Artur Schnitzler über aktuelle
Burgtheaterfragen.
Erste Berührung mit dem
Burgtheater. – Die Vor- und Nachteile einer »Tradition«. – Die »Diktatur eines
Verwaltungsapparats«.
Von
C. M.
Hofmannsthal verweist auf Schnitzler.
Als bei einem der letzten
Burgtheaterjubiläen
Hugo Hofmannsthal gebeten wurde, ein paar Worte
über das
Burgtheater zu sagen, lächelte er nicht
ohne scharmanten Sarkasmus und sagte, daß der Frager da kaum an die richtige Adresse
geraten sein dürfte. »Um über das
Burgtheater
objektiv urteilen zu können,« sagte er mit einer etwas beschatteten Ironie, »müsste
ich es besser kennen. Das heißt, ich müßte ein Autor sein, der die Ehre genießt, vom
Burgtheater aufgeführt zu werden. Aber gehen
Sie doch zu meinem Freund
Schnitzler! Wenn es
einen Menschen gibt, der Maßgebliches über das Wesen unseres merkwürdigen und
geliebten
Burgtheaters zu sagen hat, ist er
es!«
Und
Hofmannsthal verwies in diesem
Zusammenhang auch auf die äußerst umfangreichen Tagebücher, die
Artur Schnitzler von Jugend auf führte, die aber nicht so bald
das Licht der Oeffentlichkeit erblicken würden.
Hofmannsthal bedauerte das. »Denn wie ich
Artur Schnitzler kenne,« sagte er, »wird in dieser Geheimchronik wohl so
ziemlich alles gesagt sein, was der treueste und autoritativste Begleiter des
Burgtheaters über dieses Haus zu sagen hat.«
Schnitzlers »Vorwort« zu seinen
Geheimtagebüchern.
Auf die einer breiteren Oeffentlichkeit damals vollständig unbekannten Tagebücher
spielte ich an, als ich
Artur Schnitzler nach
der Unterredung mit
Hofmannsthal in einer
Gegend traf, deren landschaftliche Konturen wir in »
Fräulein Else« dann wiederfanden. Der Dichter leugnete die Existenz solcher
Aufzeichnungen natürlich nicht, sagte aber gleich, daß er bereits alle Vorsorgen für
eine wahrscheinlich jahrzehntelange Sperrfrist bis zur Veröffentlichung der
Tagebücher getroffen hätte. Daß das
Burgtheater
in diesen Geheimnotizen einen recht breiten Raum einnimmt, gab er mit einem
vieldeutigen Lächeln zu. Und es klang wie eine Art Vorwort, was er, nach anfänglichem
Widerstreben, während eines langen Spaziergangs als Resümee der
Burgtheatereindrücke eines ganzen Lebens sagte. »Vor allem,«
begann er, »habe ich ja noch jenes
Burgtheater
gekannt, das heute nur mehr im Gedächtnis von ein paar alten Wienern lebt und für
die
Jungen eine Legende ist. Um wirklich Wesentliches über den Komplex ›
Burgtheater‹ aussagen zu können, muß man das alte Haus
gekannt haben. Man wird diesem Theater nur gerecht, wenn der Betrachter allen
Einwänden und Befürchtungen, aller Kritik und dem gewiß oft recht angebrachten Tadel
eine Reservatio mentalis voranstellt. Und das wäre die wienerische, zu der sich mein
Freund
Hofmannsthal aus vielen guten Gründen
nicht aufzuschwingen bemüßigt fühlt: daß man das
Burgtheater liebt!«
Die Aufnahme in das
Burgtheater.
Schnitzler begann zu erzählen, wie sich für ihn
schon in der ersten Jugend Berührungen mit dem Hause am
Michaelerplatz ergaben. Die namhaftesten seiner Darsteller
waren nicht nur Patienten, sondern auch Freunde seines
Vaters. Und diese Freundschaften übertrugen
sich auf den heranwachsenden Sohn. Mit einer sehr hübschen, etwas ironischen
Selbstpersiflage sprach
Schnitzler davon, einer
jener »Söhne aus gutem Hause« gewesen zu sein, die es als Maximum des überhaupt
Erreichbaren ansahen, in der Zeitung gedruckt und im
Burgtheater aufgeführt zu werden. Wobei es ein eigenartiger, zum eben
Gesagten nicht ganz beziehungsloser Zufall fügte, daß uns der Weg gerade in diesem
Augenblick an den Sportplätzen eines vornehmen Landcolleges vorüberführte, wo sich
Söhne aus heutigen »guten Häusern« ein schon mehr als temperamentvolles Match
lieferten. »Ein
Burgtheaterautor,« sagte
Schnitzler lächelnd, »wächst hier wohl nicht
heran. . . «
Und er sprach weiter. Er kam auf den »vielleicht denkwürdigsten Tag seines Lebens«,
an dem
Max Burckhardt seine »
Liebelei« zur Aufführung brachte. »Bis dahin«, sagte er,
»Verehrer und sozusagen erblicher Stammsitzabonnement des Hauses, sah ich mich nun
in
den engeren Kreis des
Burgtheaters aufgenommen.
Das hätte vielleicht schon früher sein können. Aber es hatte da Hemmungen von
durchaus persönlicher Art gegeben. Ich weiß mich noch genau zu erinnern, daß die im
Vaterhaus angeknüpfte Freundschaft mit
Sonnenthal und seinen Kollegen mich eher abgehalten als ermutigt hat, meine erste
dichterische Produktion auch nur zur Begutachtung dem
Burgtheater vorzulegen.
Das
Burgtheater als »Erzieher zu
einer höheren Lebensform«.
Nun skizzierte
Schnitzler in geistvollen
Umrissen das, was er vorhin als den »Komplex
Burgtheater« bezeichnet hatte. Warum, fragte er, ergeben sich bei der
Beurteilung des
Burgtheaters so viele
Mißverständnisse? Weil sich das Wesen dieses, wie Hofmannsthal sagte, »merkwürdigen«
Hauses nicht so sehr beim Betrachten seiner tatsächlichen Leistung, als in Imponderabilien
enthüllt! Es sei charakteristisch, daß man bei Unterhaltungen über das
Burgtheater Worten wie »Atmosphäre« und »Tradition« nicht aus
dem Wege gehen könne. »Atmosphäre und Tradition«, sagte
Schnitzler, »sind hier Begriffe mit sehr realen Auswirkungen.
Je mehr man sich von ihnen zu entfernen suchte, desto blasser wurde die künstlerische
Leistung und desto schwächer – das Erziehungswerk, das dieses Haus geleistet hat!«
Und mit vollster Ueberzeugung sprach
Schnitzler
von einer der
Burgtheatersphäre absolut
eigentümlichen, unter andersgearteten Verhältnissen unwiederholbaren Kultur. Ob ihr
geistiger Inhalt auch immer dem »nicht geringen Aufwand an Form« entsprach, lasse
er
eventuell dahingestellt sein. »Aber«, sagt er, »nach gewissen Erfahrungen im Umgang
mit Menschen und Institutionen, die sich auf ihre ›Zeitgemäßheit‹ berufen, lernt man
es, den Wert guter Formen nicht geringer einzuschätzen, als er’s verdient! Als Autor
kann man im
Burgtheater wie schließlich in jedem
anderen Theater der Welt gute und auch minder erfreuliche Erfahrungen machen. Nie
aber wird der im
Burgtheater zu Wort kommende
Autor über die Form zu klagen haben, in der seine Aufnahme in diesen Kreis erfolgt.
Jene sonderbare, snobistische Geringschätzung, die sich anderswo auch Autoren von
Verdienst gefallen lassen müssen« – es schien,
| als ob der Dichter hier auf ein
persönliches Erlebnis anspiele –, »ist in der
Burgtheateratmosphäre so gut wie undenkbar. Hier legt die ›Tradition‹ eben
Verpflichtungen auf. In der Flucht der
Burgtheatererscheinungen gibt es nebensächliche, auch mediokre Exponenten
von Tradition. Aber fast keinen, dem Vergangenheit und Atmosphäre dieses Hauses nicht
Erzieher zu einer höheren Lebensform geworden wären!«
Die Diktatur der Verwaltung.
Eine ausdrückliche Stellungnahme zu aktuellen
Burgtheaterproblemen lehnte
Schnitzler
ab. Aber er sagte: »Die organischen Schwierigkeiten dieses Betriebes hängen vor allem
mit der von altersher bestandenen Unterordnung des
Burgtheaters unter einen mit nahezu diktatorischen Befugnissen ausgerüsteten
Verwaltungsapparat zusammen. Klagen dieser Art erinnere ich mich schon als
fünfzehnjähriger Gymnasiast im Hause meines
Vaters gehört zu haben. Gegen die Diktatur von höfischen
Würdenträgern und Beamten, deren inneres Verhältnis zu Kunstfragen nicht immer
klarzustellen war, hat man zu allen Zeiten gekämpft. Ohne richtigen Erfolg. Es zeigt
sich, daß ja auch heute ein eminent lebenskräftiger Rest von Intendantentum und
Beamtenhoheit die Geschicke des
Burgtheaters
mitbestimmt. Inwiefern diese Vormundschaft nach ihrer Zählebigkeit zu schließen
vielleicht doch eine Art, sagen wir: geheimer Notwendigkeit darstellt, läßt sich von
uns Außenstehenden nicht ohne weiteres ergründen.
Kann das
Burgtheater
abbauen?
Das folgende sagte
Schnitzler, lange bevor die
Abbaufrage im
Burgtheater aktuell wurde. »Das
Theater kommt nach meinem Dafürhalten unter anderem auch deshalb zu Schaden, weil
es
beim Engagieren, also Bezahlen allererster Kräfte gebundene Hände hat. An und für
sich wären die Mittel allerdings fast immer dagewesen. Das
Burgtheater wurde ja zu allen Zeiten erheblich teurer als
jedes andere Privattheater geführt. Aber jede etwas kostspielige Auffrischung
scheitert an der sakrosankten Unauswechselbarkeit des künstlerischen Apparats! Und
dabei gebe ich, der eben ein älterer Wiener ist, selbst zu: ein
Burgtheater kann nicht rücksichtslos abbauen und den momentan
entbehrlichen Mitarbeiter einfach auf die Straße werfen! Verhängnis des Noblesse
oblige! Ein Staat, der mit seinen Steuergeldern auch die entbehrlichsten seiner
Beamten bis ans Lebensende alimentiert, kann nicht gut Menschen aufs Pflaster setzen,
die das Malheur haben, nichts weiter als Künstler zu sein. Und so ergeben sich
Belastungen, mit denen das
Burgtheater immer
stärker als der reine Geschäftsbetrieb eines Privatunternehmers zu rechnen
hatte.«
»Aber«, schloß
Artur Schnitzler, »es gehört
wohl zum Wesen dieser Bühne, daß ihr Bestehen ein Aktivposten in künstlerischer und
kultureller Hinsicht sein kann, nicht aber die Gewähr eines sich bezahlt machenden
Geschäftes!«