Wiener Porträts.
Schleierumhüllt liegt die Stadt noch im halben Winterschlaf, und draußen auf den
freieren Höhen pocht der Frühling schon an die Thore. Da liegt der Garten in der
jungfräulichen Pracht des Werdens, die Stöcke noch vom Reif umfangen, der Rasen aber
schon fett und locker und erdig duftend. Ein letzter Sonnentag und die Keime tauchen
empor ans Licht zur Auferstehung. – Ein Haus, eigenartig und sonderbar, paßt mit der
Nüchternheit der Mauern, mit den Fenstern, die wie aufgerissene Mäuler aussehen,
nicht recht in die herbe Landschaft.
Nur ein Marillenbaum hat seine Blüthenpracht entfaltet und grüßt mit den bestreuten
Zweigen. Es ist schier unangenehm, daß die Natur sich nicht dazu verstehen will,
einem modernen Haus die richtige Stimmung zu geben, die Blüthen sollten größer, die
Zweige geradliniger sein.
Und vollends stört der Hausherr. Da kommt ein Mann, der bisher in der Sonne gesessen,
groß und kräftig mit durchaus unregelmäßigem Gang, von Antlitz finster und noch
furchtbarer durch Kleidung und Begleitschaft. Jägermäßig ist seine Tracht, der
aufgestülpte Hut, die Wadenstrümpfe und zwei böse Hunde an der Koppel
vervollständigen den Eindruck:
Kaspar, der wilde Jäger. Aber es ist nur
Hermann Bahr in seiner Behausung in
Ober-St.
Veit. Wir treten in das Haus und der grün-blaue Zauber umfängt mich bald. Da
gibt es Räumlichkeiten, klein und zierlich und größer, bauernmäßig, aber es ist Alles
luftig und licht und man sieht sich so was riesig gern an und freut sich noch mehr,
wenn man draußen ist. Aber das muß wohl Gewohnheit sein. Ich habe mich in der Villa
Bahr gründlich unmöglich gemacht, denn ich
hielt mir die Augen zu, als wir über einen grellblauen Teppich schritten; das soll
nicht die richtige Auffassung
Olbrich’scher
Kunst sein. – Aber es gibt hier schöne Bilder von den Größen der neuen Kunst, und
man
sieht deutlich, wie sie den Rahmen heben. Niemals schienen mir auch Tulpen so
wunderbar farbig und fein als in dem blauen Zimmer, da sie ihre Köpfe hochauf, fast
duftvoll zur Decke strecken. Und vom Mittelzimmer sieht man weit hinaus ins Land und
freut sich der Nebelgebilde, die über den Städten hängen. Der echte
Bahr aber zeigt sich mir im Studirzimmer. Es ist den schönen
Künsten und vor Allem
Klimt geweiht. Da grüßt
im Mittelfeld die »
Wahrheit« mit dem häßlichen
Antlitz und dem violetten Leib, und läßt an aller frauenhaften Anmuth zweifeln. Aber
es bannt den Besucher wohl und kann ihn in noch so gesättigter Laune zum Nachdenken
bringen. Und das Ganze ist ein Tempel, nur daß dieses Bild von Sais sich Einem immerfort aufdrängt und die Nerven bedroht.
Denn
Bahr hat dem
Erbauer des Hauses klar seine Ansicht
kundgethan, für die
Wahrheit Klimt’s sollte ein Raum geschaffen werden, der
das Bild in den Vordergrund drängt und alles Andere in Form und Farbe ihm zu Füßen
legt. Das ist nun trefflich gelungen.
Bahr erzählt Wundervolles von dem Bild. Es
hält ihn in Stimmung, es stärkt und kräftigt. Tritt er früh Morgens in sein Zimmer,
dann ist die
Wahrheit vom Licht umfluthet, dann
erlebt er etwas wie Sonnenaufgang. Und stets, auch in trüben Tagen, hat das Bild
seine Kraft gewahrt. Da begreift sich’s, daß er es liebt.
Wir sprechen nun von
Klimt, und
Hermann Bahr nennt ihn einen großen, fertigen
Menschen, der nur wie zufällig hier lebt, der aber mit seiner Kunst so wahr ist, wie
etwa die
Franzosen. Er zeigt mir die Bilder der
Duse, die sie zumeist in welker
Sinnlichkeit wiedergeben. Wie theuer sie ihm ist, das weist wohl ein Spruch der
Künstlerin, der mit fester, erzwungener Männlichkeit über der Eingangsthür zu seinen
Zimmern prangt.
Und dann sprechen wir im Studirzimmer von all den tausend Dingen, über die der
erfahrene, kluge, geistvolle Hausherr wie selten Einer zu sprechen weiß. Er stand
Pathe, da viel große Dinge entstanden, aber sein Ruhm übertrifft seine Thaten und
er
hat nur das Ueble, daß alle Auswüchse, alle Phrasen auf sein Conto kommen. Er lächelt
und ereifert sich darüber nicht, er gibt gern zu, daß viel hinter ihm liegt, daß er
gesucht, getastet hat. Aber er vertritt das nur so beiläufig. Und so fand ich keinen
Feuergeist, ahnte nur sein Temperament und war am meisten enttäuscht, als ich die
Bahr-Locke verschwunden fand, die so lange richtunggebend für das Aeußere junger
Talente war.
Ein Gast kam, da wir eben sprachen, und ich muß ihn einführen, denn es ist Dr.
Arthur Schnitzler. Der machte sich’s nun gleich
bequem, und es schien ihm ein Vergnügen, zu sehen, wie ein Anderer porträtirt wird.
Bahr ist sehr leicht zu treffen, und er
macht Einem die Arbeit auch angenehm. Kennt er doch selbst das Metier und weiß, daß
es nichts Angenehmeres gibt, als auf ein Modell zu stoßen, das Kanten und Ecken hat,
an die man den Meißel setzt.
»Ob er seinen Einfluß auf die Auswüchse der Modernen in Literatur und Kunst zugesteht
oder ob es Legenden sind, die ihm die vielen Vaterschaften zusprechen?«
Bahr lächelt und zögert mit der Antwort, und
Schnitzler meint mit seiner feinen, gut
abgetönten Stimme: »Ist das nicht ein bißchen zu grob?«
Herr
Bahr verwahrt sich dagegen, so vieles
Unfruchtbare gezeugt zu haben. Es sind also Legenden. »Denken Sie,« sagt er, »
Mirbeau entdeckt
Maeterlinck in
Paris und
ich führe den Dichter, durch den
Artikel im ›
Figaro‹ angeregt, in
Wien
als Conferencier ein. Bin ich da der Vater? – Oder denken Sie vielleicht, daß ich die
Secession erfunden habe, oder daß ich an den Versen
Hofmannsthals Schuld trage?« –
Und das Café
Griensteidl? Die legendarische
Kaffeehausliteratur?
Bahr lächelt und
Schnitzler greift in die Debatte ein. Der Eine erklärt, in
seinem Leben nur zweimal mit
Schnitzler und
Hofmannsthal zusammen in dem genannten Café
gewesen zu sein, der Zweite ist geärgert darüber, daß man noch immer in »trefflich«
informirten Zeitschriften von ihm als Kaffeehausdichter spricht. Und ich entnehme
den
Ausführungen Folgendes: Das mit dem Café
Griensteidl und den großen Schlagworten, die dort von
Bahr ausgegeben worden sein sollen, ist Erfindung und Eselei.
Aber
Bahr amüsirt sich darüber, daß die
Legende noch heute erhalten ist. Er will Mode gemacht haben vor Jahren in
Berlin, als er,
Tovote und
Holz einen neuen Stil
creirten. Damals liebte er die kurzen Sätze, die Gedanken mußten knapper präcisirt
sein, die durchwachten Nächte trugen auch Schuld daran. Und Andere machtens ihm nach.
Heute ist das anders, er ertappt sich auf langwierigen Perioden und bringt das mit
seiner veränderten Herzthätigkeit, mit Vielschreiberei und Lectüre zusammen.
Wir kommen auf Kritik und ihren Einfluß auf den schaffenden Künstler.
Bahr gibt seine Ansicht kund, die dahin geht,
daß der Kritiker lediglich fürs Publicum sein Amt ausübt. Belehrung der Leute ist
seine Mission, für den Künstler ist sie bedeutungslos. Denn
Bahr glaubt nicht, daß der Künstler durch das Wort des Tadels
oder des Lobes ein Anderer werden kann, und gerade so wenig der Dichter.
»Die schlechte Kritik hat also keinen Einfluß?«
»Auf den Künstler nicht!«
»Doch,« unterbricht
Schnitzler, »er giftet sich.«
Und wir sind nun mitten im Thema: Ungerechte, persönliche Beurtheilung, Verrohung
der
Theaterkritik.
Bahr mag die Kritik nicht, die persönlich wird
und hat den Stachel selbst empfunden, als man beispielsweise nach seinem »
Apostel« schrieb: »
Der Dichter, der eine Villa in Ober-St. Veit besitzt . . . &c.«
Schnitzler
denkt milder, er will nur nicht, daß die Kritik böswillig sei; schließlich ist er
der
Ansicht, daß der
Sudermann’sche Rummel nicht sehr begründet war, denn das persönliche Moment bei
der Beurtheilung hätten schon
Goethe und
Schiller empfinden müssen. Ein gesuchter Witz
in einem Referat sei aber keine so himmelschreiende Sache, denn »ein guter Spaß ist
mir lieber, als ein schlechtes Stück«.
Ein schlechter Kritiker kann mich nicht ändern, sagt Herr
Bahr, aber ein weiser Kritiker kann es wohl dazu bringen, daß
ich in Erkennung meiner Mängel mein Werk aufgebe. Und dazu kann den Dichter der
Kritiker bewegen; das zeigt sich trefflich bei
Grillparzer, den die Kritik verbittert hat und nicht die Censur. Es ist
höchst überflüssig, wenn ich von
Schnitzler
beispielsweise schreibe, daß ihm zum
Shakespeare etwas fehlt. Das kann ihn nicht besser machen, denn er weiß, daß
ihm nur Eines dazu fehlt: das Talent. Nicht wahr, das stimmt doch! Und
Schnitzler bejaht.
Bahr fuhr mit
Sudermann nach der Première der »
Drei Reiherfedern« nach
Berlin und merkte dem Dichter schon
im Coupé an, daß er mit der »
Verrohung in der
Kritik« schwanger ging.
Sudermann war
beispielsweise von einem Referat
gekränkt, in dem von seinem
schönen Bart die Rede war. Herr
Schnitzler
erklärt, ihn würde das nicht ärgern, und Herr
Bahr ist der gleichen Meinung.
Wir kommen auf die Schauspielkunst der
Duse.
Ob Herr
Bahr der Ansicht ist, daß ihre Kunst
auf die deutschen Schauspielerinnen gewirkt hat?
Herr
Bahr verneint sehr energisch. »Nein, sie
haben nichts gelernt von ihr, oder doch Einiges. Sie zerraufen sich die Haare, tragen
keine Mieder und gefallen sich in den unmöglichsten Schaukelbewegungen.« – Herr
Bahr zeigt mir diese Darstellungskunst sehr
drastisch, indem er seine noch immer stattliche Mähne kraut und im Sessel lustige
Wippübungen macht. Und er hält überhaupt nichts von dem Ablernen, dem Copiren. Es
werden Namen genannt von Leuten, die Jeder auf seiner Walze hat, und dann zwei, die
nicht nachzuahmen sind:
Baumeister,
Mitterwurzer.
Schnitzler nennt auch den Namen
Girardi, und wie es kommt, daß seine unantastbare Originalität so viele
Nachbeter verträgt.
»Das hat schon seinen Grund,« sagt
Bahr. »Er
schöpft eben aus dem Volk und es ist nur ein Beweis seiner Echtheit, wenn Viele so
sprechen wie er. Ich kenne einen
Bäcker, der zur
Zeit meinem
Stubenmädchen den Hof
macht, und ich kann nicht genug staunen, wie er dem
Girardi in Gesten und Worten ähnelt, obzwar es sicher anzunehmen ist, daß er
ihn vielleicht nur einmal in seinem Leben auf der Bühne gesehen hat –.«
Ob man Journalist und Bühnenschriftsteller sein kann, ohne in einem eine
Nebenbeschäftigung erblicken zu müssen?
Arthur Schnitzler läßt die Fragestellung nicht
zu: »Das dürfen Sie doch nicht
Bahr fragen,
der Beides ist, denn über sich selbst kann man nicht bei Beantwortung einer Frage
stehen. Ich glaube aber, daß
Goethe,
Lessing und
Hebbel den Befähigungsnachweis erbracht haben, sie waren Kritiker,
Journalisten, Schriftsteller; man kann Arzt sein als Schriftsteller, man kann
Taschendieb sein, man muß nur Zeit genug haben . . . «
Wie
Hermann Bahr arbeitet?
Es muß ihm etwas einfallen, blitzmäßig muß es ihn erleuchten, das Andere geht dann
leicht: der Weg von
Hietzing nach seiner Wohnung
in
Ober-St. Veit kommt ihm prächtig zustatten, da
kommen die hübschesten Ideen.
Auch
Schnitzler ist gern allein bei der ersten
Arbeit, er liebt noch die Ortsveränderung, das Radfahren.
Wir begeben uns ins blaue Zimmer und ich verabschiede mich. Da sieht man, was die
Gewohnheit ausmacht, die grellen Reflexe wirken jetzt nicht mehr so störend, und man
wünschte in diesem Raume eine Frau zu sehen, mit rothem Haar und angethan mit weißen,
losen Gewändern.
Noch einmal kommt das Gespräch auf vergangene Zeit. »Weißt Du noch,« sagt
Schnitzler, »wie wir an jenem Abend
zusammensaßen im
Lothringer Bierhaus und Du das Wort ›die Moderne‹, kurz vorher geprägt, auf den Antrag eines Gastes
zurücknahmst? Es war lustig!« – Und
Bahr lacht
herzlich in der Erinnerung an jenen Abend, es war ja doch eine Zeit, die Männer zum
Reifen brachte.
Auf dem Heimweg schien mir die Natur fabelhaft unecht.
Bahr’s Stolz, der Marillenbaum hatte violette Flecke und sein
Haus war in grelles Roth getaucht, seine Hunde aber bellten blau. Ich glaube, so muß
es jedem Naivling ergehen, der auszieht, die Wahrheit zu schauen. . . .
A. D.-G.