A231: Parabeln, Seite 4

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G.H.F.P
Parabel.
An einem schönen Sommertage ritt ein Reiter in heiteren Gedanken
seines Wegs, als er an Rande der Landstrasse einer Kapelle gewahr
wurde und nach seiner frommen Art sich gedrängt fühlte darin seine
Andacht zu verrichten. Er band sein Ross an einen Baum, trat in die
Kapelle und liess ein inbrünstiges Gebet zu Gott aufsteigen, als er
merkte, dass sich die rechte Sammlung in seiner Seele nicht einstel-
len wollte; und bald entdeckte er zu seinem Schrecken, dass er,
statt seine Gedanken zu Gott emporzurichten, immer an sein Rösslein
denken musste, das draussen wohl angebunden, aber doch ohne weitere
Bemachung des Herrn wartete. Und binne kurzem war ihm wirklich,
als hörte er draussen ein verdächiges Geräusch. Rasch erhob er
sich von den Knieen und kaum war er ins Freie getreten, so sah er,
wie er beinahe schon gefürchtet, ein paar hundert Schritte
entfernt einen Unbekannten auf dem Ross ins Weite sprengen. Weit
und breit war kein andrer Mensch zu sehen und als endlich auf sein
Rufen und Schreien einige Landleute herbeikamen, war der Dieb auf zu
seiner leichtfüssigen Beute längst verschwunden. Schon drängte sich
ein Fluch dem Bestohlenen auf die Lippnen, als ihm zur rechten
Zeit einfiel, dass ihm nur nach Recht geschehen war, indem Gott
ihn auf solche Weise für seine Unaufmerksamkeit im Gebet bestraft
habe. Hiebei beruhigte er sich fürs Erste, und war schon ganz bereit
was ihm begegnet als einen neuen Beweis für Gottes Allgegenwart
und Gerechtigkeit zu preisen, - als er erfuhr, dass der Rossdieb
eingefangen und aufgehängt worden war. Hierüber aber geriet der
fromme Mann in heftige innere Gewissenszweifel, da er ja wusste,
dass jener Dieb nur das Werkzeug eines göttlichen Willens gewesen
war und somit keine Strafe verdient hätte. Doch er erinnerte sich
allmählich, dass Gott auch sojon in vielen anderen Fällen allerlei-
Verbrechen, die doch auch nur mit seiner Zustimmung, ja auf sein
Gebot hatten geschehen können, auf das Härteste, sei es auf einfa-
chem Weg, oder durch Vermittlung menschlicher Richter gestraft
hätte und dass auch eine solche Bestrafung von den Priestern und
anderen weisen Männern als Beveis göttlicher Allgegenwart und Ge-
rechtigkeit gepriesen worden war. So gab er es denn für eine Weile
auf, der Sache weiter nachzugshen, bis ihn kommt eines Tages