sollte sie die Unverschämtheit haben und das Zimmer
betreten, was nicht ausgeschlossen ist, sie wird sagen, es se
ihre Pflicht, sie wird honigfüß sein, dann benehmt euch so
daß sie merken muß, ihre Gegenwart ist unerwünscht. Aber
kein Wort zuwiel. Kann sein, sie steht im Sold der Ochrana
Eine Erpresserin ist sie bestimmt.
Lukardis. Darauf mußten wir vorbereitet sein.
Anastasia Karlowna: Wir hatten keine Wahl
Jewgen Pawlowitsch hat es selbst eingesehen. Es gibt keinen
Ort, der sicherer ist. Sie waren ihm bis zur letzten Viertel¬
stunde auf den Fersen. Jetzt endlich haben wir die Spuren
verwischt.
Lukardis. Hoffentlich bekommt er keinen Rückfall
Anastasia Karlowna. In einer Stunde mußt
du ihn messen. Das Fieberthermometer liegt dort, auch die
Baldriantropfen und das Morphium. Um zehn Uhr wird der
Verband gewechselt.
25. Dezember 1931
Neue Freie Presse
33
Lukardis. Zweifeln Sie auf einmal an mir?
Lukardis. Ich dachte, die Wunde ist geschlossen.
Anastasia Karlowna. Seit drei Tagen schon
Anastasia Karlowna. Wie soll man denn nicht
Eine Vorsichtsmaßregel. In vierundzwanzig Stunden einmal
zweifeln angesichts dessen, was von dir verlangt wird,
wechseln. Die Fahrt hieher war leider ein Chok. Wie er
Täubchen? Du muß dich ganz und gar verwandeln. Als
dasitzt... Wenn er sich erholt hat, wird er sieh vernünftig
hättest du ein neues Gesicht und andere Sinne.
betragen. Er ist ja kein Büblein. Junge Männer von Stand
Lukardis. Schön; mich zu verwandeln, dazu bin
wissen in solchen Häusern Bescheid. Hilf ihm doch aus den
ich hier.
Pelz. Täubchen. So!... (Man hört schwatzende Stimmen
Anastasia Karlowna. Das Spiel, das ihr zu
vom Korridor. Beide verstummen.
spielen habt, ist gefährlich und erniedrigend noch dazu. An¬
Lukardis. Wenn nur die vielen Spiegel nicht
einandergeschmiedet seid ihr wie Rad und Nabe. Der Mensch
wären...
muß seine angeborne Natur unter sich lassen können, wenn
Anastasia Karlowna. Ruhig, Täubchen... Ist
es um was Großes geht. Beweise mir, daß es kein Leicht¬
noch was zu verabreden? Meine Zeit ist um...
sinn, keine Dummheit von mir war, die ich nachher vielleicht
Luhardis. Noch zwei Minuten, Anastasia Kar
blutig bereuen muß.
lowna, bitte, bitte. (Packt sie am Arm.)
Lukardis (beide Hände auf den Schultern der
Anastasia Karlowna. Ich weiß, es ist dir nicht
andern, wie ein Kind). Ich werde es beweisen.
behaglich zumut, Herzchen. Aber bedenke, was ich und seine
Anastasia Karlowna. Nichts da, ich werde
Freunde auf dich gesetzt haben. Sein Leben. Ich habe keine
Sehen will ich's. Zeigen mußt du mir's. (Erhebt sich, den
weibliche Person in ganz Moskau gefunden, die es hätte
Mund dicht an Lukardis Gesicht.) Denk' doch: für zwe
auf sich nehmen können. Nur dich. Wie im Traum bist du
Tage und zwei Nächte mußt du alles von dir abwerfen, was
mir erschienen. Ich hatte gesucht und gesucht und war schon
bisher dein Leben ausgemacht hat, Erziehung, Herkunft,
ganz verzweifelt.
Stolz, Scham, Ruf, Vater, Mutter, Onkel, Tanten,
Lukardis. Sie haben mich gesucht... ja
Freundinnen, alles ist nichts mehr. Kein verwöhntes
Sie haben mich gefunden. Wieso konnten Sie aber n
Haustöchterchen mehr, kein weißüberzogenes Bettchen
daß ich es auf mich nehmen würde, wie Sie sagen? Wies
kein Zöfchen, das dir die Hände küßt, keine verliebte
war das möglich?
Exzellenz, die Rosen schickt... nichts mehr davon, eine
Anastasia Karlowna. Vielleicht war es ein
Weibsperson bist du, die sich mit ihrem Liebhaber in
Wunder, du hast recht, Täubchen. Es gibt Zufälle im Leben,
ein Abenteuer gestürzt hat. Hast du mich verstanden
die wir als Wunder ansehen müssen, sonst verlieren wir den Und daß du nicht aus der Rolle fallen darfst, nicht einmal
Glauben an die Gerechtigkeit.
im Schlaf, hast du das verstanden? Und daß du dich
des Nachts zu ihm ins Bett legen mußt (Bewegung
Lukardis. Ich war sofort entschlossen, Sie wir
Lukardis), siehst du, wie du erschrickst, das mußt du, daS
es ja, aber Sie wissen nicht, daß ich von dem Augenblick an
mußt du, ich hab' dir's ja gesagt, da gibt's kein Zurück, da
nicht aufgehört habe, über mich selbst zu staunen. Es geschieh
heißt es entweder — oder. (Etwas gemäßigter; raunend.
etwas mit mir, und ich bin ohnmächtig gegen das, was mich
Wenn der Bursche, der Aufwärter, oder diese Schlumpe, die
zwingt
Magd, hereinkommt, weißt du doch, was du zu tun hast
Anastasia Karlowna. Ja gewiß, Herzchen, du
Dann setzt du dich auf Nadinskys Knie, schlägst die Arme
brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Man hat ein Bild von
um seinen Hals, so. Ich zeig' dir's. Mach mir's nach. Nicht
einem Menschen, und wenn dann der Mensch dem Bild
so schüchtern. Frecher. Noch frecher. Das Fleisch beißt nicht
gleicht, weiß man, Gott ist mit ihm einverstanden. Komm..
Leg' deine Wange fester an meine. So. (Alles dies durch
(Zieht sie in den Alkoven, dessen Portieren offen bleiben
Stellungen entsprechend illustriert.) Lass' den Kopf nicht
ist ihr beim Auskleiden behilflich, kniet nieder, um ihr die hängen dabei. Mach' keine Trauermiene. Du mußt lachen
Stiefel aufzuschnüren. Währenddem mit gepreßter Stimme.)
Du hast ja wundervolle Zähne. Also lache mal. Nicht
Du hast doch alles im Gedächtnis behalten, was ich dir ein¬
Herausfordernd. Verschlagen. Gemein. Schon besser. W
geschärft habe, Täubchen?
es schon lernen, mußt eben. Was steckt nicht alles in
Menschen drin — was er nicht weiß. Ich hab die zimper
Lukardis (nickt). Ja. Alles
lichsten Frauenzimmer zu Kokotten werden sehen, wo nicht
Anastasia Karlowna. Achte auf dich, achte an
der hundertste Teil von dem auf dem Spiel stand wie hier
die geringste Gebärde. Jedes Wort... einzige Un¬
Anständigkeit ist billig. Die viel Aufhebens von ihrer
geschicklichkeit und er kann verloren sein.
Weiberehre machen, tun es meistens nur, weil sie keinen
Lukardis (streng). Wenn ich nicht daran dächte
Abnehmer dafür finden. Wer sollte es wagen, deine Ehr
wäre ich doch eine Närrin, daß ich mich dazu hergebe.
anzutasten, wenn du das vollbracht hast, he?
Anastasia Karlowna. Heute ist Dienstag
Lukardis (fasziniert). Ich habe nicht geahnt, was
Donnerstag vormittag bekomm ich den Auslandpaß für ihn
für eine Frau Sie sind, Anastasia Karlowna. Ganz wild sind
(Noch leiser.) Boris Krasnuchs selbst hat es mir versprochen
Sie ja, ganz wild..
Von dieser Minute bis übermorgen zehn Uhr liegt Nadinski's
Schicksal in deiner Hand, ###hchen
Anastasia Karlowna (auflachend). O. Geschöpf-
Lukardis. Hoffentlich bleiben die Eltern im Glauben
chen? Was du schon ahnst. Puppenmütterchen.
daß ich bei Sinaida in Petersburg bin.
Lukardis. Sagen Sie nicht Suppenmütterchen zu
Anastasia Karlowna. Warum sollen sie dir
mir. Leben nicht alle in einer Welt, die sie sich erst dichten
mißtrauen? Haft du sie je belogen? Noch nie. Siehst du. Ich
Anastasia Karlowna. Na gut. Aber merk-
geh von hier aus gleich hin. Ich werde auch trachten, daß ich
dir eins: Wir dürfen uns nicht kostbar machen. Das Leben
mit Peter Iljitsch, deinem Verlobten, sprechen kann. Der ist
hat überhaupt nur einen Wert, wenn man es opfert. Du bist
am meisten zu fürchten. Argwöhnisch ist er wie ein Tatar
schön, du bist jung, du hast natürlichen Instinkt, was ist da
Du aber hab' keinen anderen Gedanken als an deine
weiter schwer? Auch er (auf Nadinsky deutend) hat alles
Aufgabe.
geopfert für die große Sache unseres Volkes.
Lukardis. Aengstigen Sie sich nicht, Anastasia
Lukardis (steht auf, mit Festigkeit).- Das Tun
Karlowna; wie sollt’ ich Sie denn enttäuschen, da ich doch
selber ist nicht schwer, Anastasia Karlowna. Nur über die
nun bin, wo ich bin...
Angst Herr zu werden, ist schwer. Aber ich hab' kein
Anastasia Karlowna (leidenschaftlich, wie über¬
haupt ihr Wesen immer dringlicher und heftiger wird). Ge-
Anastasia Karlowna. Wir müssen ein Ende
nug geschwatzt. Zuviel Worte.
machen. Gott segne dich, Täubchen. Leb' wohl. Wahrhaftig,
hört, Louise von Koburg, Freilich, sie soll durch Schwachsinn
einsamter, er war voll Sehnsucht, und er kochte seine Pläne
nicht gesellig. An Menschen seiner Klasse ist diese Eigenschaft
verhindert gewesen sein. Aber dieser Schwachsinn ist ein wenig
seine Entschlüsse immer wieder allein.
oft zu beobachten. Das Interesse, das Mattachich nahm, be¬
Total gebrochen kehrte er zurück und erzählte. Er hatt
schränkte sich in seiner glücklichen Zeit auf Pferde, auf den
plötzlich eingetreten, wie man zugeben muß.“ Ich schrieb
sich an den Lindenhof herangepirscht, hatte in Erfahrung ge
Dienst, auf Ritte ins Freie. Er war kein Causeur, kein
„Die Prinzessin Louise hat den Willen geäußert, sich von
ihrem Mann scheiden zu lassen, um den weniger hochgestellten
bracht, daß der Prinzessin Ausfahrten gestattet wurden. Er
Salonheld, andererseits auch kein Kartenspieler oder Trinker,
aber mehr geliebten Mattachich zu heiraten. Es heißt, daß der
lauerte ihr auf und warf einen Brief in ihren Wagen, aber
und auf ihn übten auch die Genüsse des „Mulatschaks“, der
prinzliche Gemahl und der königliche Vater in gleicher Weise
die Begleiterin der Prinzessin fing den Brief ab, nahm ihr
mit Weibern durchjubelten Nächte, nur ganz geringen Reiz
darüber entrüstet sind und daß man, um solch ein Beginnen
an sich und übergab ihn dem Dr. Pierson. Mit den Aus¬
Genug, jetzt tat er, was man ihm zu tun empfahl und was
fahrten war es nun vorbei. Alle anderen Versuche, sich der
zu vereiteln, die arme Frau in Gewahtsam sperrt. Nach
er selbst als zweckmäßig erkannte, tat es still, bescheiden und
Gefangenen zu nähern oder irgendeine Person aus dem zwerlässig
unseren bürgerlichen Begriffen ist eine Prinzessin, die einen
gewöhnlichen Sterblichen ehelichen will, darum noch lange nicht
Lindenhof für sich zu gewinnen, blieben fruchtlos. Mattachi¬
Die Mühe fand ihren Lohn. Da auch jede öffentliche Er¬
schwachsinnig. Auch wird solche Heirat niemanden besonders
besaß kein Geld, um jemanden zu bestechen. Er mußte Koswig
örterung eingestellt wurde, schlief die Sache ein und das Gras
verlassen, kehrte nach Wien zurück, um sehr bald nachhe
aufregen und die Welt wird weiter bestehen.“ Schrieb zuletzt
eines ganzen Sommers wuchs darüber
„Das öffentliche Rechtsbewußtsein ist im Begriff, sich zu
wieder die gleiche Reise zu unternehmen. Diesmal per Zwei
Im August des Jahres 1904 erschien in den Blättern
empören. Man muß es so rasch als möglich beruhigen. Das
rad. Damals gab es keinerlei Paßzwang, und so gelang e
die Nachricht, Prinzessin Louise von Koburg werde sich nächster
ist für uns Oesterreicher weitaus wichtiger, als daß ein Prinz
ihm ohne Mühe, Koswig zu erreichen. Jetzt aber fand er eine
Tage zur Kur nach Bad Elster begeben. Für die Dauer von
der uns gleichgültig ist, seine Genugtuung, ein König, der
gründlich veränderte Lage. Die Gendarmen waren überall
drei Wochen. Und — natürlich — unter entsprechender Be
uns nichts angeht, seinen Willen hat.
auf seinen Fersen, hezten ihn wie ein Raubwild und er hörte
machung.
es sei von einer der höchsten Stellen der Befehl ergangen
Sofort kam Mattachich: „Jetzt?!“
Keiner von den großen Herren muchste sich. Keiner
Die Antwort war: „Jetzt nicht — aber bald!“
den Mattachich einfach niederzuknallen, wo man seiner in de
widersprach. Sie wischten sich die Ohrfeigen, die sie bekommen
Umgegend des Lindenhofes habhaft werde. Er war trostlos
Er fragte, mit Widerspruch im Ton und mit zornigem
hatten, vom Gesicht und hielten den Mund. Keiner wagte den
Zunächst also ergab es sich als Notwendigkeit, über diese
Staunen: „Warum nicht jetzt gleich?
Versuch, das öffentliche Rechtsbewußtsein zur Ruhe zu
Geschichte Gras wachsen zu lassen. Damit das Gras schnelle
Antwort: „Weil jetzt die Bewachung zu scharf, zu
bringen. Tamals galt noch in Oesterreich der fundamentale
und dichter wachse, verpflichtete sich Mattachich, auf keine
Grundsatz: ein Mann von der Feder darf weder beachten
ängstlich, zu aufmerksam sein wird.
Er voll Ungeduld: „Also — wann?“
Weise und durch keine angebliche Vertrauensperson eine Zeile
werden, geschweige denn recht behalten. Diese Wirkungs¬
an die Prinzessin zu senden. Er mußte so tun, als habe e
losigkeit war mit unbedingter Sicherheit zu erwarten gewesen
Antwort: „In der letzten Nacht! Vor der Abreise der
Prinzessin!“
sie aufgegeben, als wolle er sie vergessen. Mattachich sollte sich
Toch die andere, gleichfalls erwartete Folge stellte sich pünkt-
Kuurrend die Frage: „Warum?“
in den Wiener Kaffeehäusern zeigen, in den Nachtlokalen
lich ein. Die Wirkung auf breite Schichten des Publikums
sollte sich, wenn möglich, auch mit den Dirnen und Dämchen
Endlich begreift er: Die drei Wochen müssen in aller
Der Glaube an den Spruch des Militärgerichtes war zerstört
dieser Lokale im Gespräch sehen lassen. Mattachich nahm
Ruhe verstreichen. Keine Spur von Mattachich! Kein Zeichen
das Zutrauen in das erlauchte Hofmarschallamt vernichtet
diese Aufgabe auf sich und führte sie mit der ganzen verbissenen
einer versuchten Befreiung! Dann, in der letzten Nacht, wenn
die Entrüstung über das doppelte Unrecht allgemein
Hartnäckigkeit durch, die er besaß. Gegen das Entsetzliche
alle, bevor sie zu Bett gehen, Gott danken, daß nichts ge-
Praktisch half das freilich wenig, um Mattachich zu rehabili¬
was er erlitten hatte, schien das ja leicht. Dennoch kostete
schehen, daß auch nichts mehr zu fürchten ist, in dieser letzten
tieren, half zur Befreiung der Prinzessin gar nicht. Aber e
ihn gerade diese Rolle große Ueberwindung. Er taugte schlech
Nacht, wenn alle sich friedlichem Schlaf hingeben — dann
blieb eine Vorbereitung für beides.
dafür, fand sich nur schwer darin zurecht
Zwei Wochen weilt Louise in Bad Elster, Mattachich
Unterdessen jedoch hätte mein Ratschlag, an Mattachick
Es ist schon gesagt worden, wie sehr ihn das Schicksal
spaziert in Wien umher, als kümmere ihn Louise von Koburg
in jener Nacht gegeben, beinahe alles und für immer ver¬
der letzten Jahre vereinsamt hatte. Er trug das beständig
gar nichts, als sei sie ihm gleichgültig geworden.
eitelt. Mattachich hatte durch diesen Rat, hatte auch meine
Eines Tages kommt er zu mir und berichtet. Er ist
bohrende Gefühl des Unrechtes, das er selbst, mehr noch des
Veröffentlichung plötzlich zu viel Mut bekommen. Er ließ all
Unrechtes, das die Prinzessin erdulden mußte, in seinen
nicht untätig gewesen. Hat einen Vertrauensmann, der
Lorsicht, ließ jede Zurückhaltung beiseite und fuhr nach
Innern. Er war von seiner Familie ausgestoßen, war von
Bad Elster im selben Hotel wie Louise wohnt und die Ver¬
Koswig in Sachsen. Dort war Dr. Piersons Heilanstalt, in
seinem Gesellschaftskreis boykottiert. Dazu wühlte die Sehn-
bindung mit ihr herstellt. Er selber, Mattachich, wird erst
welcher Louise seit nunmehr sechs Jahren gefangen schmachtete.
letzten Abend in Bad Elster erscheinen
sucht nach der geliebten Frau in seinem Herzen Allein, von
Zweimal reiste er nach Koswig in rascher Aufeinanderfolge.
Borttefflich
Er hatte niemanden gefragt, er war ein gänzlich Ver- diesen Dingen abgesehen, war er ganz bedürfnislos und gar
Wien, Freitag
gestelltem Kragen der kleine Kopf und das kindliche Gesicht
herausragen. Sie ist grenzenlos verwirrt und erregt. Beide Hände
auf der Brust, hauchend.)
Das dürfen Sie nicht... Wenn jemand kommt..
Ist Ihnen nicht gut? Anastasia Karlowna hat die Arzneien
eingepackt... um Gottes willen, haben wir die Köfferchen
denn im Wagen gelassen? Das wäre ein Unglück... Nein,
ich erinnere mich, Anastasia Karlowna wollte alles selben
bringen... Ich vergesse das wichtigste... Ich weiß kaum,
wo wir sind... Spreche ich zu laut?... Wenn wir unser=
Rollen nicht spielen, müssen wir flüstern, hat sie gesagt. Aber
flüstern ist erst recht verdächtig... Hört man das, wenn ich
so spreche? Glauben Sie, man kann es durch die Wand
hören? Da ist eine Tür... im Spiegel.. Das Schlüssel-
loch muß man zustopfen... Wollen Sie... (Laut.) Willsi
du nicht Hut und Mantel ablegen, Liebster? (Wiede
flüsternd.) War's so recht? Er gibt mir keine Antwort. Es
scheint ihm nicht gut zu gehen. (Laut.) Soll ich ein Fenste
aufmachen. Liebster? (Flüsternd.) Wie das klingt... Ich
kann es nicht natürlich klingen machen. Aber es ist nur der
erste Augenblick, es wird schon besser werden... Ich dachte
nicht, daß es so schwer sein wird... (Sie zuckt zusammen
da es klopft.)
Anastasia Karlowna (schlüpft hastig herein)
späht zurück, ob sie unbemerkt geblieben ist, schließt leise die
Tür. Sie trägt zwei Lederköfferchen, eins unter dem Arm
eins in der Hand Zum Tisch, spricht bis zum Schluß der
Szene halblaut, mit starken Gesten, um Nichtgesagtes zu
markieren; ist in nervöser Eile, ihr Wesen ist jedoch be¬
stimmt, ja gebieterisch). Ich hoffe, man hat mich nicht gesehen
Gut, daß wir den Wagen an der Straßenecke haben halten
lassen. Der Nebel ist zum Schneiden dick, die Menschen
gehen wie in grauen Tüchern. Du hast doch das Geld
Lukardis? Später gibst du Jewgen Pawlowitsch die drei¬
Haus kann man nicht in Straßentoilette bleiben. (Während¬
dem hat sie aus dem einen Köfferchen den Schlafanzug der
Lukardis und einen seidenen Limono ausgepackt, die sie über
eine Stuhllehne hängt, ferner verschiedene Toilettegegen¬
stände, Verbandzeug und Arzneien, die sie zur Spiegelkonsol=
trägt. Alles sehr rasch, bisweilen mißtrauisch lauschend.) Ich
muß mich beeilen. Riegel die Tür ab, es darf jetzt niemand
herein.
Lukardis (tut es. Sie hat den Pelz auf einen Sessel
geworfen und den Schal abgenommen. Ihr Blick schweif
beständig durch das Zimmer. Ohne besonderen Grund geh
sie auf Fußspitzen). Es ist kalt...
Anastasia Karlowna. Das Feuer im Ofen
brennt ganz munter.
Lukardis. Ich fürchte, es wird hier nie richtig
warm werden.
Anastasia Karlowna. Vor der Wirtin hütet
euch. Sollte sie die Unverschämtheit haben und das Zimmer
betreten, was nicht ausgeschlossen ist, sie wird sagen, es se
ihre Pflicht, sie wird honigfüß sein, dann benehmt euch so
daß sie merken muß, ihre Gegenwart ist unerwünscht. Aber
kein Wort zuwiel. Kann sein, sie steht im Sold der Ochrana
Eine Erpresserin ist sie bestimmt.
Lukardis. Darauf mußten wir vorbereitet sein.
Anastasia Karlowna: Wir hatten keine Wahl
Jewgen Pawlowitsch hat es selbst eingesehen. Es gibt keinen
Ort, der sicherer ist. Sie waren ihm bis zur letzten Viertel¬
stunde auf den Fersen. Jetzt endlich haben wir die Spuren
verwischt.
Lukardis. Hoffentlich bekommt er keinen Rückfall
Anastasia Karlowna. In einer Stunde mußt
du ihn messen. Das Fieberthermometer liegt dort, auch die
Baldriantropfen und das Morphium. Um zehn Uhr wird der
Verband gewechselt.
25. Dezember 1931
Neue Freie Presse
33
Lukardis. Zweifeln Sie auf einmal an mir?
Lukardis. Ich dachte, die Wunde ist geschlossen.
Anastasia Karlowna. Seit drei Tagen schon
Anastasia Karlowna. Wie soll man denn nicht
Eine Vorsichtsmaßregel. In vierundzwanzig Stunden einmal
zweifeln angesichts dessen, was von dir verlangt wird,
wechseln. Die Fahrt hieher war leider ein Chok. Wie er
Täubchen? Du muß dich ganz und gar verwandeln. Als
dasitzt... Wenn er sich erholt hat, wird er sieh vernünftig
hättest du ein neues Gesicht und andere Sinne.
betragen. Er ist ja kein Büblein. Junge Männer von Stand
Lukardis. Schön; mich zu verwandeln, dazu bin
wissen in solchen Häusern Bescheid. Hilf ihm doch aus den
ich hier.
Pelz. Täubchen. So!... (Man hört schwatzende Stimmen
Anastasia Karlowna. Das Spiel, das ihr zu
vom Korridor. Beide verstummen.
spielen habt, ist gefährlich und erniedrigend noch dazu. An¬
Lukardis. Wenn nur die vielen Spiegel nicht
einandergeschmiedet seid ihr wie Rad und Nabe. Der Mensch
wären...
muß seine angeborne Natur unter sich lassen können, wenn
Anastasia Karlowna. Ruhig, Täubchen... Ist
es um was Großes geht. Beweise mir, daß es kein Leicht¬
noch was zu verabreden? Meine Zeit ist um...
sinn, keine Dummheit von mir war, die ich nachher vielleicht
Luhardis. Noch zwei Minuten, Anastasia Kar
blutig bereuen muß.
lowna, bitte, bitte. (Packt sie am Arm.)
Lukardis (beide Hände auf den Schultern der
Anastasia Karlowna. Ich weiß, es ist dir nicht
andern, wie ein Kind). Ich werde es beweisen.
behaglich zumut, Herzchen. Aber bedenke, was ich und seine
Anastasia Karlowna. Nichts da, ich werde
Freunde auf dich gesetzt haben. Sein Leben. Ich habe keine
Sehen will ich's. Zeigen mußt du mir's. (Erhebt sich, den
weibliche Person in ganz Moskau gefunden, die es hätte
Mund dicht an Lukardis Gesicht.) Denk' doch: für zwe
auf sich nehmen können. Nur dich. Wie im Traum bist du
Tage und zwei Nächte mußt du alles von dir abwerfen, was
mir erschienen. Ich hatte gesucht und gesucht und war schon
bisher dein Leben ausgemacht hat, Erziehung, Herkunft,
ganz verzweifelt.
Stolz, Scham, Ruf, Vater, Mutter, Onkel, Tanten,
Lukardis. Sie haben mich gesucht... ja
Freundinnen, alles ist nichts mehr. Kein verwöhntes
Sie haben mich gefunden. Wieso konnten Sie aber n
Haustöchterchen mehr, kein weißüberzogenes Bettchen
daß ich es auf mich nehmen würde, wie Sie sagen? Wies
kein Zöfchen, das dir die Hände küßt, keine verliebte
war das möglich?
Exzellenz, die Rosen schickt... nichts mehr davon, eine
Anastasia Karlowna. Vielleicht war es ein
Weibsperson bist du, die sich mit ihrem Liebhaber in
Wunder, du hast recht, Täubchen. Es gibt Zufälle im Leben,
ein Abenteuer gestürzt hat. Hast du mich verstanden
die wir als Wunder ansehen müssen, sonst verlieren wir den Und daß du nicht aus der Rolle fallen darfst, nicht einmal
Glauben an die Gerechtigkeit.
im Schlaf, hast du das verstanden? Und daß du dich
des Nachts zu ihm ins Bett legen mußt (Bewegung
Lukardis. Ich war sofort entschlossen, Sie wir
Lukardis), siehst du, wie du erschrickst, das mußt du, daS
es ja, aber Sie wissen nicht, daß ich von dem Augenblick an
mußt du, ich hab' dir's ja gesagt, da gibt's kein Zurück, da
nicht aufgehört habe, über mich selbst zu staunen. Es geschieh
heißt es entweder — oder. (Etwas gemäßigter; raunend.
etwas mit mir, und ich bin ohnmächtig gegen das, was mich
Wenn der Bursche, der Aufwärter, oder diese Schlumpe, die
zwingt
Magd, hereinkommt, weißt du doch, was du zu tun hast
Anastasia Karlowna. Ja gewiß, Herzchen, du
Dann setzt du dich auf Nadinskys Knie, schlägst die Arme
brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Man hat ein Bild von
um seinen Hals, so. Ich zeig' dir's. Mach mir's nach. Nicht
einem Menschen, und wenn dann der Mensch dem Bild
so schüchtern. Frecher. Noch frecher. Das Fleisch beißt nicht
gleicht, weiß man, Gott ist mit ihm einverstanden. Komm..
Leg' deine Wange fester an meine. So. (Alles dies durch
(Zieht sie in den Alkoven, dessen Portieren offen bleiben
Stellungen entsprechend illustriert.) Lass' den Kopf nicht
ist ihr beim Auskleiden behilflich, kniet nieder, um ihr die hängen dabei. Mach' keine Trauermiene. Du mußt lachen
Stiefel aufzuschnüren. Währenddem mit gepreßter Stimme.)
Du hast ja wundervolle Zähne. Also lache mal. Nicht
Du hast doch alles im Gedächtnis behalten, was ich dir ein¬
Herausfordernd. Verschlagen. Gemein. Schon besser. W
geschärft habe, Täubchen?
es schon lernen, mußt eben. Was steckt nicht alles in
Menschen drin — was er nicht weiß. Ich hab die zimper
Lukardis (nickt). Ja. Alles
lichsten Frauenzimmer zu Kokotten werden sehen, wo nicht
Anastasia Karlowna. Achte auf dich, achte an
der hundertste Teil von dem auf dem Spiel stand wie hier
die geringste Gebärde. Jedes Wort... einzige Un¬
Anständigkeit ist billig. Die viel Aufhebens von ihrer
geschicklichkeit und er kann verloren sein.
Weiberehre machen, tun es meistens nur, weil sie keinen
Lukardis (streng). Wenn ich nicht daran dächte
Abnehmer dafür finden. Wer sollte es wagen, deine Ehr
wäre ich doch eine Närrin, daß ich mich dazu hergebe.
anzutasten, wenn du das vollbracht hast, he?
Anastasia Karlowna. Heute ist Dienstag
Lukardis (fasziniert). Ich habe nicht geahnt, was
Donnerstag vormittag bekomm ich den Auslandpaß für ihn
für eine Frau Sie sind, Anastasia Karlowna. Ganz wild sind
(Noch leiser.) Boris Krasnuchs selbst hat es mir versprochen
Sie ja, ganz wild..
Von dieser Minute bis übermorgen zehn Uhr liegt Nadinski's
Schicksal in deiner Hand, ###hchen
Anastasia Karlowna (auflachend). O. Geschöpf-
Lukardis. Hoffentlich bleiben die Eltern im Glauben
chen? Was du schon ahnst. Puppenmütterchen.
daß ich bei Sinaida in Petersburg bin.
Lukardis. Sagen Sie nicht Suppenmütterchen zu
Anastasia Karlowna. Warum sollen sie dir
mir. Leben nicht alle in einer Welt, die sie sich erst dichten
mißtrauen? Haft du sie je belogen? Noch nie. Siehst du. Ich
Anastasia Karlowna. Na gut. Aber merk-
geh von hier aus gleich hin. Ich werde auch trachten, daß ich
dir eins: Wir dürfen uns nicht kostbar machen. Das Leben
mit Peter Iljitsch, deinem Verlobten, sprechen kann. Der ist
hat überhaupt nur einen Wert, wenn man es opfert. Du bist
am meisten zu fürchten. Argwöhnisch ist er wie ein Tatar
schön, du bist jung, du hast natürlichen Instinkt, was ist da
Du aber hab' keinen anderen Gedanken als an deine
weiter schwer? Auch er (auf Nadinsky deutend) hat alles
Aufgabe.
geopfert für die große Sache unseres Volkes.
Lukardis. Aengstigen Sie sich nicht, Anastasia
Lukardis (steht auf, mit Festigkeit).- Das Tun
Karlowna; wie sollt’ ich Sie denn enttäuschen, da ich doch
selber ist nicht schwer, Anastasia Karlowna. Nur über die
nun bin, wo ich bin...
Angst Herr zu werden, ist schwer. Aber ich hab' kein
Anastasia Karlowna (leidenschaftlich, wie über¬
haupt ihr Wesen immer dringlicher und heftiger wird). Ge-
Anastasia Karlowna. Wir müssen ein Ende
nug geschwatzt. Zuviel Worte.
machen. Gott segne dich, Täubchen. Leb' wohl. Wahrhaftig,
hört, Louise von Koburg, Freilich, sie soll durch Schwachsinn
einsamter, er war voll Sehnsucht, und er kochte seine Pläne
nicht gesellig. An Menschen seiner Klasse ist diese Eigenschaft
verhindert gewesen sein. Aber dieser Schwachsinn ist ein wenig
seine Entschlüsse immer wieder allein.
oft zu beobachten. Das Interesse, das Mattachich nahm, be¬
Total gebrochen kehrte er zurück und erzählte. Er hatt
schränkte sich in seiner glücklichen Zeit auf Pferde, auf den
plötzlich eingetreten, wie man zugeben muß.“ Ich schrieb
sich an den Lindenhof herangepirscht, hatte in Erfahrung ge
Dienst, auf Ritte ins Freie. Er war kein Causeur, kein
„Die Prinzessin Louise hat den Willen geäußert, sich von
ihrem Mann scheiden zu lassen, um den weniger hochgestellten
bracht, daß der Prinzessin Ausfahrten gestattet wurden. Er
Salonheld, andererseits auch kein Kartenspieler oder Trinker,
aber mehr geliebten Mattachich zu heiraten. Es heißt, daß der
lauerte ihr auf und warf einen Brief in ihren Wagen, aber
und auf ihn übten auch die Genüsse des „Mulatschaks“, der
prinzliche Gemahl und der königliche Vater in gleicher Weise
die Begleiterin der Prinzessin fing den Brief ab, nahm ihr
mit Weibern durchjubelten Nächte, nur ganz geringen Reiz
darüber entrüstet sind und daß man, um solch ein Beginnen
an sich und übergab ihn dem Dr. Pierson. Mit den Aus¬
Genug, jetzt tat er, was man ihm zu tun empfahl und was
fahrten war es nun vorbei. Alle anderen Versuche, sich der
zu vereiteln, die arme Frau in Gewahtsam sperrt. Nach
er selbst als zweckmäßig erkannte, tat es still, bescheiden und
Gefangenen zu nähern oder irgendeine Person aus dem zwerlässig
unseren bürgerlichen Begriffen ist eine Prinzessin, die einen
gewöhnlichen Sterblichen ehelichen will, darum noch lange nicht
Lindenhof für sich zu gewinnen, blieben fruchtlos. Mattachi¬
Die Mühe fand ihren Lohn. Da auch jede öffentliche Er¬
schwachsinnig. Auch wird solche Heirat niemanden besonders
besaß kein Geld, um jemanden zu bestechen. Er mußte Koswig
örterung eingestellt wurde, schlief die Sache ein und das Gras
verlassen, kehrte nach Wien zurück, um sehr bald nachhe
aufregen und die Welt wird weiter bestehen.“ Schrieb zuletzt
eines ganzen Sommers wuchs darüber
„Das öffentliche Rechtsbewußtsein ist im Begriff, sich zu
wieder die gleiche Reise zu unternehmen. Diesmal per Zwei
Im August des Jahres 1904 erschien in den Blättern
empören. Man muß es so rasch als möglich beruhigen. Das
rad. Damals gab es keinerlei Paßzwang, und so gelang e
die Nachricht, Prinzessin Louise von Koburg werde sich nächster
ist für uns Oesterreicher weitaus wichtiger, als daß ein Prinz
ihm ohne Mühe, Koswig zu erreichen. Jetzt aber fand er eine
Tage zur Kur nach Bad Elster begeben. Für die Dauer von
der uns gleichgültig ist, seine Genugtuung, ein König, der
gründlich veränderte Lage. Die Gendarmen waren überall
drei Wochen. Und — natürlich — unter entsprechender Be
uns nichts angeht, seinen Willen hat.
auf seinen Fersen, hezten ihn wie ein Raubwild und er hörte
machung.
es sei von einer der höchsten Stellen der Befehl ergangen
Sofort kam Mattachich: „Jetzt?!“
Keiner von den großen Herren muchste sich. Keiner
Die Antwort war: „Jetzt nicht — aber bald!“
den Mattachich einfach niederzuknallen, wo man seiner in de
widersprach. Sie wischten sich die Ohrfeigen, die sie bekommen
Umgegend des Lindenhofes habhaft werde. Er war trostlos
Er fragte, mit Widerspruch im Ton und mit zornigem
hatten, vom Gesicht und hielten den Mund. Keiner wagte den
Zunächst also ergab es sich als Notwendigkeit, über diese
Staunen: „Warum nicht jetzt gleich?
Versuch, das öffentliche Rechtsbewußtsein zur Ruhe zu
Geschichte Gras wachsen zu lassen. Damit das Gras schnelle
Antwort: „Weil jetzt die Bewachung zu scharf, zu
bringen. Tamals galt noch in Oesterreich der fundamentale
und dichter wachse, verpflichtete sich Mattachich, auf keine
Grundsatz: ein Mann von der Feder darf weder beachten
ängstlich, zu aufmerksam sein wird.
Er voll Ungeduld: „Also — wann?“
Weise und durch keine angebliche Vertrauensperson eine Zeile
werden, geschweige denn recht behalten. Diese Wirkungs¬
an die Prinzessin zu senden. Er mußte so tun, als habe e
losigkeit war mit unbedingter Sicherheit zu erwarten gewesen
Antwort: „In der letzten Nacht! Vor der Abreise der
Prinzessin!“
sie aufgegeben, als wolle er sie vergessen. Mattachich sollte sich
Toch die andere, gleichfalls erwartete Folge stellte sich pünkt-
Kuurrend die Frage: „Warum?“
in den Wiener Kaffeehäusern zeigen, in den Nachtlokalen
lich ein. Die Wirkung auf breite Schichten des Publikums
sollte sich, wenn möglich, auch mit den Dirnen und Dämchen
Endlich begreift er: Die drei Wochen müssen in aller
Der Glaube an den Spruch des Militärgerichtes war zerstört
dieser Lokale im Gespräch sehen lassen. Mattachich nahm
Ruhe verstreichen. Keine Spur von Mattachich! Kein Zeichen
das Zutrauen in das erlauchte Hofmarschallamt vernichtet
diese Aufgabe auf sich und führte sie mit der ganzen verbissenen
einer versuchten Befreiung! Dann, in der letzten Nacht, wenn
die Entrüstung über das doppelte Unrecht allgemein
Hartnäckigkeit durch, die er besaß. Gegen das Entsetzliche
alle, bevor sie zu Bett gehen, Gott danken, daß nichts ge-
Praktisch half das freilich wenig, um Mattachich zu rehabili¬
was er erlitten hatte, schien das ja leicht. Dennoch kostete
schehen, daß auch nichts mehr zu fürchten ist, in dieser letzten
tieren, half zur Befreiung der Prinzessin gar nicht. Aber e
ihn gerade diese Rolle große Ueberwindung. Er taugte schlech
Nacht, wenn alle sich friedlichem Schlaf hingeben — dann
blieb eine Vorbereitung für beides.
dafür, fand sich nur schwer darin zurecht
Zwei Wochen weilt Louise in Bad Elster, Mattachich
Unterdessen jedoch hätte mein Ratschlag, an Mattachick
Es ist schon gesagt worden, wie sehr ihn das Schicksal
spaziert in Wien umher, als kümmere ihn Louise von Koburg
in jener Nacht gegeben, beinahe alles und für immer ver¬
der letzten Jahre vereinsamt hatte. Er trug das beständig
gar nichts, als sei sie ihm gleichgültig geworden.
eitelt. Mattachich hatte durch diesen Rat, hatte auch meine
Eines Tages kommt er zu mir und berichtet. Er ist
bohrende Gefühl des Unrechtes, das er selbst, mehr noch des
Veröffentlichung plötzlich zu viel Mut bekommen. Er ließ all
Unrechtes, das die Prinzessin erdulden mußte, in seinen
nicht untätig gewesen. Hat einen Vertrauensmann, der
Lorsicht, ließ jede Zurückhaltung beiseite und fuhr nach
Innern. Er war von seiner Familie ausgestoßen, war von
Bad Elster im selben Hotel wie Louise wohnt und die Ver¬
Koswig in Sachsen. Dort war Dr. Piersons Heilanstalt, in
seinem Gesellschaftskreis boykottiert. Dazu wühlte die Sehn-
bindung mit ihr herstellt. Er selber, Mattachich, wird erst
welcher Louise seit nunmehr sechs Jahren gefangen schmachtete.
letzten Abend in Bad Elster erscheinen
sucht nach der geliebten Frau in seinem Herzen Allein, von
Zweimal reiste er nach Koswig in rascher Aufeinanderfolge.
Borttefflich
Er hatte niemanden gefragt, er war ein gänzlich Ver- diesen Dingen abgesehen, war er ganz bedürfnislos und gar