Ludwig Klinenberger: Zur Erstaufführung des »Medardus«-Films, 5. 10. 1923

Zur Erstaufführung des Medardus-Film
Aus einem Gespräch mit Arthur Schnitzler.
Mitgeteilt von L. K.
Filmstücke erfordern bekanntlich weit mehr Proben als Bühnendramen. Sind die Aufnahmen alle beendigt, ist der Film zugeschnitten, dann erst beginnt die eigentliche Arbeit des Regisseurs gemeinsam mit dem Dramaturgen, an der auch der Autor zuweilen teilnimmt. Jetzt erst wird der Text, die sogenannten Titel endgültig festgestellt, die Aktschlüsse bestimmt, der Film für die Aufführung hergerichtet. Anlässlich der letzten Probevorführung des »Jungen Medardus«, einer Generalprobe sozusagen, hatten wir Gelegenheit mit Arthur Schnitzler zu sprechen. Der Dichter äusserte sich mit folgenden Worten zur Verfilmung seiner dramatischen Historie.
»Ziemlich spät hat den ›Medardus‹ das Schicksal ereilt, das ihm von manchen Seiten gleich nach der Burgtheaterpremiere prophezeit worden ist. Schon damals wurde von einigen Kritikern der ›Medardus(nicht immer in durchaus| wohlwollenden Sinne) als Kinostück bezeichnet. Öfters schon sollte der ›Medardus‹ verfilmt werden, aber erst die vorjährigen Verhandlungen mit der Sascha brachten den Plan zur Reife und zur Ausführung. Ich habe damals mehreren Regiebesprechungen beigewohnt und auf die Umwandlung meiner dramatischen Historie in einen Film einen, wenn auch bescheidenen, Einfluss genommen. Den Aufnahmen wohnte ich nicht bei, doch besichtigte ich einige Male das alte Wien, das die Architekten der Sascha auf dem Laerberg in so kunstvoller Weise wieder haben neu erstehen lassen. Der Regisseur Kertesz hat mir schon bei anderen Gelegenheiten, insbesondere durch seine Beherrschung der Massen, seine Unermüdlichkeit und Energie nicht wenig imponiert. Man führt mir heute den Film nicht zum ersten Mal vor, wie Sie wissen, ich habe ihn auch schon in früheren Stadien gesehen, doch schiene es mir unangemessen, da ich doch ein gewisses Recht habe mich als Mitautor zu fühlen, mich in positiver oder negativer Weise |zu dem Werk zu äussern, so sehr es mich eigentlich verlocken würde allen Beteiligten auch vor der Oeffentlichkeit all das Freundliche und Herzliche zu sagen, das ich angesichts ihrer Leistungen empfunden habe.«
Wir kamen auf die Erstaufführung des »Medardus« am Burgtheater zu sprechen.
»Ich habe den ›Medardus‹ nicht ein Drama genannt oder eine Tragödie«, sagte Schnitzler, »sondern eine dramatische Historie, weil ich mir dessen bewusst war, dass das Stück keineswegs nach den Regeln gebaut ist. Ich erinnere mich noch, dass ich dieses Bedenken seinerzeit Max Burckhardt gegenüber aussprach, der dazu meinte, der Dichter sei ja nicht verpflichtet seine Stücke nach irgend welchen Regeln abzufassen; Die neuen Dramen seien vielmehr dazu da, damit neue dramatische Gesetze aus ihnen abgeleitet werden. Der ›Medardus‹ im Burgtheater begegnete manchen Einwänden von Seiten der Hofzensur. So wünschte man z. B., dass die Schön|brunner Szenen anderswo hinverlegt würden, worauf ich begreiflicherweise einzugehen nicht in der Lage war. Der Obersthofmeister befürchtete ferner, dass sich ›die Wiener‹ wegen einiger minder sympathischer Figuren beleidigt fühlen dürften, bestand aber auch in diesem Falle keineswegs auf Milderungen. Zu der Umtaufe der Herzogsfamilie aus Berry in Valois worum man mich aus irgend welchen höfischen Rücksichten ersuchte, konnte ich mich ohneweiters bereit erklären. Es wird Sie vielleicht interessieren, dass Paul Schlenther (der das Stück annahm, die Erstaufführung aber gern seinem Nachfolger Alfred Berger überliess) in Anbetracht der ungewöhnlichen Länge des Stücks eine Zweiteilung in Erwägung zog, sowie ja auch die Sascha das Stück ursprünglich für zwei Abende einrichten lassen wollte. Es ist mir natürlich sympathisch, dass die Handlung des Films in der gewandten Bearbeitung Vajdas sich von der| des Theaterstücks nicht allzuweit entfernt. Dass der Film auf Napoleon nicht verzichten konnte und durfte ist ebenso selbstverständlich, als dass das Theaterstück sich davor hütete die überlebensgrosse Gestalt des Kaisers gewissermassen episodisch auftreten zu lassen.«
»Sie fragen, ob andere meiner Werke verfilmt worden sind? Ja. Meine beiden frühesten: Liebelei und Anatol . Liebelei wurde von der Nordisk-Filmgesellschaft verfilmt. Psylander spielte den Fritz. Es gab prachtvolle Naturaufnahmen und einige sehr gute schauspielerische Leistungen. Doch das Wienerische fehlte allzu sehr, trotz mancher landschaftlicher und seelischer Verwandtschaft zwischen Wien und Kopenhagen. Der Film läuft längst nicht mehr, verschiedene Gesellschaften haben sich seither um die neuerliche Verfilmung der »Liebelei‹ beworben, aber die Rechtslage ist noch nicht so |weit geklärt, dass ein Abschluss hatte erfolgen können. Der ›Anatol‹ wurde kurz nach dem Krieg in Amerika verfilmt und soll dort einen grossen Erfolg erzielt haben. Auf meiner schwedischen Vortragsreise im vergangenen Frühjahr hatte ich Gelegenheit den ›Anatol‹ zu sehen, allerdings ohne ihn gleich zu erkennen. Ich fand ihn nämlich als verheirateten Mann wieder, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat gestrauchelte Mädchen auf den seiner Ansicht nach rechten (möglicherweise aber auch falschen) Weg zu bringen, was seine Frau begreiflicherweise etwas nervös macht. Den Höhepunkt erreicht der Film in folgender Szene: Anatol hat einer seiner platonischen Freundinnen eine Wohnung auf das Kostspieligste eingerichtet und findet dort einmal eine kleine, nach europäischen Begriffen gar nicht sonderlich lockere Gesellschaft von jungen Herren u Damen zum Abendessen, worauf er aus Erbitterung das gesammte Mobiliar kurz und klein schlägt. Nach einigen |ähnlichen Abenteuern gibt er seinen Rettungssport auf und gewinnt sich seine Gattin wieder, die indess ein bischen, ganz unschuldig natürlich, wie es in Amerika üblich ist, mit Max geflirtet hat.«
Ich fragte Schnitzler nach seinen Ansichten über die Bedeutung und die voraussichtliche Weiterentwicklung des Films.
»Mich über eine so komplizierte Frage im Allgemeinen zu äussern, fiele mir schwer. Die Behauptung, dass ein Kinodrama niemals ein vollendetes Kunstwerk im wahren Sinn sein könne, scheint mir durchaus richtig. Aber wer will leugnen, dass in jedem guten Film eine ganze Fülle von künstlerischen Elementen, schauspielerischen vor allem, malerischen, ja auch dichterischen enthalten zu sein pflegt. Will man das sogenannte Filmstück mit irgend einer schon bestehenden Kunstform vergleichen,| so ist die Verwandtschaft mit Roman und Novelle viel augenfälliger als die mit dem Drama. In gewissem Sinn und einigermassen oberflächlich ausgedrückt, ist das Filmstück eigentlich nichts anderes als ein illustrierter Roman. In je höherem Mass das illustrative Element die textliche Begleitung überwiegt, umso eher glaube ich wird es irgend ein dem Film immanentes Kunstgesetz zu erfüllen in der Lage sein, das zu formulieren ich mich allerdings nicht getrauen würde. Im übrigen wollen wir uns doch durch dogmatisch-aesthetische Erörterungen das Vergnügen an dem vielen Interessanten und Wertvollen, ja auch künstlerisch Wertvollem, das uns der Spielfilm in den letzten Jahren gebracht hat, nicht trüben lassen. Ich glaube in der letzten Zeit auf der Leinwand insbesondere an schauspielerischen Leistungen mindestens so Bedeutendes gesehen zu haben, als auf dem lebendigen Theater, was freilich wieder mit den allgemeinen Zeitverhältnissen in nicht immer erfreulicher Weise zusammenhängt. Trotzdem liegt der| eigentliche tiefere Wert und die Zukunft des Films in höherem Sinn auf naturwissenschaftlichem und pädagogischem Gebiet. Aber dieses Thema würde uns allzu sehr ins Weite führen.«