Von
Paul Wilhelm
Seine Kunst hat der
Wiener Literatur ihr
spezifisches Gepräge gegeben.
Das süße
Wiener Mädel, das bei
Grillparzer noch im klassischen Gewände einherschritt und den
wohlklingenden Namen
Hero trug, hat er in ein
schlichtes, sittsam geschlossenes Seidenbluschen gesteckt und in ihre Sprache die
heimatlichen Klänge der Vorstadt gemischt. Aber er hat ihren tiefsten Zauber, die
kindliche Heiterkeit, die von den Schatten tragischen Geschickes leise umdämmert
wird, beizubehalten vermocht. Darin lag die Dichterkraft seiner Jugend, die ihn uns
lieb und Wert machte. Er wurde zum Dichter des süßen Mädels, wie er in seinen
Anfängen der espritvolle
Anatol-Poet gewesen.
Man wies ihm seinen Platz an in der Literatur, und – da gedankenloses Einschachteln
nun einmal in der
Wiener Art liegt, – so übersah
man lange, daß der Dichter bei dem schönen und reinen inneren Erlebnis, das die »
Liebelei« seinem Schaffen bedeutete, durchaus
nicht stehen geblieben war. Er sah tiefer in die Probleme des Lebens und in die
menschliche Seele. Und er erzählte von ihren Schicksalen mit einer klaren, tiefen,
eindringlichen Kraft, die sich zuweilen ins Dunkle, Geheimnisvolle verbohrte. Seine
Weltanschauung und sein Stoffkreis erweiterten sich, rückten hart an die Grenze, wo
die einsamen Reiche der Großen beginnen. Aber er ist ein
österreichischer Dichter, und das bedeutet so viel, als im
Vaterlande nicht nach vollem Wert eingeschätzt, auch dann noch in einen ästhetischen
Rahmen gepreßt zu werden, wenn Entwicklung und Begabung denselben längst gesprengt
haben. Sonst wüßte man seit langem, daß
Schnitzler weit mehr ist, als der Dichter des
Wiener Sentiments, daß Stimmung, Kolorit und die natürliche Anmut seiner
Melodik durchaus nicht mehr das Wesentlichste, Bedeutsamste seines künstlerischen
Schaffens ausmachen.
Aber er stand nie im Streit der Meinungen und ist immer seinen Weg gegangen. Ruhig,
unbeirrt, ganz in sich gefestet, eine feine und dennoch in sich bewußte
Persönlichkeit, die es eben nicht verschmäht, neben Bedeutung und Temperament auch
Anmut und Geschmack zu besitzen. Das läßt ihn für den oberflächlich Beurteilenden
seiner, müder, dekadenter, ja artistischer erscheinen, als er tatsächlich ist. Es
ist
vielmehr ein tiefdenkerischer, zuweilen grüblerischer Zug in ihm, der das
Spielerische, das jeder großen Formbegabung anhaftet, zu starkem und oft
scharfgeschliffenem Ausdruck zwingt.
Auch als Mensch ist er nicht von den kleinen Eitelkeiten des literarischen
Artistentums befangen, dem kokette Eigenspiegelung als der wertvollste Inhalt
künstlerischen Schaffens erscheint. Er hat vielmehr seine Poetenseele in ein
bescheidenes Alltagskleid gesteckt – er ist ein ganz liebenswürdiger, anspruchsloser
Mensch, der vor den lauten Stimmen der Oeffentlichkeit gern seine Fensterläden
schließt.
So ist auch sein Heim. Draußen in
Währing, in der
Spöttelgasse – die Front dem
Sternwartepark zugekehrt, von der Straße abgewendet, von einer
merkwürdigen Stille und Weltabgeschlossenheit umfriedet. Dort suchte ich ihn jüngst
wieder auf an einem hellen, sonnigen Vorfrühlingstag, einem jener Tage, von denen
ich
immer glaube, daß ihre wehe Süße nur in der
Wiener
Luft liegt, in dem Hauch, der so weich und mild herüberweht von den Höhen des
Wienerwaldes.
Mit herzlicher Begrüßung empfing mich der Dichter in seinem Arbeitszimmer. Ein
eleganter, nicht zu großer Raum, alles gleichsam aneinander gerückt, durchaus den
Eindruck vornehmer Behaglichkeit erweckend. Er enthält neben dem breiten Schreibtisch
und der prächtigen Bibliothek des Dichters feine graphische Kunstwerke, von denen
mir
eine Radierung »
Shakespeares House« besonders
auffällt, ferner eine Büste
Beer-Hofmanns
, ein Paar Plastiken, und an der rechten Wand das Stehpult, an dem
Schnitzler zu arbeiten pflegt.
Wir verweilen aber nichr lange.
Schnitzler
schlägt mir vor, den herrlichen Frühlingstag zu einem gemeinsamen Spaziergange zu
benutzen. Ich erkläre mich gern einverstanden. Wir brechen auf. In wenigen Minuten
sind wir mit der Elektrischen bei der Endstation in
Pötzleinsdorf. Nun gehts langsam in gemütlichem Geplauder durch den
Pötzleinsdorfer Wald über
Neuwaldegg in den
Dornbacher
Park – ein prächtiger Weg durchs erste Grün der Wälder und Wiesen.
Wir sind bald tief im Gespräch.
Schnitzlers
Konversation ist von eigenem Reiz. Seine Gedankenkraft wächst im Gespräch. Anfangs
karger, vorsichtiger, im Ausdruck mehr das einzelne Wort prägend, wird sein Ideengang
bald lebhafter, reicher, farbiger. Der Dialog gibt ihm willkommene Stichworte. Er
schafft, schöpft, bildet gleichsam im Konversieren, und man gewinnt einen Einblick
in
die feine Präzision, mit der der Mechanismus seines Denkprozesses arbeitet.
Ich frage ihn im Gespräch nach seiner Meinung
über die verschiedenen Strömungen und Richtungen in der modernen Literatur. »Ich
glaube,« meint
Schnitzler, »daß wirklich
vernünftige Menschen auf Schulen oder Richtungen gar kein Gewicht legen werden. Es
wird zu allen Zeiten nur auf die Persönlichkeit ankommen. Alles andere sind formelle
Unterscheidungen, Geschmacksdifferenzierungen, die sich eigentlich auf das rein
Technische beziehen. Das Wesentliche, worauf es ankommt, hat sich nicht geändert,
nur
die Ausdrucksformen sind zeitweilig andere.« Ich weise auf gewisse Gesetze hin, die
die neuere Literatur geprägt – und erwähne dabei beispielsweise die Verbannung das
Monologs, die mir im naturalistischen Drama durchaus berechtigt, im Stilstück aber
als verfehlt erscheine.
Schnitzler entgegnet:
»Es gibt oder sollte auch hier keine anderen Gesetze geben, als die künstlerischer
Notwendigkeiten. Unsere Zeit hat eben ihre Begriffe, die sich die Schaffenden selbst
bestimmen. Es bedarf nur einer großen Persönlichkeit, diese sofort wieder
umzustoßen.« Ich nenne
Shakespeare, von dessen
Kunst aus man tatsächlich für und gegen jede Sache Beweise anführen könnte.
Schnitzler lächelt und meint: »Ich will gar
nicht so hoch greifen. Wir wollen darüber übereinkommen, daß wir Begriffe wie
Shakespeare,
Goethe und der liebe Gott nicht zu Vergleichen heranziehen wollen. Das Genie
hat das unbedingte Recht, seine Persönlichkeit nach eigensten Gesetzen auszuleben.«
Ich verweise auf die neuen Ideen, die die moderne Literatur erfüllen, auf all die
vielen, tiefen Gedankenwerte und Umwertungen, die sich uns in sozialer und sittlicher
Hinsicht neu erschlossen.
Schnitzler erwidert:
»Es gibt eigentlich auch da nichts wirklich Neues. Wir sind nur von neuem auf längst
Vorhandenes gekommen. Die Elemente des Menschentums waren immer gegeben! Es gibt
eigentlich keine neuen
Ideen, es gibt nur neue
Gedankenintensitäten. Alle großen Ideen sind so alt, wie
die Menschheit, und es hat immer nur des großen Individuums bedurft, diese Ideen mit
Nachdruck und Mut persönlich oder durch Vermittlung einer selbstgeschaffenen Gestalt auszusprechen. Jede große Wahrheit ist eine Banalität, solange man
sie nicht selbst entdeckt hat.«
Ich erwähne des hohen Wertes, den unsere Zeit gerade der Originalität beimesse, und
bemerke, daß hier oft des Guten zu viel getan werde, daß das Neuartige nur zu leicht
überschätzt und über das
Bedeutsame gestellt werde.
»Gewiß,« entgegnet
Schnitzler, »aber dies ist
eben nur in der Meinung der Zeitgenossen der Fall, die wir so stark überschätzen,
weil wir davon unmittelbar betroffen sind. Es ist überhaupt ein Zug der Zeit, nach
Beeinflussungen zu suchen, Vorbilder aufzuspüren und daraus einen künstlerischen
Vorwurf zu machen, den man früher nie erhoben hätte. Heute wird sehr oft Eigenart
mit
Einseitigkeit verwechselt. Und oft ist es die Eigenart selbst, die allmählich, wenn
sie nicht gleichsam durch fremde Blutmischung erneut, durch geistigen Stoffwechsel
belebt wird, zur Einseitigkeit führt.« Wir kommen auf künstlerische Anregungen und
im
Zusammenhange damit auf des Dichters eigenes Schaffen zu sprechen. Er spricht dankbar
von Anregungen, die er empfangen hat, und von dem Wert, den er auf das Urteil einzelner Menschen lege, wenn er auch im allgemeinen
seinem eigenen Gefühl über Wert oder Unwert einer seiner Arbeiten vertrauen dürfe.
Ich frage nach seinem gegenwärtigen Schaffen. Er hat vor kurzem einen neuen Roman
»
Der Weg ins Freie« vollendet und ist eben
mit neuen dramatischen Arbeiten beschäftigt. Aber er erzählt nicht gern von ihnen,
solange sie nicht vollendet sind. Ich spreche von zweien seiner letzten Dramen, dem
»
Einsamen Weg« und dem »
Ruf des Lebens«, die ich beide liebe und die mir künstlerisch
von subtilstem Wert erscheinen. Da wir eben im Gespräch darüber sind, kommen wir auf
eine breite Wiese am Eingang des
Dornbacher Parks
– ein wunderschönes Stückchen Landschaft, von Waldrand und Hügelland rings
umschlossen.
Schnitzler bleibt stehen und sagt
lächelnd: »Hier steht in meiner Phantasie das Haus des Herrn von Sala im ›
Einsamen Weg‹, da drüben am Waldesrand habe ich
es mir immer gedacht. Sehen Sie,« meint er, »dort drüben, gerade dort müßte es
stehen.« Wir kommen auf die Darstellung zu sprechen, die das Werk in
Berlin gefunden, und sind nun doch bei dem in
Wien unvermeidlichen Thema: Schauspielkunst angelangt. Ich
spreche von den
| Darstellern der älteren und der neueren Schule. Auch hier läßt
Schnitzler nur technische
Unterschiedlichkeiten gelten. Er ist der Ansicht, daß die moderne Darstellungsart
wohl vieles menschlich näherbringe, aber auch geeignet sei, über manche innere
Unzulänglichkeit der Darsteller hinwegzutäuschen. Er sagt: »Es ist zweifellos, daß
große Schauspieler sehr häufig imstande sind, auch wenn sie nichr sehr klug sind,
bedeutende Intellekte darzustellen, daß sie aber für den tiefer Blickenden versagen,
sobald sie inneren Adel darzustellen haben, ohne ihn zu besitzen. Dem scheint
allerdings zu widersprechen, daß Künstlerinnen von sogenanntem schlechten Ruf sehr
wohl vermögen sogenannte reine Wesen darzustellen. Bei dieser Gelegenheit zeigt es
sich eben nur, daß wir sehr unrecht tun, unsere Begriffe von Reinheit vom
Geschlechtlichen abzuleiten.«
Wir sprechen im Anschluß hieran von den moralischen Begriffen der modernen
Weltauffassung.
Schnitzler meint: »Wir wollen
das Wort modern ausschalten. Man sollte überhaupt immer Worte, die allzu vieldeutig sind, möglichst aus der Sprache verbannen. Sonst kommt man nicht weiter, oder
macht es den ›Geistreichen‹ zu leicht. Zu diesen Worten gehören beispielsweise auch
Religion und Philosophie. Für den einen ist Religion nichts als individuelle
Stellungnahme zu den ewigen unlösbaren Fragen! In diesem Sinne ist es natürlich, daß
jeder Mensch Religion hat, so natürlich, wie daß jeder Mensch atmet. Für andere ist
Religion nur ein ganz bestimmtes Verhältnis zur Gottheit, zur Legende, zur
Offenbarung. Durch diese Zwiespältigkeit kommt in den Diskussionen über Religion
soviel Gerede heraus – ja manchmal noch Schlimmeres: Mißverstehen, Unaufrichtigkeit
und Tücke.«
Wir sind beim Philosophieren und sprechen vom Gegensatz der altruistischen
Weltanschauung zur modernen Herrenmoral.
Schnitzler meint, der Altruismus sei oft nichts anderes, als der Egoismus
des Wehleidigen. Eine höhere Form des Altruismus beruhe wohl im Wesentlichen auf nachempfindender Phantasie, die fremdes Erlebnis in eigenes
transponiert!
Wir kommen auf die
österreichische Literatur
und ihre Stellung im Auslande zu sprechen und ich erwähne, daß man in
Deutschland der
österreichischen Literatur vornehmlich ihren weichen, müden, stillgestimmten
Grundton vorwerfe, für den eben nur bei uns das richtige Empfinden vorhanden sei.
»Es
wird eben so häufig, entgegnet
Schnitzler, auch
hier Brutalität mit Kraft verwechselt und Feinheit mit Schwäche, während gerade im
Künstlerischen so oft Brutalität ein Zeichen von Kraftlosigkeit und Feinheit ein
Zeichen von Stärke ist.«
Ich bemerke, daß wohl auch die heimische Kritik zuweilen dazu beitrüge, falsche
Begriffe zu verbreiten und dem Ausland gegenüber zu Schlagworten zu machen. Der
Dichter meint: Es gibt eben Kritiker, denen es gelingt, das Gute in einer gewissen
Entfernung zu schätzen – denen aber in der Nähe allerlei Persönliches den Blick trübt
–, man könnte sie – »weitsichtige Kritiker« nennen!
Wir sprechen auch von Musik, zu der
Schnitzler
– wie er mir gesteht – vielleicht ein noch innigeres Verhältnis hat als zur
Literatur. Von neueren Musikern, die ihm ein tiefes künstlerisches Erlebnis bedeuten,
nennt er besonders
Anton Bruckner und
Gustav Mahler. Auch von
Pfitzner und
Reger
sowie von den Liedern von
Streicher und
Hugo Wolf spricht er mit besonderem Nachdruck.
Er weist dabei auf die Parteiungen auch im musikalischen Leben hin und fügt hinzu:
»Es scheint in der selben Seele selten für zwei Begeisterungen Raum zu sein. Für
einen Haß mehr findet sich aber immer noch ein Plätzchen!«
So wandern wir plaudernd weiter durch den
Dornbacher
Park. Der herrliche Frühlingstag löst auch Betrachtungen über die Natur aus.
Schnitzler betont den großen Einfluß, den
landschaftliche Schönheiten auf seine Stimmungen haben. Namentlich von Reisen habe
er
tiefe Eindrücke mitgenommen. In der Natur liebt er am meisten den Laubwald. Das ist
sein Begriff von Sommer, von schöner, ruhiger Reife. . .
Wir treten aus dem Wald hinaus. Der Straßenlärm umfängt uns. Wir besteigen die
nächste Elektrische und fahren zur Stadt zurück. Unser Gespräch dreht sich nur mehr
um gleichgültige Dinge, denn die Stimmen des Alltags überdröhnen die tieferen und
feineren Gedanken. Aber viele von ihnen tönen innen fort, haben die Kraft edler
Melodik, die dem Gedächtnis nicht wieder verklingen will. . . .