Der Theatererlaß des
Ministerpräsidenten
Der Erlaß des Ministerpräsidenten Doctor
v. Koerber über die Handhabung der Theatercensur, den wir in unserem Ostersonntagsblatte
veröffentlicht haben, hat in allen Kreisen, in denen man sich für das Theater und
seine Freiheit interessirt – und wo wäre dies mehr der Fall, als in
Wien? – großes und berechtigtes Aufsehen hervorgerufen. Ueber
die Tendenz des Erlasses herrscht nur eine Stimme: Man erkennt allgemein an, daß der
Erlaß des
Ministerpräsidenten ausschließlich von Wohlwollen für die freie Entwicklung
der Bühnendichtung und der Bühnen dictirt ist und daß er die durchaus
anerkennenswerthe Absicht hat, den Polizeigeist, der von früheren Zeiten her das
kritische Walten der Censurbehörden nur allzusehr beeinflußt hat, in die gebührenden
Schranken zu verweisen. Wenn man das Theater einen Tempel der Kunst nennen kann, so
hat der
Ministerpräsident
nun eine Tempelaustreibung im Sinne, bei welcher engherziges Bureaukratenthum und
alter Zopf aus den Räumen, die der Kunst gewidmet sind, verwiesen werden sollen.
Nicht der Schrankenlosigkeit soll Thor und Thür geöffnet werden, aber die Censur soll
größere Beschränkung erfahren und die Bühne soll mehr Freiheit erhalten. Dies ist
das
Hauptprincip des Erlasses, der es gestatten wird, daß sich im Rahmen des Theaters
nun
auch die socialen Erscheinungen des Lebens von heute, so wie sie das Auge des
Dichters sieht, wiederspiegeln können. Gerade die moderne dramatische Dichtung hat
am
meisten Veranlassung, sich dieses Erlasses zu freuen. Denn er erleichtert ihr den
Zutritt zur Bühne, der ihr bisher oft durch allerlei von überängstlicher oder
übereifriger, unliterarischer oder unkritischer Censur vorgeschobene Querbalken
verlegt war.
Es erschien uns richtig, das Urtheil von Fachleuten über den Erlaß des
Ministerpräsidenten
einzuholen.
Wir befragten einen
Theaterdirector, einen
Dichter und einen angesehenen
Juristen um ihre Meinungen
über den Erlaß. Sie Alle, die gewiß als competente Richter über die Bestimmungen des
Erlasses anerkannt werden müssen, begrüßen den Erlaß im Allgemeinen sympathisch, aber
sie erheben Einwendungen gegen manche Einzelnheiten. Wir geben im Nachstehenden das, was wir vernommen, wieder:
[…]
Der urbane, vornehme Ton des Erlasses berührte mich sehr sympathisch. Wenn ich auch
nicht der Kundgebung des Herrn
Ministerpräsidenten rückhaltlosen Beifall zu spenden vermag, so bedeutet sie
doch einen wesentlichen Fortschritt.
Nach dem Erlaß wird ein Censurbeirath aus drei Männern gebildet. Wer werden diese
Persönlichkeiten sein? Werden sie die entsprechende Objectivität in ihr Amt
mitbringen? Ein Verwaltungs- und ein richterlicher Beamter werden sich mit einem
literarischen Fachmann im Beirathe zusammenfinden. Ich möchte nicht schwarz sehen,
allein ich fürchte, daß die amtlichen Censoren den Fachmann oft – nicht immer –
überstimmen werden. Der Landeschef ist an diese Gutachten nicht gebunden, er kann
die
Aufführung eines Stückes freigeben oder verbieten. Ich will von jedem Landeschef das
Beste denken, aber selbst der mächtigste Statthalter ist außer Stande, den gewissen
»Wind« abzuwehren, der sich gegen die sogenannten gefährlichen Stücke erhebt. Dieser
»Wind« hat schon häufig Stücke weggeblasen, die man für sehr zulässig erkannte.
Im höheren, im culturgeschichtlichen Sinne ist die Censur entschieden zu verwerfen.
Eine Censur, liberal aufgefaßt und liberal geübt, muß geübt werden, sonst kommt die Censur der Theaterdirectoren und die ist noch ärger. Am Richtigsten wäre es, die
Autoren für ihre Werke verantwortlich zu machen. Doch das ist eine ideale Forderung
in unseren Zeiten – ein schöner Traum.
Unter den Parteiungen in welchen wir leben, ist eine Aufhebung der Censur nicht zu
erwarten. Es ist leider bei uns das Princip der Sachlichkeit ausgestorben, es
herrscht übermächtig das Princip der Parteipolitik. Jede Partei denkt nur daran, die
Freiheit anderer zu knebeln. Deshalb ist an ideale Zustände nicht zu denken. Die
Aufhebung der Censur wird dann möglich sein, wenn die Entwicklung der Menschheit bis
zu einem Punkte gediehen ist, der die Menschen befähigt, auf der Bühne blos die
künstlerischen Dinge zu sehen. Es fällt mir gewiß nicht ein das Recht auf Tendenz
verkümmern zu wollen. Meisterwerke der Weltliteratur sind Tendenzdichtungen; nur soll
das Publicum so reif sein, daß es nicht für oder gegen die Tendenz sich erklärt, sondern blos darüber
urtheilt, ob es dem Dichter gelungen ist, über eine bestimmte Tendenz sich
auszusprechen, die man vorher als
zulässig erkannt hatte.
In dem Erlasse des
Ministerpräsidenten berührt die offene Sprache angenehm. Er gibt den
Censoren einen Wink, sich den Wandel der Zeiten vor Augen zu halten und es bedeutet
nicht wenig, wenn in einem amtlichen Erlasse offen zugestanden wird, daß die Versuche
einer gewaltsamen Hemmung sich erfolg- und werthlos erwiesen haben.