Hermann Bahrs sechzigster Geburtstag
Festgrüße von Arthur Schnitzler, Thomas Mann, Heinrich Mann, Franz
Werfel, Fritz v. Unruh, Wolfgang Heine, Josef Hoffmann.
Der sechzigste Geburtstag
Hermann
Bahrs gibt dem »
Neuen Wiener Journal«
willkommenen Anlaß, seinem langjährigen, ständigen Mitarbeiter eine besondere Ehrung
zu bereiten.
Die Redaktion hat an eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten die Einladung gerichtet, in diesem
Blatte auszusagen, was ihnen und der
mitteleuropäischen Geisteswelt die Persönlichkeit
Hermann Bahrs bedeutet. Die Grüße, die sie ihm hier senden,
geben eindringlich Zeugnis davon.
Arthur Schnitzler.
Nun bist Du also auch so weit, mein lieber
Hermann, und mußt Dir zu Deinem Sechzigsten gratulieren lassen. Ich hätte es
gern unter vier Augen getan, wie es meinem Gefühl nach anläßlich so intimer
Angelegenheiten sich eigentlich ziemte; aber das »
Neue
Wiener Journal« findet, daß seine getreuen Leser dabei sein müssen und so
trete ich Dir denn im Angesichte einer unübersehbaren und zugleich unsichtbaren Menge
gegenüber, um Dir in alter Freundschaft und Verehrung glückwünschend die Hand zu
drücken.
Vor einem Jahre etwa, anläßlich Deiner Uebersiedlung nach
München, schriebst Du in Deinem (ostensiblen)
Tagebuch, dass
Du eben daran gingst, den fünften Akt
(oder schriebst Du gar »den letzten?«) Deines Lebens zu inszenieren. Vergleiche sind immer
eine bedenkliche Sache. Pedant, der ich bin, fragte ich mich sofort: Ist er der Autor
des Stückes? Oder der Held? Oder der Hauptdarsteller? Und was treibt er in den
Zwischenakten? Und wie steht es mit den Hervorrufen am Schluß? Und wie benehmen sich
die Enthusiasten am Bühnentürl? Und wohin begibt sich der also Gefeierte nach Schluß
der Vorstellung? Und was ist’s mit den Morgenblättern? Und wer schreibt die
Kritik?–
Aber ich will es mir nicht gar zu schwer machen, nehme den Vergleich so leichtfertig
auf, als Du ihn hingesetzt hast und spreche ganz einfach den Wunsch aus: der fünfte
Akt (der übrigens so frisch eingesetzt hat, wie es sonst nur die ersten zu tun
pflegen) möge so inhaltsreich und amüsant verlaufen – für Dich selbst, die Mitspieler
und die Zuschauer, als es bei den vorhergehenden der Fall war.
Denn bisher ist es wahrlich ein köstliches Stück gewesen, und ich bedauere ein wenig,
daß mir im Grunde nur eine Nebenrolle darin zugeteilt war (vielleicht, weil ich mit
oder in einem anderen beschäftigt war! – Als Autor? als Held? als Hauptdarsteller?
Oder sind wir vielleicht alle nur Episodisten in einer anonym eingereichten Komödie
ohne Helden? oh, Vergleiche, Vergleiche!!). Wann trat ich nur in Deiner Lebenskomödie
zum erstenmal auf? Es wird wohl im zweiten Akt gewesen sein. Wir hatten auch, glaube
ich, einige gelungene Szenen miteinander, und nach Aktschluß durften wir uns ein
paarmal gemeinsam verbeugen. (Der Beifall blieb nicht ganz ohne Widerspruch.) Später
kam ich leider seltener vor, vielleicht war ich ein bißchen zu profan für das Mysterium, zu dem die bewunderungswürdige Komödie sich allmählich emporentwickelt
hatte.
Im vorigen Jahr, mein lieber
Hermann, als Du mir zu meinem Sechzigsten
gratuliertest, da fragtest Du,
rhetorisch natürlich, was wohl von unseren Sachen in hundert Jahren etwa noch übrig
sein werde. Das vermag ich freilich so wenig zu beantworten als Du, und ich glaube,
daß Dich diese Frage im Grunde so wenig interessiert als mich. Denn wie meinte jener
Puppenspieler: »
Sag mir, wann die Unsterblichkeit
anfängt und ich will um meinen Ruhm besorgt sein.« Aber, so überzeugt ich bin, daß
einer, der so köstliche Akte und Romankapitel und überdies so wundersame, in alle
Tiefen des Menschen- und Künstlertums weisende Essais geschaffen wie Du, auch noch
einer ferneren Zukunft als ein wirklicher
Dichter gelten
wird; – so sehr glaube ich, daß diese Bezeichnnug Dein Wesen nicht völlig ausdrückt
und umfaßt – und so viel oder so wenig von Deinen einzelnen Werken in hundert Jahren
übrig sein wird, – dies ist mir über allem Zweifel, daß Du im Gedächtnis der Nachwelt
langen lange Zeit als einer der merkwürdigsten, vielfältigsten und glänzendsten
Schriftsteller fortleben wirst, die je in deutscher Sprache geschrieben haben, und
daß der schwankende Begriff eines geistigen
Oesterreich, um dessen Aufhellung sich wenige so sehr bemüht haben wie Du,
kaum jemals so faßbare, fruchtbare und reiche Wirklichkeit geworden ist, als in
Deinem Wesen, Deinem Wirken, Deinem Wort. Möge uns diese wundersame Dreiheit noch
lange in gleicher, schöner Lebendigkeit erhalten bleiben. Sei gegrüßt und
bedankt!
Dein Arthur Schnitzler.