Wie kann das geistige Eigentum geschützt werden?
Ein Gespräch mit
Artur
Schnitzler.
Von
Berta Zuckerkandl-Szeps.
Artur Schnitzler ist im Begriff, eine
vielwöchige Seefahrt anzutreten. Wir besprechen vor seiner
Abreise noch mancherlei. Da eben ein
französischer Schriftsteller von Rang bei mir weilt, so streift das Gespräch auch Fragen, die immer
dringender der internationalen Aufmerksamkeit und Lösung bedürfen. Der Anfang Juni
in
Paris tagende Autorenkongreß wird wohl eine
oder die andere dieser Fragen behandeln.
In der letzten Sitzung, die die
Genossenschaft
dramatischer Autoren in
Wien abhielt, ist
durch den Einspruch der
Berliner
Theaterdirektoren eine Aktion gescheitert, die endlich dem unmöglichsten Zustande
ein
Ende bereiten sollte. Das heißt: die Autoren, die Uebersetzer, die Verleger hatten
sich zusammengeschlossen, um den ihnen gebührenden Tantiemenanteil, über den zu
verfügen Theaterdirektoren tatsächlich niemals berechtigt sind, bei der jeden Abend
erfolgenden Abrechnung ausgezahlt zu erhalten. Dieser Vorgang ist in
Frankreich längst üblich.
»Gewiß«, unterbricht mich der
französische Schriftsteller, »der geistige Rechtsschutz in
Frankreich wird für
Franzosen und Fremde gleich rigoros gehandhabt. Insbesondere
die Theaterautoren werden durch die vorbildliche Organisation der
Société des auteurs aller Sorge enthoben. Der Fremde lächelt
oft über die bureaukratische, langsame Art, mit der drei Herren, die an einer Kasse
sitzen, jedes Zuschauers Karte einzeln prüfen. Jeder von ihnen ist ein Vertreter,
ist
der über die Abendeinnahme verfügende Kontrollor. Ein Teil der Einnahme gehört dem
Direktor des Theaters. Den zweiten Teil hebt das Luxussteueramt sofort ein. Den
dritten Kontrollor entsendet (allabendlich in jedes einzelne Theater) die
Société des auteurs. Dieser kassiert die dem
Autor, respektive auch dem Uebersetzer gebührenden Tantiemen ein. Indem jeder der
drei Kontrollore die überreichte Karte prüft und einträgt, weiß der Autor nicht nur
genau Bescheid über die allabendliche Einnahme, es kann ihm auch niemals geschehen,
daß er oft monatelang auf die Auszahlung jenes Teils der Einnahme warten muß, die
von
Rechts wegen dem Direktor auch nicht eine Stunde lang gehört. Nun aber kann ich Ihnen
nicht verhehlen, daß der in manchen Ländern, wie es auch in
Deutschland und
Oesterreich der Fall ist, mangelhafte Rechtsschutz der Autoren, für die
französischen Autoren die ärgerlichsten Folgen hat. Die
Société des auteurs ist nicht imstande, Einnahmen in der
Fremde so einzutreiben, wie dies als gesetzlich anerkannte Maßnahme bei uns geltend
ist. Und es werden daher soeben Abwehrmaßregeln erwogen, die darin bestehen sollen,
daß künftighin die Rechte der fremden Autoren, die in
Frankreich aufgeführt werden, der von der
Société des auteurs gepflogenen Kontrolle verlustig gehen. Dies ist
allerdings nur für einen
Pirandello, für einen
Shaw, die hundertmal gespielt werden, fühlbar
und nicht für die selten gespielten Autoren deutscher Sprache. Aber anders gestaltet
sich die Sachlage für die Operetten. Die
Wiener
Operettenfirmen werden den Unterschied in der Kontrollhabung zu spüren bekommen.«
»Der geistige Rechtsschutz ist überhaupt absolut reformbedürftig«, unterbricht
Artur Schnitzler. »Was zum Beispiel in
Amerika alles möglich
ist, obwohl dort doch das ›Copywright‹ existiert, grenzt an das Wunderbare. Ich
erhalte ununterbrochen Briefe von mir ganz Unbekannten, die sich das Recht arrogieren, über meine
Werke zu verfügen, sozusagen als meine Generalagenten zu fungieren, ohne daß ich
ihnen jemals die Autorisation dazu erteilt hätte. Auch meine Verleger und die von mir
tatsächlich Autorisierten sind dadurch oft und oft zu Schaden gekommen. Um solche
Dinge in Zukunft unmöglich zu machen, habe ich an alle in Amerika interessierten
Stellen die dringende Aufforderung gerichtet, sie mögen von jedermann, der an sie
bezüglich der Publizierung oder der Aufführung meiner Werke herantritt, einen von
mir
eigenhändig geschriebenen Autorisationsbrief verlangen.«
»Das alles«, meint der
Franzose, »sind vereinzelte und gänzlich unzulängliche Maßnahmen.«
»Haben Sie sich nicht«, frage ich
Schnitzler, »bereits vor einiger Zeit mit dem
Gedanken befaßt, eine Weltorganisation des geistigen Rechtsschutzes anzuregen?«
»Ja. Unglaublich,« sagt
Schnitzler, »wie wenig
der Respekt vor geistigem Eigentum entwickelt ist. Weder das weitere Publikum besitzt
ihn, noch der engere Zirkel, dessen Gewerbe es ist, sich mit geistigen Produkten zu
beschäftigen. Daher es doppelt notwendig scheint, dem jetzt bestehenden
›Copywright‹-Recht, das nicht nur in
Amerika,
sondern auch in anderen Ländern absolut nicht ausreichend ist, um vor
Mißverständnissen, ja selbst vor Mißbrauch zu schützen, eine viel tiefer verankerte
Form zu geben.«
»Und an welche neue, bessere Organisation denken
Sie?« »Ich (meinte
Schnitzler) und mit mir viele
rechtlich fühlende Menschen sind dazu gelangt, uns gegen alle unerlaubten,
sogenannten ›Versehen‹ und Transaktionen aufzulehnen, die dahin gehen, einem
Schriftsteller die Einnahmen, die ihm aus seinem Werk erfließen, zu beeinträchtigen
oder zu rauben. Auch jene Fälle nicht ausgenommen, für die ein gerichtliches
Verfahren oder eine Strafe nicht vorgesehen ist. Ich hoffe, daß eine Zeit kommen muß,
in der überhaupt ein eigener Rechtsapparat zum Schutz von Werken der Kunst und der
Literatur nicht mehr notwendig ist. Weil das geistige Eigentum gleich wie jedes
andere Eigentum
vom Staat geschützt sein wird.«
»Das wäre«, meint der
französische Schriftsteller, »eine der
bedeutendsten sozialen Errungenschaften.
Aber
wie ist der Weg?«
»Das Problem der Copywright-Rechte«, antwortet
Artur Schnitzler, »welches ich nur streifen
wollte, ist viel zu kompliziert, als daß ich hier mehr als mein persönliches
Verhältnis zu dieser Frage zu präzisieren vermag. Vorläufig möchte ich nur folgende
Anregung geben. Der geistige Rechtsschutz kann allein auf internationaler Basis neu
aufgebaut werden. Es gibt aber meinem Empfinden nach ein einziges wirksames Mittel,
um die Parlamente, die Regierungen und die Allgemeinheit für die bedeutsame Frage
zu
interessieren. Dieses ist:
den Staat zu beteiligen. Es
müßte die Rechtseinrichtung getroffen werden, daß der Staat aus allen einem im
Ausland übersetzten und dort erschienenen Werk erfließenden Einnahmen einen gewissen
Prozentsatz bezieht. Während bis jetzt nicht einmal wir, die Autoren, in irgend
nennenswerter Weise Berücksichtigung gefunden haben. Ein staatliches Kontrollbureau
hätte für die einwandfreie Ueberwachung der Einnahmen, der Auszahlungen zu sorgen.
Aus den dem Staat zukommenden Prozenten könnte er
| soziale Einrichtungen
bedenken. Wie nun diese Idee einer Kompagnonschaft des Staates an dem Ertrag
geistiger Arbeit ausgeführt werden könnte, dies muß ich Menschen, die ein größeres
Organisationstalent haben als ich, überlassen. Eines nur scheint mir gewiß. Eine
internationale Verständigung der Staaten, die als Mitbeteiligte eine straffe, streng
gehandhabte, jeden Mißbrauch, jede Uebervorteilung ausschließende Organisation des
geistigen Rechtsschutzes in die Wege leiten müßten, ist das Erstrebenswerte.«
»Sollte Ihre Anregung (sage ich) nicht in dem
Anfang Juni in
Paris tagenden internationalen Autorenkongreß zur
Sprache kommen? Und da Sie leider durch Ihre länger währende Reise verhindert sein
werden, selbst zu erscheinen (was in Paris die größte Enttäuschung hervorrufen wird,
wirft der Franzose ein) so sollte ein würdiger Vertreter Ihrer Ideen entsendet
werden.«
»Es wird mich freuen (schließt
Schnitzler unser
Gespräch), wenn ich wenigstens dazu helfen kann, der kommenden Generation würdigere
Sicherheiten zu erobern, als sie den Dichtern, Schriftstellern, Autoren dieser für
uns rechtlosen Zeit, zur Verfügung stehen.«