II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 378

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Zyklu-
4.9. Anato

Ausschnitt
Dortmunder Zeitung
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Stadttheater.
französischen Schauspiels. Zur Hauptsache ist er aber gut. Man lachte laut und leiste und wechselte bei den
nur die Verkörperung der Einwürfe, die sich Anatol
besonders gepfefferten Stellen verständnisinnige
Matinée des Theatervereins.
gegen seine eigene Lebensauffassung selbst macht. Blicke. Ich sah manchen guten Familienvater, der
Anatol.
Oder vielmehr Liebesauffassung. Denn nur der Teil die Matinee offenbar beinahe so angeregt hatte, wie
des Lebens, den die Dichter und anderen, die mit der übliche Frühschoppen im Nordstern. Natürlich
Drei Einakter von Arthur Schnitzler.
bedrucktem Papier handeln, Liebe nennen, wird in wurde auch Opposition laut. So meinte ein spätes
Der erste Theaterverein ist von einem gewissen
Frage gezogen. Leben dagegen haben die süßen Mädchen, das dem Liebesgott wohl keine Schlach¬
Sophokles in Athen gegründet worden. Dieser Herr Mädls von Wien. Ich brauche sie nicht zu zeichnen, ten mehr abgewinnen konnte, die Jungfrau von Or¬
befaßte sich mit der Anfertigung von Theater
Der Typus ist allbekannt. Oder kennt etwa jemand leans sei doch netter. Das höchste Verständnis verriet
stücken. Aber das ist schon lange her, deshalb ist
die kleinen Dinger nicht? Die mit dem kastanien¬
aber mein Nachbar, ein junger Mann. Nach Schluß
zurzeit in den weitesten Kreisen unbekannt. Sein
braunen Haar (natürlich fesch hergerichtet, mit den der Vorstellung drückte er mir gerührt die Hand
Theaterverein hat auch mit dem hiesigen nichts zu blauen Augen (Vergißmeinnicht in Milch gekocht, und sagte mit sentimentalem Augenaufschlag: „Was
schaffen. Wenigstens ist in diesem vom Sophoclei
mit der eleganten Figur (alles stramm beieinand), ist ein Lieben ohne Liebesglanz!" Ich aber, durch
schen Geiste nie etwas gespürt worden. Und doch dazu Humor, Grazie und vor allem das Wiener die Vorstellung ganz verwienert und natoll ge¬
ist das Beiden gemeinsam, daß sie am letzten Ende Herz und Gemüt!
worden, erwiderte: „Erzählen Sie das der Frau
die Pflege der dramatischen Kunst auf
All dem wurde die Darstellung nur zum Teil Blaschke (auf norddeutsch: Ihrer Waschkrau), Ban¬
ihre Fahne geschrieben hatten. Mit dramatischer
gerecht. Herr Matthias (Max) spielte seine körperlos¬
schabel ölendiger!
Kunst haben aber die Schnitzlerschen Einakter nichts Rolle gut und korrekt und wußte ihr Leben einzu¬
So endere diese Matinee zu Nutz und Frommen
zu tun. Es ist daher sonderbar, daß der Theater= flößen, was dem Verfasser nicht gelungen war. Herr
verein sie sich, noch dazu in einer Separatvorstel
Kaufmann (Anatol), spielte seine Rolle viel zu ernste des Theatervereins und der dramatischen Kunst.
lung vorspielen läßt. Wer der Vater dieser mehr haft und überlegt. Der Darsteller des Anatol muß
F. K.
als merkwürdigen Idee war, mögen die Götter leicht auch über die ernsten Gedanken, die er aus¬
Theaternachricht
wissen. Uns minderbegabten Sterblichen sei die spricht, hinweggehen. Er darf ihnen nicht mit nord¬
Wegen Verhinderung des Herrn Mayr wird am
Nachforschung nach dieser peinlichen Vaterschaft ver
deutscher Gründlichkeit und Gewissenhaftigkeit au
Mittwoch, den 13. März, nicht „Der Strom ge
boten.
den Zahn fühlen. Darunter leidet der Flügelstaub
geben. Es kommt vielmehr das beliebte Lustspiel:
Anatol hat also mit der dramatischen Kunst
der zarten Charme, die auf dem Ganzen ausgebreitet Im weißen Rößl“ zur Aufführung.
nichts zu tun. Ja, es ist sogar fraglich, ob er über liegt. Es ist verfehlt, die Pointen zu unterstreichen
haupt in das Gebiet de Kunst gehört oder nicht man muß sie mildern dadurch, daß man sie nur
vielmehr auf der Grenzlinie liegt, wo die Kunst andeutet. Das scharfe Pointieren hat auch noch ein¬
aufhört und die Kunstfertigkeit beginnt. Es wäre andere Gefahr: dadurch wird leicht die Frivolität
abgeschmackt, zu rügen, daß die Einakter leichtfertig zur Frechheit und das kecke Witzwort zur Zote. Vor
und frivol sind, oder, wie man heuzutage sagt
allem war das Abschiedssouper mißlungen. Hier
frei. Sin sind dafür manchmal witzig, öfters aller darf Anatol nicht im Mindesten seinen Arger zeigen.
dings nur geistreichelnd. Aber all dies ist ja keine Man darf ihn vielmehr nur erraten.
Kunst.
Von den süßen Mädls kam Frl. Hrubesch (Bi¬
Dabei sind die Dinger garnicht so leicht zu spie¬
anca) dem Richtigen am nächsten. Sie gab am
len. Die Hauptsache ist Milien und Lokalkolorit rich= meisten Lokalkolorit. Frl. Lagarst (Cora) dagegen
tig zu treffen. Dann bietet die Darstellung der ein
war zu steif und Frl. Habermeyer war teils gekün¬
zelnen Personen keine zu großen Schwierigkeiten stelt, teils naiv als Annie. Daß diese aber naiv sei
mehr. Anatol ist der Typ des Wiener Don Juans
kann ihr ihre intimste Feindin nicht vorwerfen.
Er ist nicht, wie er einmal von sich selbst sagt, ein
Es ist überhaupt ein altes, ungeschriebenes Gesetz
leichtsinniger Melancholiker der Liebe. Er ist viel¬
in der Weiner Stadt, daß die Mädchen mit dem
mehr leichtlebig, leichtfertig, witzig, brutal, zynisch; Tage der Konfirmation aufhören, nicht nur naiv
alles dies ist aber durch eine gewisse Gemütlichkeit
zu sein (das ist auch hier so), sondern zu scheinen.
und Neigung zur Selbstironie gemildert. Sein Noch dazu eine Balleteuse! Hab's an Idee
Freund Max ist dagegen eine seelenlose Theater
Das ausverkaufte Haus spendete reichlich Beifall.
figur. Einmal vertritt er den Vertrauten des alten Und was noch mehr besagen will, es amüsierte sich