Der junge Schnitzler.
Erinnerungen aus der
Anatol-Zeit.
Von
Hermann Menkes.
Man kann es kaum glauben, daß nahezu dreißig Jahre seit jener Zeit vergangen sein
sollten und daß Menschen, die damals noch in ihrem Frühling standen, jetzt nun schon
ins späte Altern kommen. Und doch liegt es schon wie Dämmer einer versunkenen Epoche
über jenem Leben im geistigen
Wien, wo eine neue
Generation mit einer blühenden Fülle außerordentlicher Begabungen auf den Plan trat.
Jetzt erscheint alles als Ausklang, was uns früher als neue Melodie, als ein Anfang
dünkte. Eine unwiederbringliche Zeit durfte nur noch wenige Jahrzehnte sich ausleben
und letzte herbstliche Frucht darbieten, um einer neuen Jugend mit ganz anders
geartetem Denken und Empfinden den Platz frei zu machen. Ein Schimmer aus jenen
holdseligen Tagen ist allen, die sie erleben durften, unauslöschlich geblieben.
In wenigen Wochen wird
Artur Schnitzler sechzig
Jahre alt, unerschöpft noch in seinem Schaffen, immer noch die markanteste
künstlerische Erscheinung unter den großen
Wiener
Begabungen. Sehe ich jetzt den merklich Alternden mit ergrautem Haar, von noch
ernsterem Wesen als früher, so erscheint unabweisbar vor mir das Bild, das ich in
jüngeren Jahren von ihm empfing. Als müßte alles irgendwie noch so sein wie früher,
ist es mir, als ob dieser Kreis, der sich um ihn bildete, unzerstört geblieben, die
Jugend noch unberührt. Leben doch alle noch, schaffend zumeist, die eine neue
österreichische Literatur uns versprachen und
bis jetzt unübertroffene Erfüllungen uns brachten:
Hofmannsthal,
Bahr,
Beer-Hofmann,
Dörmann,
Salten,
Wassermann,
Leopold Andrian. Einige,
die später sich hinzugesellten, sind tot:
Altenberg,
J. J. David,
Ebermann,
Willi
Handl; manche sind kampfesmüde, in Vergessenheit geraten.
Ich habe jene Generation einer dekadent verfeinerten Jugend, die skeptisch und
genießerisch zugleich war, höchst kultiviert in ihrem Aesthetizismus und
philosophisch vergrübelt, Erotiker aus Lust an der psychologischen Erfahrung des
Liebesgefühls, diesen einstigen
Wiener Typus des
jungen Bourgeois, der mit der Bohème kokettierte und der in der Gestaltung
Schnitzlers als
Anatol Unsterblichkeit
erlangte, einmal schon zu charakterisieren versucht.
Anatol war jeder dieser jungen Leute als Träumer oder als wirklicher
Liebeskünstler. Frühreif, hatten sie das tiefe, durchdringende Wissen um die letzten
Dinge des Seelenlebens. Es gab da
Wiener Ausgaben
von
Baudelaire,
Verlaine, von
Swinburne
und
Kierkegaard. Es war Frühling, der etwas
Herbstliches an sich hatte, ein Stück mit einem Bodensatz an Bitternissen. Ein Zug
von
wienerischem Leichtsinn war in diese
skeptische Lebensphilosophie gemischt. Man liebte den Duft von Tuberosen, von zarten
Parfüms, die letzten Nuancen des Gefühls.
Ich sehe dieses jüngste literarische
Wien in einem Extrazimmer eines Restaurants in der
Naglergasse
versammelt oder in einer Runde im vielverspotteten, alt-
wienerisch lieben
Café Griensteidl. Immer
heftig diskutierend, oppositionell dem älteren literarischen Geschlecht gegenüber,
voll von Plänen und Erwartungen. Es gab bestimmte Abende in der Woche, an denen man
die neuesten eigenen Schöpfungen vorlas, die einer strengen Beurteilung unterzogen
wurden. Man war in der Erzählung intimer Erlebnisse ebenso soigniert wie in der
äußeren Erscheinung, an der das Metier nur wenig betont wurde. In diesem Kreis fand
ich, aus
Berlin kommend, wo es etwas bewegter,
bohèmehafter zuging und wo man mitten im Kampf um den Naturalismus sich noch befand, den
etwa dreißigjährigen
Artur Schnitzler. Arzt in
seinem Hauptberuf, war
Schnitzler als Dichter
noch unberühmt, ja fast noch unbekannt. Seine Stücke wurden hie und da auf den
vorortlichen Versuchsbühnen aufgeführt vor einem Publikum von jungen Literaten und
Peripheriemenschen und ich erinnere mich, wie lange ich einem
Dresdener
Verleger zureden mußte, bis er sich dazu entschloß, eines der bekannten
dramatischen Erstlingswerke
Schnitzlers, »
Das Märchen«, als Buch herauszubringen.
Gleich während der ersten
Begegnung lernte
ich ihn auch als wirksamen Vorleser eigener Werke kennen. Er las eine seiner
Anatol-Studien, deren Anmut und sprühende
Geistigkeit Bewunderung erregten und eine große Begabung ankündigten.
Schnitzlers persönliche Erscheinung war trotz
seiner mittleren Statur eine blendende. Von strahlender Jugendlichkeit hatte seine
Physiognomie schon die reife Prägung des Denkers und Poeten. Ein Künstlerkopf, der
an
Daudet ein wenig erinnerte. Ueber eine
marmorweiße, schön geformte Stirn fiel etwas wirr die rötlich getönte Locke. Männlich
im Auftreten, war in seinen reich modellierten Zügen ein gewisser femininer
Einschlag. Die Kleidung von einfacher Vornehmheit, manchmal ein wenig nachlässig.
Er
wirkte faszinierend durch seine Liebenswürdigkeit, durch bescheidenstes Wesen,
zartesten Takt. Faszinierend war auch das Auge, der durchdringende Blick des Arztes.
Manchmal setzte er sich an das Pianino und mächtig erklangen die
Tristan-Weisen bei einer vollen Tongebung des gebornen
Dramatikers. Es gab auch gelegentliche gemeinsame Ausflüge in den
Wurstelprater, wo Bude um Bude aufgesucht wurde: Rutschbahnen,
Karussells, Riesendamen und wo es zu den heitersten und groteskesten Szenen kam. Man
war eben jung, trotz der Dekadenzgeste.
Schnitzlers Berühmtheit stieg dann jäh auf, wie
die
Hofmannsthals. Man war zuerst ein enger
Kreis, eine Gruppe, die sich allmählich auflöste und jeder seinen eigenen Weg ging.
Die intimsten Freunde blieben beisammen.
Hofmannsthal, der als 17jähriger Gymnasiast noch schmal, emporgeschossen als
Loris seine ersten bezauberten kleinen
Versdramen veröffentlichte und als literarisches Wunderkind galt, zog als
erfolgreicher Dramatiker in sein
Rodauner
Wunderschlößchen aus der
Maria-Theresia-Zeit,
wo er noch heute haust.
Schnitzler wohnte noch
in seinem Elternhause in der
Frankgasse mit der
zärtlich geliebten
Mutter
und seiner
Schwester. Hier
suchte ich ihn zu einem stillen Plauderstündchen zuweilen auf. Der reifere Mann hatte
noch nichts von seiner Jugendlichkeit und seinem Charme eingebüßt. Damals entstanden
die »
Reigen«-Szenen, die als Privatdruck für die
Freunde herauskamen. Er hatte eine Scheu davor, sie einer weitern Oeffentlichkeit
zu
übergeben, da man, wie er damals meinte, mit derlei Dingen leicht ins
Pornographenschubfach gebracht werden kann. Er schämt sich dieser geistvoll kecken
Skizzen wohl nicht, wußte aber, daß man sie leicht mißdeuten konnte, und so
verschmähte er lange den Erfolg, der sich mit Sicherheit voraussehen ließ. Diese
leichter geschürzten Bilder eines ironischen Erotikers, die wahrscheinlich von den
»
Contes drôlatiques«
Balzacs angeregt wurden, paßten auch kaum zu
dem grüblerischen, fast schwermütigen Wesen
Schnitzlers.
Wie in früheren Jahren sah ich ihn stets in Begleitung eines Freundes, zu dem er wie
in einem unlösbaren Verhältnis noch jetzt steht. Es war ein äußerst eleganter Herr
mit der Gardenia im Knopfloch, ein heimlicher Poet und sprühend geistvoller
Konversationskünstler, der hinter einer leichten Reserviertheit das gütigste Herz
und
das zarteste Empfinden verbarg. Er hatte ein schmales Novellenbändchen dann
veröffentlicht, das den Kennern noch jetzt unvergeßlich ist. Auch sein Name ist
späterhin berühmt geworden als Dichter des »
Charolais« und von »
Jaakobs Traum«:
Richard Beer-Hofmann.
Stunden intimer Aussprache über sein Denken und Schaffen, sein Verhältnis zu den
Zeitproblemen verbrachte ich mit
Schnitzler in
seinem Heim in der Sternwartestraße und oft weilte unsere Erinnerung in jenen jungen
Tagen, in denen eine neue
österreichische
Literatur nach dem Epigonentum und inmitten der naturalistischen Entartung geschaffen
wurde, deren dominierende Erscheinung
Artur
Schnitzler noch jetzt ist.