II, Theaterstücke 14, Der Schleier der Beatrice. Schauspiel in fünf Akten (Shawl), Seite 384



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Ausschnitt aus:
Leipziger Tagblatt
vom: —
Theatralische Rundschau.
„Der Sprung in die Tragödie aus dem modernen Kon¬
versations= und Salonstück beraus ist nicht leicht und er ist dem
Wiener Dichter Arthur Schnitzler jetzt ebenso mißlungen,
wie früher Gerhart Hauptmann der Sprung aus dem
naturalistischen Drama der Gegegenwart in das Geschichts¬
drama, als er seinen Florian Geyer abfaßte. Ein fünf¬
aktiges Versdrama von Artbur Schnitzler: „Der Schleier
der Beatrice“ hat am Deutschen Theater in Berlin eine
sehr geteilte Aufnahme und bei der Kritik scharfen Tadel ge¬
funden. Die Handlung spielt in Bologna, etwa um das Jahr 1500
„als Cesare Borgia die Stadt belagerte“. Davon merkt man
nichts, daß das Damoklesschwert über der Stadt schwebt;
es geht darin sehr lustig und wüst zu und man feiert Hoch¬
inclusive
zeiten, wie im tiefsten Frieden. Die Heldin, Beatrice Nardi,
Porto.
verbittet sich jeden Vergleich mit der Beatrice Dantes; sie hat
Zahlbar
im Gegenteil alles von dem Erdgeist in dem Stücke von
im Voraus.
Teresina im Stich, um der schönen Beatrice willen; aber jitte ist das
auch bei Filippo ist nicht lange ihres Bleibens. Sie erzählt steht es den
ihm, daß sie von dem Herzog von Bologna geträumt habe, ändern.
und wegen dieses schönen Traums trennt er sich von ihr; sie
geht zu Vittorino, dem Geliebten Nummer zwei. Bald zeigt uthaltend die
es sich indes, daß ein Traum Wahrheit ist. Sie begegnetr Morgen¬
dem Herzog, der sie ohne weiteres anredet und einladet, zumer Zeitung")
ihm aufs Schloß zu kommen; das will sie nur, wenn irthschaftliche
dem d. Diese Mit¬
er sie heiratet. Und er heiratet sie und
zu
glanzvollen Hochzeitsfest werden alle Dirnen Bolognas ein¬
geladen. Merkwürdigerweise schleicht sie sich von dem Feste
fort und begibt sich zu ihrem Liebhaber Nummer eins,
Filippo. Vittorino, der zweite, hat sich inzwischen das Leben
genommen. Filippo soupiert gerade mit zwei Damen; es
wird ein Doppelselbstmord verabredet, doch nur Filippo,
der ihr eine fulminante Rede gehalten, geht dabei zu grunde.
Sie selbst bleibt am Leben und begiebt sich wieder zum
Hochzeitsfest. Da frägt sie der Herzog nach ihrem Schleier,
den sie bei Filippo gelassen hat. Dorthin kehrt sie mit dem¬
Herzog zurück; es kommt zu aufgeregten Seenen und Francisko,
der Bruder der Beatrice, ersticht seine Schwester. Sowie
die Berliner Blätter die Handlung erzählen, ist sie eine
Folge von lauter Unbegreiflichkeiten und die nähere
Motivierung des Dichters wird so gewagt sein, daß dadurch zu¬
meist die Sache nicht besser wird. Eine Menge von Neben¬
personen und blutigen Episoden sind in die Haupthandlung
verwebt. Die Darstellung ließ viel zu wünschen übrig;
nur Irene Tresch deckte einigermaßen die Titelrolle, Herr
Rittner aber mit seinem naturalistischen Spiel durchaus
nicht diejenige des Filippo, dessen effektvolle Hauptrede er
nicht zur Geltung gebracht haben soll.
Die Geschichte der italienischen Republiken und ihrer K
=Bürgerkriege scheint, wie ja auch „Monna=Vanna“ beweist,
jetzt eine Hauptquelle der modernen Dramatik zu sein. Indessen
kehren einige Dichter auch zum deutschen Märchen zurück.
Marx Moeller hat eine fünfaktige Legende „Dorn¬
röschen“ geschrieben, welche am Berliner Theater zur Auf¬
führung kam und vom dritten Aufzuge ab lebhaften Beifall fand.
Sie ist ein Versdrama wie der „Schleier der Beatrice“. Das
moderne Drama segelt jetzt unter der Flagge der lyrischen Neu¬
Romantik. Märchen, Legenden und abenteuerliche Novellen
aus der Renaissancezeit — das ist die neueste Mode. Stoffen
wie „Dornröschen“ waren bisher für die Weihnachtszeit
reserviert, wo die Theater die Kinder zu sich kommen lassen.
Goerner hat sie sehr hübsch für das kommende Geschlecht
zurecht gemacht. Jetzt wird die Sache ernst genom¬
men und tieferer Sinn hineingeheimnist. Man rühmt
der Moellerschen Dichtung nicht nur lyrische Schön¬
heiten nach, sondern auch eine Vertiefung des Stoffes
durch religiöse Motive. Das Christenthum ist der siegende
Prinz, der zu den Schläfern in dem festverschanzten Schlosse
hindurchdringt; nicht das Schwert, nicht heiße Liebessehnsucht,
sondera die Macht des Glaubens verschaffen den Sieg.
Diese Hauptscene gewährt auch ein glänzendes theatralisches
Bild. Es wird zwar viele geben, welche die Naivetät des
alten Kindermärchens vorziehen; doch auch der größere
geistige und scenische Aufwand hat sein Publikum gefunden.
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