Zur Erstaufführung des Medardus-Film
Aus einem Gespräch mit
Arthur
Schnitzler.
↓Mitgeteilt von L. K.↓
Filmstücke erfordern bekanntlich weit mehr Proben als Bühnendramen. Sind die
Aufnahmen alle beendigt, ist der Film zugeschnitten, dann erst beginnt die
eigentliche Arbeit des Regisseurs gemeinsam mit dem Dramaturgen, an der auch der
Autor zuweilen teilnimmt. Jetzt erst wird der Text, die sogenannten Titel endgültig
festgestellt, die
Ab↓Akt↓schlüsse bestimmt, der Film für die Aufführung hergerichtet. Anlässlich der
letzten Probevorführung des »
Jungen Medardus«,
einer Generalprobe sozusagen, hatten wir Gelegenheit mit
Arthur Schnitzler zu sprechen.
Der Dichter äusserte sich mit folgenden Worten zur Verfilmung
seiner dramatischen
Historie.
»Ziemlich spät hat den ›
Medardus‹ das Schicksal er
reicht↓eilt↓, das ihm von ma
↓n↓chen Seiten
schon↓gleich↓ nach der
Burgtheaterpremiere prophezeit
worden ist. Schon damals wurde von einigen Kritikern der ›
Medardus‹
↓(↓nicht immer in
durchaus
| wohlwollenden Sinne
↓)↓ als Kinostück
bezeichnet.
Bereits einige Male↓Öfters schon↓ sollte der ›
Medardus‹ verfilmt werden,
aber erst die vorjährigen Verhandlungen mit der
↓›↓Sa↓s↓cha↓‹↓ brachten den Plan zur Reife und zur Ausführung. Ich habe
damals mehreren Regiebesprechungen beigewohnt und auf die Umwandlung meiner
dramatischen Historie in einen Film einen, wenn auch bescheidenen
↓,↓ Einfluss genommen. Den Aufnahmen wohnte ich nicht bei, doch besichtigte ich einige Male das alte
Wien,
das die Architekten der
Sascha auf dem
Laerberg in so kunstvoller Weise wieder haben
↓neu↓ erstehen lassen. Der Regisseur
Kertes↓z↓ hat mir schon bei anderen
Gelegenheiten, insbesondere durch seine Beherrschung der Massen, seine
Unermüdlichkeit und Energie nicht wenig imponiert. Man führt mir heute den Film nicht
zum ersten Mal vor, wie Sie wissen, ich habe ihn auch schon in früheren Stadien
gesehen, doch schiene es mir unangemessen, da ich doch ein gewisses Recht habe mich
als Mitautor zu fühlen, mich in positiver oder negativer Weise
|zu dem Werk zu
äussern, so sehr es mich eigentlich verlocken würde allen Beteiligten auch vor der
Oeffentlichkeit all das Freundliche und Herzliche zu sagen, das ich angesichts ihrer
Leistungen empfunden habe.«
Wir kamen auf die Erstaufführung des »
Medardus« am
Burgtheater zu sprechen.
»Ich habe den ›
Medardus‹ nicht ein
Drama genannt oder eine
Tragödie«, sagte
Schnitzler, »sondern
eine dramatische Historie, weil ich mir dessen bewusst war, dass das Stück keineswegs
nach den Regeln gebaut ist. Ich erinnere mich noch, dass ich dieses Bedenken
seinerzeit
Max Burckhardt gegenüber aussprach,
der dazu meinte, der Dichter
ist↓sei↓ ja nicht verpflichtet seine Stücke nach irgend welchen Regeln abzufassen
↓;↓ Die neuen Dramen
sind↓seien vielmehr↓ dazu da, damit neue dramatische Gesetze aus ihnen abgeleitet werden. Der
›
Medardus‹ im
Burgtheater begegnete manchen Einwänden von Seiten der Hofzensur. So
wünschte man z. B., dass die
Schön|brunner
Szenen anderswo hinverlegt würden, worauf ich begreiflicherweise einzugehen nicht in der Lage war. Der
Obersthofmeister befürchtete ferner, dass sich ›die
Wiener‹
wegen einiger minder sympathische
n↓r↓ Figuren beleidigt fühlen dürften, bestand aber auch in diesem Falle
keineswegs auf Milderung
svorschläg↓en↓. Zu der Umtaufe der Herzogsfamilie aus Berry in Valois worum
man mich aus irgend welchen höfischen Rücksichten ersuchte, konnte ich mich
ohneweiters bereit erklären. Es wird Sie vielleicht interessieren, dass
Paul Schlenther (der das Stück annahm
), die Erstaufführung aber gern seinem Nachfolger
Alfred Berger überliess) in Anbetracht der
ungewöhnlichen Länge des Stücks eine Zweiteilung in Erwägung zog, sowie ja auch die
Sascha das Stück ursprünglich für zwei Abende
bearbeiten↓einrichten↓ lassen wollte. Es ist mir natürlich sympathisch, dass die Handlung des Films
in der gewandten Bearbeitung
Vajdas sich von
der
| des Theaterstücks nicht allzuweit entfernt. Dass der Film auf
Napoleon nicht verzichten konnte und durfte ist
ebenso selbstverständlich, als dass das Theaterstück sich davor hütete die
überlebensgrosse
Persönlichkeit↓Gestalt des Kaisers↓ gewissermassen episodisch auftreten zu lassen.«
»Sie fragen, ob andere meiner Werke verfilmt worden sind? Ja. Meine beiden frühesten:
Liebelei
und
Anatol
.
Liebelei wurde von der
Nordisk-Filmgesellschaft
verfilmt.
Psi↓y↓lander spielte den Fritz. Es gab prachtvolle Naturaufnahmen und
einige sehr gute schauspielerische Leistungen. Doch das
↓›↓Wienerische
↓‹↓ fehlte
begreiflicherweise↓allzu sehr↓, trotz mancher landschaftli
↓c↓her und seelischer
Verwandtschaft zwischen
Wien und
Kopenhagen. Der Film läuft längst nicht mehr, verschiedene
Gesellschaften haben sich seither um die neuerliche Verfilmung der »
Liebelei‹ beworben, aber die Rechtslage ist noch nicht so
|weit geklärt, dass ein Abschluss
möglic↓hatte↓ erfolg
t wäre↓en können↓. Der ›
Anatol‹ wurde kurz nach dem Krieg in
Amerika verfilmt und soll dort einen grossen Erfolg erzielt haben. Auf meiner
schwedischen Vortragsreise im vergangenen Frühjahr hatte ich
Gelegenheit den ›
Anatol‹ zu sehen, allerdings ohne ihn gleich
wieder zu
erkennen. Ich fand ihn nämlich als verheirateten Mann wieder, der es sich zur
Lebensaufgabe gemacht hat gestrauchelte Mädchen auf den seiner Ansicht nach rechten
(möglicherweise aber auch falschen) Weg zu bringen, was seine Frau begreiflicherweise
etwas nervös macht. Den Höhepunkt erreicht der
Film in folgender Szene: Anatol hat einer seiner
platonischen Freundinnen eine Wohnung auf das Kostspieligste eingerichtet und findet
↓dort↓ einmal eine kleine,
übrigens ganz anständige↓nach europäischen Begriffen
gar nicht sonderlich lockere↓ Gesellschaft
ihrer Freunde und Freundinnen beim↓von jungen Herren u Damen zum↓ Abendessen, worauf er aus Erbitterung das gesammte Mobiliar kurz und klein schlägt. Nach einigen
|ähnlichen Abenteuern gibt er seinen Rettungssport auf und gewinnt sich seine Gattin
wieder, die indess ein bischen, ganz unschuldig natürlich, wie es in
Amerika üblich ist, mit Max geflirtet hat.«
Ich fragte
Schnitzler nach seinen Ansichten über die Bedeutung und die voraussichtliche
Weiterentwicklung des Films.
»Mich über eine so komplizierte Frage im Allgemeinen zu äussern, fiele mir schwer.
Die Behauptung, dass ein Kinodrama niemals ein vollendetes Kunstwerk im wahren Sinn
sein könne, scheint mir durchaus richtig. Aber wer könnte↓will↓ leugnen, dass in jedem guten Film eine ganze
Fülle von künstlerischen Elementen, schauspielerischen vor allem, malerischen, ja
auch dichterischen enthalten sein kann↓zu sein pflegt↓. Will man das sogenannte Filmstück mit irgend einer schon bestehenden
Kunstform vergleichen,| so ist die Verwandtschaft mit Roman und Novelle viel
augenfälliger als die mit dem Drama. In gewissem Sinn und einigermassen oberflächlich
ausgedrückt, ist das Filmstück eigentlich nichts anderes als ein illustrierter Roman.
In je höherem Mass das illustrative Element die textliche Begleitung überwiegt, umso
eher glaube ich wird es irgend ein dem Film immanentes Kunstgesetz zu erfüllen in der Lage sein, das zu formulieren ich mich
allerdings nicht getrauen würde. Im übrigen wollen wir uns doch durch
dogmatisch-aesthetische Erörterungen das Vergnügen an dem vielen Interessanten und
Wertvollen, ja auch künstlerisch Wertvollem, das uns
der Spielfilm in den letzten Jahren gebracht hat, nicht trüben lassen. Ich glaube
in
der letzten Zeit auf der Leinwand insbesondere an schauspielerischen Leistungen mindestens so Bedeutendes gesehen zu haben,
als auf dem lebendigen Theater, was freilich wieder mit den allgemeinen
Zeitverhältnissen in nicht immer erfreulicher Weise zusammenhängt. Trotzdem liegt
der| eigentliche tiefere Wert und die Zukunft des Films in höherem Sinn, auf naturwissenschaftlichem und pädagogischem Gebiet.
Aber dieses Thema würde uns allzu sehr ins Weite führen.« ↓–↓