II, Theaterstücke 4, (Anatol, 8), Anatol, Seite 651

4.9. Anatol - Zyklus
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5 .. Mlle Freie Presse, Wien
un
Artur Schners Anatol fand bei seiner Erst¬
aufführung am Darmstädter Hoftheater den lebhaften Beifall
des dichtbesetzten Hauses, und zwar gefielen nicht nur
„Abschiedssouper" und „Hochzeitsmorgen", die ihrer Publikums¬
wirkung überall sicher sind, sondern auch die mehr für
Kammerspiele berechneten Einakter „Frage an das Schicksal
und ganz besonders „Episode". Die Aufführung mit den
Herren Ehre und Westermann in den männlichen
Hauptrollen war vortrefflich. Die Regie führte Generaldirektor
Dr. Eger selbst, der es verstand, in der hervorragendsten
Art den Intentionen des Dichters gerecht zu werden. Doktor
Eger hat uns nun neben Hofmannsthal. Rittner und Bahr auch
die Bekanntschaft mit Schnitzler in mustergültiger Weise ver¬
mittelt. Wie verlautet, soll dem „Anatol demnächst „Der ein¬
same Weg folgen. In der „Frage an das Schicksal hatte
eine Debutantin, Helene v. Sonnenthal, eine Enkelin
Adolf v. Sonnenthals, einen hübschen Erfolg.
So sehen wir denn Stoßen.
nur politisch, wie im vorigen Aufsatze erörtert einzelner besonders wichtiger Platze des platten ung der Bahnverbindungen, deren
und was verdanken sie der Stadt, unserem vielge¬ ziergänger Daniel Spitzer. Sie sind dahin
sen
und andere Tüchtige sind verstummt oder alt ge¬
tadelten und doch so vielgeliebten Wien?
Jung=Wiener Geschichten. Be¬
— dies worden. Die anspruchsvoller und ernster gewor¬
Freilich verkörpert der „Wiener Verlag
dene Zeit verlangte gebieterisch eine Vertiefung des
* Das Schlagwort „Jung=Wien“ hat vor mehr muß, um Irrthümern zu begegnen, vorher erwähnt
Genres, wollte es aus dem Unterhaltenden in
werden — nicht die gesammte deutsch=österreichisch
als zehn Jahren Herrmann Bahr in die Menge ge¬
Produktion. Aber es ist sehr bezeichnend, daß die Künstlerische gerückt, heischte Gestalten. So ist die
worfen. Er verstand darunter vor Allem sich,
„Jung=Wiener Geschichte" entstanden.
jenigen Autoren, die ihm fehlen, gerade diejenigen
dann die von ihm entdeckten Hoffmanns¬
Man merkt ihre Abstammung im Guten wie im
sind, die gar nichts Wienerisches und überhaupt
thal und Andrian, wohl auch Schnitz¬
Schlimmen klebt viel Feuilletonistisches an ihr. Im
ler und Dörmann, die damals anfingen, nichts Großstädtisches haben. Zu ihnen gehören
Guten: sie ist meist anmuthig erzählt, allerlei
Den Feuilletonisten der älteren Generation wollte vor Allen Frau v. Ebner=Eschenbach, die
leichte, ironische oder sentimentale Betrachtungen
leider weit mehr Anerkannte als Gelesene, und I
er die Dichter der neueren Zeit entgegenstellen. Als
I. David, der schwermüthige Poet, dessen Er= dominiren und werden in glänzende Worte umge¬
er später wohlbestallt wurde — nicht als Revo¬
prägt. Im Schlimmen: die Erfindung ist flüchte
zählungen und Gedichte voll herber Reize sind; auch
lutionär, sondern als Journalist —, gab er die ihm
fast leichtfertig, die Charakterisirung ist äußerlich
nunmehr gleichgiltige Sache auf. Aber das „junge Rosegger, der leider in letzter Zeit durch über¬
geht niemals rief und begnügt sich mit einigen Fi
mäßige Fruchtbarkeit und Flüchtigkeit die Freude
Wien“ ist daran nicht zu Grunde gegangen; ja, es
guren, die bald so typisch geworden sind wie die
hat sich erweitert, neue Talente sind aufgeknospt an einer ungewöhnlich naiven, im Ernsten und
Masken des italienischen Lustspiels. Am deut¬
und — was fast noch wichtiger ist — sie haben sich Heiteren meisterhaften Darstellungskunst trübt
lichsten sieht man den Uebergang vom Feuilleton zur
Sie sind Alle keine Wiener, Alle ein bischen schwer¬
ein, wenn auch anfangs noch recht spärliches Publi¬
Wiener Geschichte in Schnitzlers „Anatol¬
kum erobert. Es hat sich ein Unternehmen gebildet,
fällig, ohne Koketterie, selbstgefällige Blasirthei
Es sind drei Figuren, die wir kennen lernen: den
und Preziosität. Das aber sind die Eigenschaften,
das den für den Lokalpatrioten recht beschämenden
blasirten und nach neuen Sensationen lüsternen
die man hier wie im Reich von dem Begriffe „Jung¬
Titel „Wiener Verlag“ mit Recht führen darf.
Lebemann (bei den Jüngeren ist er meist noch Lebe¬
Wien“ nicht trennen mag. Nicht ganz mit Unrecht
Denn es ist nicht nur der erste, sondern auch der
jüngling), das warmblütig hingebende, meist sen¬
und diese Fehler verbinden sich mit einem viel tiefe¬
einzige beträchtliche schöngeistige Verlag in Wien,
ja auch in Deutsch=Oesterreich. Bis jetzt waren ren: dem Mangel an Größe. Ein mächtiger Ge=timentale süße Mädel" und den Freund, der alle
unsere Schriftsteller gezwungen, ihre Werke über die danke, in eine poetisch umfassende Form geprägt, ist Klugheiten zu sprechen hat, eine lebendige Aphoris
Grenze zu schicken. Deutsch=Oesterreich war früher
mensammlung; er ist nichts als der wohlbekannte
noch keinem Jung=Wiener aufgestiegen. Schnitzler.
auch hierin eine prächtige Ausnahme, fehlt, obwohl „Raisonneur“ der französischen Komödie. Schnitz¬
gänzlich und ist noch jetzt großentheils literarisch
ein von Deutschland erobertes Reichsland. Man er als Schutzpatron der Wiener Moderne gilt, dem
ler hat später, als er ausgereift war, diese Figuren
„Wiener Verlag
zu Menschen umgewandelt — wir erkennen sie
Was uns die „Jung=Wiener
mag noch so national denken, dieser Zustand war
bieten, ist kleine, bei den Manieristen — z. B. dem wenn wir ganz genau hinsehen, noch im „Schleier
nicht nur demüthigend, sondern auch schädlich.
so lächerlich überschätzten Peter Altenberg¬
der Beatrice". Aber wie sind sie da vertieft und wie
Das in alten Tagen größte Kulturzentrum des
deutschen Volkes hatte einer fast amerikanisch auf¬
kleinliche Arbeit. Es charakterisirt sie, daß ihner
viele andere Menschen hat ihnen der Dichter später
strebenden, künstlerisch grobfühligen Parvenustadt nicht nur die Größe der Gedanken, sondern auch die noch zur Gesellschaft gegeben! Die anderen „Jung¬
Größe der Kompositionskraft fehlt. Es gibt keinen Wiener haben sich allzu häufig nur mit der Variir¬
nicht nur die Führung abgegeben, sondern sich ihr
Wiener Roman. Die Domäne unserer Moderne
ung dieser Gestalten begnügt...
auf Gnade und Ungnade ergeben müssen. Man
muß kein berufsmäßiger Lokalpatriot sein, um zu ist die kleine Geschichte, bald heiter, bald tändelnd
Der Beste unter ihnen ist Raoul Auern
beklagen, daß die Stadt Grillparzers und Anzen wehmüthig, der literarische Walzer. Das weist
heimer, den Münchnern aus der „Jugend“ und
uns auf den Ursprung des Genres; er ist das einst auch aus dem „Simplicissimus wohlbekannt
grubers keine literarische Vertretung hatte. So hat
dieser „Wiener Verlag, dem unsere das Wiener
so rühmlich bekannte Wiener Feuilleton. Das war
Nun ist die erste Sammlung seiner Geschichten er¬
schienen, die nach einer — nicht der werthvollsten
thum sonst so eifrig kultivirende Tagespresse nur die anspruchslose, ungezwungene Plauderei, bei der
wenig Beachtung schenkte, schon durch seine Existenz
Novelle „Rosen, die wir nicht er
der Verfasser mit sicherer Eleganz vom Hundertsten
— und fast mehr durch diese als durch das, was er
in's Tausendste und vom Tausendsten in's Tau=reichen" heißt. Man kann den Eindruck, den die
bot, — aufrichtend gewirkt. Große Entdeckungen sendunderste kam, ohne andere Aufgabe, als zu
Skizzen auf den Leser machen, in ein Wort zu
sammenfassen: Liebenswürdig. Ja, es ist wohl
sind ihm bisher noch nicht geglückt, aber er hat uns amüsiren, verblüffend geschickt auch die scheinbar
zum ersten Male Wiener Autoren in ihrer Ge¬
unbedeutendste Sache so zu wenden, daß ein über¬
selten in der deutschen Sprache ein liebens
würdigeres Buch geschrieben worden. Man hört
sammtheit gezeigt, und da liegt es nahe, zu prüfen,
raschendes Licht auf sie fiel. Die größten Meister
was sie eigentlich leisten, und wie sie vor dem Aus¬
des Feuilletons waren im Ernsten Ferdinand
einen jungen Mann, der uns mit sanftem Lächeln
land bestehen. Was bedeuten ihre Persönlichkeiten Kürnberger, im Heiteren der „Wiener Spa¬ die petites ornautés de la vie zeigt. Er ist nie