Berta Zuckerkandl-Szeps: Wie kann das geistige Eigentum geschützt werden?, 18. 4. 1926

Wie kann das geistige Eigentum geschützt werden?
Ein Gespräch mit Artur Schnitzler.
Von
Berta Zuckerkandl-Szeps.
Artur Schnitzler ist im Begriff, eine vielwöchige Seefahrt anzutreten. Wir besprechen vor seiner Abreise noch mancherlei. Da eben ein französischer Schriftsteller von Rang bei mir weilt, so streift das Gespräch auch Fragen, die immer dringender der internationalen Aufmerksamkeit und Lösung bedürfen. Der Anfang Juni in Paris tagende Autorenkongreß wird wohl eine oder die andere dieser Fragen behandeln.
In der letzten Sitzung, die die Genossenschaft dramatischer Autoren in Wien abhielt, ist durch den Einspruch der Berliner Theaterdirektoren eine Aktion gescheitert, die endlich dem unmöglichsten Zustande ein Ende bereiten sollte. Das heißt: die Autoren, die Uebersetzer, die Verleger hatten sich zusammengeschlossen, um den ihnen gebührenden Tantiemenanteil, über den zu verfügen Theaterdirektoren tatsächlich niemals berechtigt sind, bei der jeden Abend erfolgenden Abrechnung ausgezahlt zu erhalten. Dieser Vorgang ist in Frankreich längst üblich.
»Gewiß«, unterbricht mich der französische Schriftsteller, »der geistige Rechtsschutz in Frankreich wird für Franzosen und Fremde gleich rigoros gehandhabt. Insbesondere die Theaterautoren werden durch die vorbildliche Organisation der Société des auteurs aller Sorge enthoben. Der Fremde lächelt oft über die bureaukratische, langsame Art, mit der drei Herren, die an einer Kasse sitzen, jedes Zuschauers Karte einzeln prüfen. Jeder von ihnen ist ein Vertreter, ist der über die Abendeinnahme verfügende Kontrollor. Ein Teil der Einnahme gehört dem Direktor des Theaters. Den zweiten Teil hebt das Luxussteueramt sofort ein. Den dritten Kontrollor entsendet (allabendlich in jedes einzelne Theater) die Société des auteurs. Dieser kassiert die dem Autor, respektive auch dem Uebersetzer gebührenden Tantiemen ein. Indem jeder der drei Kontrollore die überreichte Karte prüft und einträgt, weiß der Autor nicht nur genau Bescheid über die allabendliche Einnahme, es kann ihm auch niemals geschehen, daß er oft monatelang auf die Auszahlung jenes Teils der Einnahme warten muß, die von Rechts wegen dem Direktor auch nicht eine Stunde lang gehört. Nun aber kann ich Ihnen nicht verhehlen, daß der in manchen Ländern, wie es auch in Deutschland und Oesterreich der Fall ist, mangelhafte Rechtsschutz der Autoren, für die französischen Autoren die ärgerlichsten Folgen hat. Die Société des auteurs ist nicht imstande, Einnahmen in der Fremde so einzutreiben, wie dies als gesetzlich anerkannte Maßnahme bei uns geltend ist. Und es werden daher soeben Abwehrmaßregeln erwogen, die darin bestehen sollen, daß künftighin die Rechte der fremden Autoren, die in Frankreich aufgeführt werden, der von der Société des auteurs gepflogenen Kontrolle verlustig gehen. Dies ist allerdings nur für einen Pirandello, für einen Shaw, die hundertmal gespielt werden, fühlbar und nicht für die selten gespielten Autoren deutscher Sprache. Aber anders gestaltet sich die Sachlage für die Operetten. Die Wiener Operettenfirmen werden den Unterschied in der Kontrollhabung zu spüren bekommen.«
»Der geistige Rechtsschutz ist überhaupt absolut reformbedürftig«, unterbricht Artur Schnitzler. »Was zum Beispiel in Amerika alles möglich ist, obwohl dort doch das ›Copywright‹ existiert, grenzt an das Wunderbare. Ich erhalte ununterbrochen Briefe von mir ganz Unbekannten, die sich das Recht arrogieren, über meine Werke zu verfügen, sozusagen als meine Generalagenten zu fungieren, ohne daß ich ihnen jemals die Autorisation dazu erteilt hätte. Auch meine Verleger und die von mir tatsächlich Autorisierten sind dadurch oft und oft zu Schaden gekommen. Um solche Dinge in Zukunft unmöglich zu machen, habe ich an alle in Amerika interessierten Stellen die dringende Aufforderung gerichtet, sie mögen von jedermann, der an sie bezüglich der Publizierung oder der Aufführung meiner Werke herantritt, einen von mir eigenhändig geschriebenen Autorisationsbrief verlangen.«
»Das alles«, meint der Franzose, »sind vereinzelte und gänzlich unzulängliche Maßnahmen.«
»Haben Sie sich nicht«, frage ich Schnitzler, »bereits vor einiger Zeit mit dem Gedanken befaßt, eine Weltorganisation des geistigen Rechtsschutzes anzuregen?«
»Ja. Unglaublich,« sagt Schnitzler, »wie wenig der Respekt vor geistigem Eigentum entwickelt ist. Weder das weitere Publikum besitzt ihn, noch der engere Zirkel, dessen Gewerbe es ist, sich mit geistigen Produkten zu beschäftigen. Daher es doppelt notwendig scheint, dem jetzt bestehenden ›Copywright‹-Recht, das nicht nur in Amerika, sondern auch in anderen Ländern absolut nicht ausreichend ist, um vor Mißverständnissen, ja selbst vor Mißbrauch zu schützen, eine viel tiefer verankerte Form zu geben.«
»Und an welche neue, bessere Organisation denken Sie?« »Ich (meinte Schnitzler) und mit mir viele rechtlich fühlende Menschen sind dazu gelangt, uns gegen alle unerlaubten, sogenannten ›Versehen‹ und Transaktionen aufzulehnen, die dahin gehen, einem Schriftsteller die Einnahmen, die ihm aus seinem Werk erfließen, zu beeinträchtigen oder zu rauben. Auch jene Fälle nicht ausgenommen, für die ein gerichtliches Verfahren oder eine Strafe nicht vorgesehen ist. Ich hoffe, daß eine Zeit kommen muß, in der überhaupt ein eigener Rechtsapparat zum Schutz von Werken der Kunst und der Literatur nicht mehr notwendig ist. Weil das geistige Eigentum gleich wie jedes andere Eigentum vom Staat geschützt sein wird
»Das wäre«, meint der französische Schriftsteller, »eine der bedeutendsten sozialen Errungenschaften. Aber wie ist der Weg?«
»Das Problem der Copywright-Rechte«, antwortet Artur Schnitzler, »welches ich nur streifen wollte, ist viel zu kompliziert, als daß ich hier mehr als mein persönliches Verhältnis zu dieser Frage zu präzisieren vermag. Vorläufig möchte ich nur folgende Anregung geben. Der geistige Rechtsschutz kann allein auf internationaler Basis neu aufgebaut werden. Es gibt aber meinem Empfinden nach ein einziges wirksames Mittel, um die Parlamente, die Regierungen und die Allgemeinheit für die bedeutsame Frage zu interessieren. Dieses ist: den Staat zu beteiligen. Es müßte die Rechtseinrichtung getroffen werden, daß der Staat aus allen einem im Ausland übersetzten und dort erschienenen Werk erfließenden Einnahmen einen gewissen Prozentsatz bezieht. Während bis jetzt nicht einmal wir, die Autoren, in irgend nennenswerter Weise Berücksichtigung gefunden haben. Ein staatliches Kontrollbureau hätte für die einwandfreie Ueberwachung der Einnahmen, der Auszahlungen zu sorgen. Aus den dem Staat zukommenden Prozenten könnte er| soziale Einrichtungen bedenken. Wie nun diese Idee einer Kompagnonschaft des Staates an dem Ertrag geistiger Arbeit ausgeführt werden könnte, dies muß ich Menschen, die ein größeres Organisationstalent haben als ich, überlassen. Eines nur scheint mir gewiß. Eine internationale Verständigung der Staaten, die als Mitbeteiligte eine straffe, streng gehandhabte, jeden Mißbrauch, jede Uebervorteilung ausschließende Organisation des geistigen Rechtsschutzes in die Wege leiten müßten, ist das Erstrebenswerte.«
»Sollte Ihre Anregung (sage ich) nicht in dem Anfang Juni in Paris tagenden internationalen Autorenkongreß zur Sprache kommen? Und da Sie leider durch Ihre länger währende Reise verhindert sein werden, selbst zu erscheinen (was in Paris die größte Enttäuschung hervorrufen wird, wirft der Franzose ein) so sollte ein würdiger Vertreter Ihrer Ideen entsendet werden.«
»Es wird mich freuen (schließt Schnitzler unser Gespräch), wenn ich wenigstens dazu helfen kann, der kommenden Generation würdigere Sicherheiten zu erobern, als sie den Dichtern, Schriftstellern, Autoren dieser für uns rechtlosen Zeit, zur Verfügung stehen.«