Mit Vergnügen las ich die geistreichen und so weit sie meine Person betreffen allzu
liebenswürdigen Bemerkungen, die Sie an die eventuelle Wiederaufnahme des
Reigen bezüglichen Brief knüpfen. Ich möchte nur in
aller Bescheidenheit ein oder das andere kleine Missverständnis aufhellen, zu dem
mein Brief an Dir.
Bernau leider Anlass gegeben zu
haben scheint.
Vor allem lag es mir ganz ferne nachdem die Behörde das Aufführungsverbot aufgehoben,
aus eigener Machtvollkommenheit, wie Sie, sehr geehrter Herr Redakteur annehmen, ein
Aufführungsverbot erlassen zu wollen, vielmehr habe ich nur meine Einwilligung zur
Wiederaufnahme der
Reigen-Vorstellungen davon
abhängig gemacht, dass die Behörde dervon ihr durch Aufhebung des Verbots de facto
erlassenen Aufführungsbewilligung den nötigen Respekt zu verschaffen wisse, und ich
habe meinerseits einen viel zu grossen Respekt vor der Ehrlichkeit, dem guten Willen
und den Machtmitteln unserer Behörden, um daran zu zweifeln, dass sie unter den
gegebenen Umständen jeden neuerlichen Versuch verantwortlicher und unverantwortlicher
Elemente zu verhindern wissen werden, die etwa die Direktion des
Deutschen Volkstheaters in der Ausübung eines ihr gesetzlich
zustehenden, ja nun in aller Form neu zugestandenen Rechtes zu behelligen sich
einfallen liessen. Dazu wird es keineswegs notwendig sein, wie Sie, sehr geehrter
Herr Redakteur, meinen, an die Seite jedes Besuchers einen Schutzmann zu stellen:
die
Vorkehrungen, welche z. B. die
Berliner
Behörden im gleichen Fall getroffen haben und die von durchschlagendem Erfolg
begleitet war, wären selbstverständlich auch in
Wien
vollkommen genügend.
Weitere Bedenken sind mir, anlässlich Ihrer Bemerkung aufgestiegen, dass »auch ein
Tizianbild nicht davor gefeit sei durch
Beschauer geschändet zu werden, deren gieriges Auge nur die Blösse des üppigen
Frauenleibes auszunehmen vermöge, dass es aber trotzdem jeder Kunstfreund auf das
Tiefste bedauern würde, wenn ein solches Gemälde von einem feindlichen Schicksal dazu
verurteilt wäre als Wandschmuck in einem Lupanar zu dienen«. Den Vergleich meiner
anspruchslosen Szenenreihe mit der
Tizianischen
Venus lehne ich als allzu schmeichelhaft, den
des Theaters, in dem der
Reigen aufgeführt wird,
mit einem Lupanar als mindestens unzutreffend ab. Gemälde gehören in eine Galerie
oder in eine Ausstellung, Theaterstücke in ein Theater. Die
Tizianische
Venus hängt nicht
in einem Lupanar und der
Reigen wurde in keinem
Lupanar aufgeführt. Niemals kann durch die Qualität des Publikums ein Theater so
wenig wie eine Galerie in ein Lupanar verwandelt werden. Wahrscheinlich nur aus
technischen Gründen ist es bisher nicht geschehen, dass Leute, die von den Qualitäten
irgend eines Gemäldes sich in ihrem sittlichen Gefühl verletzt gefühlt haben oder
sich so anstellten, als wenn sie es wären,
Stinkbomben warfen oder andere Beschauer an Gesundheit und Leben bedrohten. Und ganz
gewiss ist es noch nie vorgekommen, dass Leute, die das beanstandete Gemälde
überhaupt niemals gesehen, sondern nur von anderer Seite von der Existenz dieses
Gemäldes gehört hatten, aus sittlicher Entrüstung das Museum oder die Ausstellung
gestürmt, die Besucher misshandelten und die Garderobefrauen geprügelt haben. Der
von
Ihnen gewählte Vergleich, sehr geehrter Herr Redakteur, macht, wie man sieht, von
dem
ihm durch das Sprichwort gewährleistete Hinkerecht einen so verschwenderischen
Gebrauch, dass hier die Logik mit ihren gesunden Beinen nicht Schritt zu halten
vermag. Lassen wir ihn also heute, so bleibt nur die Frage übrig, ob ein Maler resp.
ein Autor
sobald, da er vermutet, dass ein Teil des Publikums sich
für das dargebotene Kunstwerk (sei es nun hohen oder niederen Ranges) nicht
ausschliesslich aus künstlerischen Gründen interessiert, moralisch verpflichtet ist,
sein Werk zurückzuziehen. Entschliesst man sich, diese Frage mit einem Ja zu
beantworten, so erklärt man zugleich, dass die meisten Theater und die meisten
Galerien unverzüglich geschlossen werden müssten, da es stets nur ein verschwindend
kleiner Teil des Publikums ist, der den Darbietungen ein anderes als ein rein
stoffliches Interesse entgegenbringt. Bestünde aber die Meinung zurecht, dass Werke,
ob künstlerisch wertvoll oder nicht, die ihrer Natur nach auf die grosse Menge
sinnlich erregend zu wirken imstande sind, von öffentlicher Besichtigung
auszuschliessen oder öffentlicher Darstellung zu entziehen sind, so müsste, wie kaum
erst näher auszuführen werden braucht, mit dem
Reigen zugleich aus dem Spielplan eine beträchtliche Anzahl anderer Stücke
verschwinden, denen gegenüber die sittliche Entrüstung, die gerade anlässlich des
Reigen sich so überlaut zu gebärden wusste, blind,
taub und stumm geblieben ist.
Es bleiben aber immer noch die Gründe zu untersuchen, warum gerade der
Reigen zu so lächerlichen Aufregungen und Skandalen
Anlass gegeben hat wie kaum je ein anderes Stück. Sie liegen, wie jedermann weiss,
zum geringsten Teil auf künstlerischem, zu einem sehr kleinen Teil im sittlichen,
zum
grössten Teil auf sozusagen politischem Gebiete.
Aber auch
die enragiertesten Gegner werden am Ende zugestehen müssen, dass am Ende nicht
mehr geschehen konnte, als dass man allerorten Gerichte und Behörden um die
endgültige Klarstellung des Sachverhaltes bemührt hat. Und da es sich erwies, dass
überall, wo man die Angelegenheit mit Ruhe und Sachlichkeit zu behandeln verstand,
die sittliche Ungefährlichkeit des Reigen bestätigt wurde, so glaube ich wohl