Aus Gesprächen mit
Artur
Schnitzler.
Artur Schnitzler liebt es durchaus nicht, sich für
die Oeffentlichkeit zu »erinnern«. Obwohl niemand geistvoller, scharmanter und
erkenntnisreicher über die gewissen, im Laufe eines Lebens sich ergebenden
Zusammenstöße mit Menschen, Masken, Dingen und Institutionen zu erzählen weiß, als
gerade er.
Und so macht man ihm auch keine Freude mit dem Ersuchen, Erlaubnis zur
Veröffentlichung der einen oder anderen apart pointierten Geschichte zu geben, deren
Hintergrund das
Burgtheater und deren Handelnde die
Menschen aus dem
Burgtheater sind. Aus Rücksicht auf
Lebende, wie zum Teil auch schon Tote, gibt er diese Erlaubnis nicht, und die
Oeffentlichkeit mag dies bedauern. Denn wenn
Artur
Schnitzler aus persönlichen Erinnerungen eine inhaltlich oft nur winzige
Anekdote erzählt – nicht ohne sich zuvor der Diskretion des Zuhörers zu versichern
–
dechiffriert er mitunter mit zehn Worten ein ganzes Zeitalter.
Seine unveröffentlichten und vielleicht gar nicht geschriebenen persönlichen
Erinnerungen ans
Burgtheater, mit dem er von
frühester Jugend auf verbunden ist, sind solche Dechiffrierungen eines Zeitalters.
Sie bis auf weiteres bei sich zu behalten, scheint ihm gerade jetzt ein besonderer
Anlaß gegeben: die Tatsache, daß anläßlich des
Burgtheaterjubiläums kaum ein Tag vergeht, an dem er nicht ersucht wird,
persönliche Erinnerungen an das
Burgtheater für die
Oeffentlichkeit zur Verfügung zu stellen.
Durch seinen
Vater, zu dessen
Patienten- und Freundeskreis die bedeutendsten Künstler des alten
Burgtheaters gehörten, ergaben sich schon für den
Heranwachsenden die ersten Berührungen mit der damals noch unbestritten ersten,
führenden Bühne des deutschen Kulturkreises. Noch bevor er selbst als Autor mit dem
Burgtheater in Verbindung kam, verstärkten sich
diese Beziehungen, da
Artur Schnitzler als junger
Arzt einen Teil der
Burgtheaterklientel seines
Vaters übernahm.
Dieser junge Doktor der Medizin, Kind aus gutem Hause und vorurteilsloser gesinnt
als
man es bei Söhnen guter Häuser damals liebte, wuchs in einer Zeit auf, in der es für
schöngeistige junge Leute seiner sozialen wie Altersklasse als das Maximum des
überhaupt Erreichbaren angesehen wurde, von der »
Neuen
Freien Presse« gedruckt und im
Burgtheater
aufgeführt zu werden. Ob der junge
Schnitzler
diesen Ehrgeiz des Gedrucktwerdens teilte, ist mir nicht bekannt. Wohl aber erinnere
ich mich, von ihm gehört zu haben, daß er heute noch den Tag, an dem
Max Burckhard
seine »
Liebelei« zur Aufführung am
Burgtheater annahm, als einen der denkwürdigsten Tage seines Lebens
bezeichnet.
Bis dahin Verehrer und Freund des
Burgtheaters, trat
er mit diesem Tag als Autor – dem das Theater mindestens soviel verdankt, als er ihm
– dem engeren, ja engsten Kreis des
Burgtheaters
bei. Aber
Artur Schnitzler wäre nicht der
außerordentlich persönliche, scharfsichtige und zu unbeinflußtem Urteil befugte
Mensch, der er ist, wenn eigene Erlebnisse mit dem
Burgtheater seinen Blick für das Wesen dieses Instituts zu trüben vermocht
hätten.
Das Wesen des
Burgtheaters – es enthüllt sich ihm nicht so sehr bei Betrachtung des
künstlerisch Geleisteten, als in Imponderabilien. Worten wie »Atmosphäre« und
»Tradition«, ohne die man bei Unterhaltungen über das
Burgtheater schwer auszukommen vermag, geht auch er nicht aus dem Wege. Die
spezielle
Burgtheateratmosphäre wurde ihm nie so
deutlich, als wenn er gewisse Begleiterscheinungen des Theaterspielens anderswo zum
Vergleich heranzog. Und er vermag es nicht, in der oft zitierten, ebenso oft
verlästerten oder belächelten »Tradition« einen Popanz oder einen nebelhaften, nicht
recht konsistenten Begriff zu erblicken.
Atmosphäre wie Tradition des
Burgtheaters scheinen
ihm vielmehr Begriffe mit durchaus realen Auswirkungen zu sein, die sich sowohl im
künstlerisch geleisteten wie in dem eigenartigen Erziehungswerk feststellen lassen,
das sie fast auf jeden ausübten und noch ausüben, der in die Kreise des
Burgtheaters geriet. Es ist kein leerer Wahn, von
einer der
Burgtheatersphäre durchaus eigentümlichen,
unter anders gearteten Verhältnissen unwiederholbaren Kultur zu sprechen. Ob ihr
geistiger Inhalt auch immer dem Aufwand im Formalen entsprach, kann man eventuell
dahingestellt sein lassen. Aber, belehrt durch den Umgang mit Menschen und
Institutionen, lernt man schließlich den Wert guter Formen nicht geringer
einzuschätzen, als er es verdient. Als Autor, meint
Schnitzler, kann man im
Burgtheater wie
überall gute und minder erfreuliche Erfahrungen machen. Nie aber wird der Gast des
Burgtheaters – gleichviel, ob er dort gern oder
ungern gesehen ist – über die Form, in der seine Aufnahme in diesen Kreis erfolgt,
zu
klagen haben. Jene durch schlechte Kinderstube oder literarischen Snobismus
erklärbare Geringschätzung, die sich andernorts heute mitunter auch Autoren von
anerkannten, aber nicht erst in einer letztvergangenen Sonntagsmatinee entdecktem
Verdienst gefallen lassen müssen, ist in der Atmosphäre des
Burgtheaters so gut wie undenkbar.
Hier legt die vielberufene Tradition eben Verpflichtungen auf. Man kann sehr gut von
einem Geist des Hauses sprechen, der unter Umständen stark genug war, wenn schon
nicht immer das geistige, so doch fast stets das menschliche Niveau des mit
Burgtheaterdingen sich Befassenden zu erhöhen. In der
Flucht der
Burgtheatererscheinungen gibt es
nebensächliche, auch mediokre Exponenten der Tradition. Aber fast keinen, dem
Tradition und Atmosphäre dieses Hauses nicht Erzieher zu einer höheren Lebensform
geworden wären.
Und hier allein schon sieht
Artur Schnitzler einen
Vorzug des
Burgtheaters, der ihm unbestreitbar hohen
Rang innerhalb des heutigen Theatergetriebes anweist.
Die Schäden nun, die dem Organismus »Burgtheater« innewohnen, hängen nicht in
allererster Linie, aber auch kaum in letzter mit seiner von altersher bestandenen
Unterordnung unter einen mit fast diktatorischen Befugnissen ausgerüsteten
Verwaltungsapparat zusammen. Gegen diese als Intendanz, Theaterverwaltung und
dergleichen verkleidete Hierarchie der Beamten, die übrigens zum Teil ein wirkliches,
inneres Verhältnis zu Kunst- und Theaterdingen hatten, ist immer gekämpft worden.
Ohne richtigen Erfolg, denn es zeigt sich, daß auch heute noch ein verhältnismäßig
ganz stattlicher Rest von Intendantentum und Beamtenherrschaft die Geschicke des
Burgtheaters mit bestimmt. Inwiefern diese
gemilderte, aber nichts weniger als abgeschaffte Beamtenoberhoheit, nach ihrer
Zähigkeit zu schließen, vielleicht doch eine Art von geheimer Notwendigkeit
darstellt, läßt sich vom Außenstehenden nicht ergründen.
Weiters und vor allem kommt das
Burgtheater aber zu
Schaden, weil es aus den verschiedensten Gründen gerade in dem für ein Theater
wichtigsten Belang, im Engagieren und damit auch Bezahlen erster schauspielerischer
Kräfte sparen muß. Aber schon an sich kommt ihm sein künstlerischer Apparat teurer
als anderen Theatern zu stehen. Rein geschäftlich geführte Betriebe können in
schlechten Zeiten rücksichtsloser als ein
Burgtheater abbauen und den momentan entbehrlichen Mitarbeiter auf die
Straße werfen. Hier beginnt aber nicht nur ein
Noblesse oblige, sondern die soziale Frage in Dingen des
Burgtheaterbetriebs mitzusprechen. Ein Staat, der mit seinen
Steuergeldern so und so viele für ihn vielleicht bereits überflüssig gewordene Beamte
bis an ihr Lebensende zu erhalten sich verpflichtet, kann nicht Menschen aufs
Pflaster setzen, die das Unglück haben, nichts weiter als Künstler zu sein. So
ergeben sich Belastungen, mit denen das
Burgtheater
immer stärker als irgendein nächstbester Geschäftsbetrieb zu rechnen haben wird. Aber es gehört wohl mit zum Wesen eines
Burgtheaters, daß die Tatsache seiner Existenz
wahrscheinlich und bestenfalls »nur« ein Aktivposten in künstlerischer und
kultureller Hinsicht und nicht auch die Gewähr eines guten Geschäftes sein kann.