Von
Hermann Menkes.
Eine Unterhaltung mit
Artur Schnitzler gewinnt
einen besonderen Reiz dadurch, daß alle im Gespräch berührten Dinge ihm zu Problemen
werden, die er in ganz eigener Weise zu beleuchten und zu vertiefen versteht. Ein
langes, freundliches Verhältnis zwischen dem Dichter und mir ermöglichte mir oft das
Glück solch anregender Stunden. Mancher Einblick in die Geheimnisse seiner
Werkstätte, in die Entstehung seiner Werke wurde mir gewährt. Wie ein an sich
unbedeutsames Ereignis, das Wiedersehen mit einem vergessenen Bekannten oder
Jugendfreund, die Stimmung eines Augenblicks befruchtend auf seine Phantasie wirkt,
erzählte er mir oft, und wie ein dichterischer Einfall ihm in den ersten Tagen zu
einem so starken Erlebnis wird, daß es sich oft in das Wirkliche drängt. Es geschieht
dabei, daß eine einzige Idee zu einer Wurzel mannigfacher dichterischer Probleme wird
und daß so mehrere Dramen oder Novellen aus einem ursprünglich einzigen Stoff
erwachsen. Ironische Bemerkungen mischen sich in die ernsten Auseinandersetzungen
eines Gespräches und geben ihm Pikanterie und Abwechslung des Tones. Dinge, in die
sein Wirken und sein tieferes Interesse nicht hineinreichen, lehnt er von der
konversationellen Behandlung ab, obgleich
Schnitzler so wenig von der Einseitigkeit des Metiermenschen an sich hat.
An einem Abend der letzten Tage saß ich ihm in dem Arbeitszimmer seines neuen Heims
in der
Sternwartestraße wieder gegenüber. Das
Haus, das nun in seinen Besitz übergegangen ist, war ehemaliges Eigentum des Ehepaares
Römpler-Bleibtreu. Von der mit wenigen Bildern und
Statuetten geschmückten Arbeitsstube im ersten Stockwerk bietet sich ein Ausblick
nach der jetzt herbstlichen, von Schleiern umwobenen
Wiener Landschaft, zu den sanften Hügeln und Geländen, die
Schnitzler so sehr liebt und die er namentlich in seinen
Erzählungen in so zarter, lyrisch abgetönter Stimmung und Plastik wiedergegeben hat.
Das ganze Gespräch wird zu einem »
Weg ins Freie«
aus herrschenden Vorurteilen und irrtümlichen Auffassungen.
Ich finde
Schnitzler nach einer Rückkehr aus
einer Probe zur Aufführung des »
Jungen Medardus« und ich frage
ihn,
welche Bedeutung er der Mitwirkung eines
Autors an der Regie seines Stückes beimißt.
Er erwidert, daß diese Mitwirkung des Dramatikers schon mit den szenischen
Anmerkungen zu seinem Stücke beginnt und daß er ja wohl am besten Aufschlüsse darüber
geben kann, wie er sich ins Wirkliche umgesetzt eine Inszenierung gedacht. Ueber das
rein Technische noch hinaus ist sein Rat und seine Aufklärung über den ideellen
Gehalt einer Stelle von größter Wichtigkeit.
Schnitzler berichtet über ein interessantes Vorkommnis mit
Bassermann gelegentlich der
Berliner Proben zum »
Einsamen Weg«.
Bassermann fand, daß die ihm zugedachte Rolle
ihm nicht liege, und er sträubte sich bei jeder Schwierigkeit, die sich ergab.
Gelegentlich einer kleinen Dialogstelle, die er mit dem Dichter besprach, sprang
Bassermann mit einem freudigen Heureka auf. Er
hatte nun aus einem winzigen Teil den tieferen Sinn des Ganzen erfaßt und die Gestalt
erschloß sich ihm ganz, die er dann in so meisterhafter Weise darstellte.
»Interessant«, meinte
Schnitzler, »ist die
innere Umwandlung des Autors während der Proben. Es geschieht da manchmal, daß man
trotz der stärksten literarischen Ambitionen zum Publikum wird und genau wie dieses
an das eigene Stück die rein theatralische Forderung stellt. Damit ändert sich die
ganze Optik. Dinge, die ihm früher lebendig warm, erscheinen ihm nun
nicht belebt genug und zu ihrer stärksten Wirkung nicht gebracht. Das ist keine
Objektivierung, sondern die erste Probe auf die Gesetze der Bühne vom Standpunkt
eines Zuschauers aus. Da kann der Autor noch eingreifen und schon aus diesem Grunde
ist seine Mitwirkung von Belang. Wie der vollendende, vorbereitende Abschluß einer
Aufführung vor sich geht, ist schwer zu sagen. Das verbessert oder verschlechtert
sich wie in einer Wellenbewegung. Es geschieht, daß die Darstellung eine Vollendung
erhält, ohne daß ihr irgendeine bewußte Arbeit vorangegangen. So auch ein Verfall ohne Vernachlässigung. Ob der Dichter
nach Abschluß eines Werkes oder während der ersten Aufführung, der Umsetzung ins
Wirkliche, eine Desillusion erlebt? Jeder Schaffende geht schon von vornherein mit
der Resignation ans Werk, daß er hinter der Schönheit seines ersten Erlebnisses
zurückbleiben und nie das hervorbringen wird, was ihm als Ideal vorschwebte. Die
Aufführung eines Stückes enttäuscht ihn, wenn die Darsteller schwächer sind als seine
Gestalten. Dies ist glücklicherweise nicht
immer der Fall, zuweilen das Gegenteil. Freilich gibt es in einem Theater nie so
viele gute Darsteller, als ein Stück es manchmal erfordert. Das sind die
Enttäuschungen, die man empfindet.«
Ich
befrage
Schnitzler um die Entstehung des »
Jungen
Medardus«, der demnächst im
Burgtheater
aufgeführt wird.
»Historische Stücke sind eine frühe Liebe von mir gewesen, der ich treu blieb. Die
historische Stimmung meines neuen Dramas verdichtete sich allmählich in mir zu der
einer bestimmten Zeit. Es war keine bloße Flucht in die Vergangenheit, in die man
sich manchmal begibt, wenn Geschehnisse und Gestalten etwas Außerordentliches, über
das Alltägliche Hinausgehendes an sich haben. Man hat sich darüber gewundert, daß
mein Stück so umfangreich gedieh, daß ich es einiger Aenderungen unterziehen mußte.
Shakespeare und
Schiller waren wohl gute Theaterpraktiker genug und dennoch
kann man weder den »
Hamlet« noch den »
Karlos« ungekürzt spielen. Die Beispiele könnte
man noch häufen. Jeder Stoff hat seine notwendigen Dimensionen in sich und ich
glaube, daß ich nicht allzuweit über das Zulässige hinausging.«
Ich berühre im weiteren Verlaufe des Gesprächs
die Vertonung der »
Liebelei«, die unlängst
in
Frankfurt am Main als
Oper aufgeführt wurde.
»Das war einer der ersten Versuche, ein Stück in seinem ursprünglichen Charakter als
Operntext zu benutzen, ein Versuch, dem ich zuerst skeptisch gegenüberstand. Mein
Stück wurde keinerlei Aenderung
unterzogen. Der
Komponist
paßte sich in trefflicher Weise dem etwa vorhandenen Rhythmus der Sprache an oder
gab
ihr durch die Musik einen solchen. Er hatte allerdings mancherlei Schwierigkeiten
zu
überwinden.«
Von persönlichen Dingen kamen wir auf allgemeine, und
ich fragte
Schnitzler ob er
jenen recht gebe, die das Sinken des Niveaus in der literarischen Produktion unserer
Zeit beklagen.
»Ich bin allerdings der Ansicht«, erwiderte er, »daß wir uns in einer
Uebergangsepoche befinden. Die
Kleists und
Schillers laufen jetzt nicht so herum, aber ich
glaube dennoch, daß man im Unrecht ist. Wir besitzen im Roman, in der Lyrik und im
Drama eine Fülle von eigenartigen Begabungen, wie nicht oft in einer Zeit. Das ist
keine Blüteperiode der Dichtung wie zur Zeit unserer Klassiker, aber das, was im
letzten Abschnitt geschaffen wurde, ist wohl bedeutender und kultivierter als die
Produktion der vorklassischen Epoche. Man hat gegen das Artistentum sich gewendet,
ohne freilich bestimmte Persönlichkeiten zu bezeichnen, aber hat es je eine hohe Form
ohne bedeutenden Inhalt gegeben? Man hat ferner die geringe Beziehung unserer
Dichtung zum zeitgenössischen Leben und dessen Fragen getadelt. Der Sinn dieser
Forderer geht nach dem Aktuellen. Aber gerade die zeitlosen Dichtungen waren es,
denen die größte Dauer beschieden war: ›
Tasso‹,
›
Faust‹, ›
Hamlet‹. Ich glaube, ein derartiges Werk kann uns mehr von dem Empfindungs-
und Gedankengehalt seiner Entstehungszeit aussagen, als eines, das eine momentane
gesellschaftliche oder politische Frage behandelt. Man meint, daß das Publikum sich
vom literarischen Drama abwende, aber gerade in den letzten zehn Jahren haben wir
Erfolge gesehen, die bei literarischen Stücken zu keiner Zeit größere waren. Manches
Vergessene wurde und wird ausgegraben, vieles, was auf die Zeitgenossen nicht wirkte
und gerade jetzt seine glückliche Auferstehung erlebt.«
»Man hat auch von literarischen Cliquen gesprochen. Wann sind die mit irgendeinem
Unternehmen, einer Tat hervorgetreten? Ich glaube, das, was man als Cliquen
bezeichnet, das sind Gemeinschaften von Schaffenden, die von einem gleichen Ideal,
einer künstlerischen Anschauung zusammengeführt werden. Das ist ein ziemlich
natürlicher Vorgang. Aber man könnte mit einem vielleicht seltsamen, aber doch nicht
unwahren Paradoxon die Cliquen als eine Gruppe von Menschen bezeichnen, die sich im
geheimen am stärksten hassen. Im übrigen leben die Schriftsteller gerade jetzt sehr
isoliert, worüber
Wedekind ja unlängst
Klage geführt hat. Aber das ist eine Vereinsamung, die für
die persönliche Entwicklung notwendig ist. Vielfache falsche Auffassungen entstehen
aus der Kluft, von welcher Schaffende und Kritiker getrennt sind. Das ist nicht ein
Gegensatz von Neid und verletzter Eitelkeit, sondern sie liegt in der
Verschiedenartigkeit der Optik, des ganzen Verhältnisses zum Werke.«
So schloß dieses kurze, in einer Herbstabendstunde geführte Gespräch, in welchem
Artur Schnitzler mir über sein Verhältnis zu
künstlerischen Fragen Aufschluß gab.