[Hermann Bahrs sechzigster Geburtstag], 8. 7. 1923

Hermann Bahrs sechzigster Geburtstag
Festgrüße von Arthur Schnitzler, Thomas Mann, Heinrich Mann, Franz Werfel, Fritz v. Unruh, Wolfgang Heine, Josef Hoffmann.
Der sechzigste Geburtstag Hermann Bahrs gibt dem »Neuen Wiener Journal« willkommenen Anlaß, seinem langjährigen, ständigen Mitarbeiter eine besondere Ehrung zu bereiten.
Die Redaktion hat an eine Reihe hervorragender Persönlichkeiten die Einladung gerichtet, in diesem Blatte auszusagen, was ihnen und der mitteleuropäischen Geisteswelt die Persönlichkeit Hermann Bahrs bedeutet. Die Grüße, die sie ihm hier senden, geben eindringlich Zeugnis davon.
Arthur Schnitzler.
Nun bist Du also auch so weit, mein lieber Hermann, und mußt Dir zu Deinem Sechzigsten gratulieren lassen. Ich hätte es gern unter vier Augen getan, wie es meinem Gefühl nach anläßlich so intimer Angelegenheiten sich eigentlich ziemte; aber das »Neue Wiener Journal« findet, daß seine getreuen Leser dabei sein müssen und so trete ich Dir denn im Angesichte einer unübersehbaren und zugleich unsichtbaren Menge gegenüber, um Dir in alter Freundschaft und Verehrung glückwünschend die Hand zu drücken.
Vor einem Jahre etwa, anläßlich Deiner Uebersiedlung nach München, schriebst Du in Deinem (ostensiblen) Tagebuch, dass Du eben daran gingst, den fünften Akt (oder schriebst Du gar »den letzten?«) Deines Lebens zu inszenieren. Vergleiche sind immer eine bedenkliche Sache. Pedant, der ich bin, fragte ich mich sofort: Ist er der Autor des Stückes? Oder der Held? Oder der Hauptdarsteller? Und was treibt er in den Zwischenakten? Und wie steht es mit den Hervorrufen am Schluß? Und wie benehmen sich die Enthusiasten am Bühnentürl? Und wohin begibt sich der also Gefeierte nach Schluß der Vorstellung? Und was ist’s mit den Morgenblättern? Und wer schreibt die Kritik?–
Aber ich will es mir nicht gar zu schwer machen, nehme den Vergleich so leichtfertig auf, als Du ihn hingesetzt hast und spreche ganz einfach den Wunsch aus: der fünfte Akt (der übrigens so frisch eingesetzt hat, wie es sonst nur die ersten zu tun pflegen) möge so inhaltsreich und amüsant verlaufen – für Dich selbst, die Mitspieler und die Zuschauer, als es bei den vorhergehenden der Fall war.
Denn bisher ist es wahrlich ein köstliches Stück gewesen, und ich bedauere ein wenig, daß mir im Grunde nur eine Nebenrolle darin zugeteilt war (vielleicht, weil ich mit oder in einem anderen beschäftigt war! – Als Autor? als Held? als Hauptdarsteller? Oder sind wir vielleicht alle nur Episodisten in einer anonym eingereichten Komödie ohne Helden? oh, Vergleiche, Vergleiche!!). Wann trat ich nur in Deiner Lebenskomödie zum erstenmal auf? Es wird wohl im zweiten Akt gewesen sein. Wir hatten auch, glaube ich, einige gelungene Szenen miteinander, und nach Aktschluß durften wir uns ein paarmal gemeinsam verbeugen. (Der Beifall blieb nicht ganz ohne Widerspruch.) Später kam ich leider seltener vor, vielleicht war ich ein bißchen zu profan für das Mysterium, zu dem die bewunderungswürdige Komödie sich allmählich emporentwickelt hatte.
Im vorigen Jahr, mein lieber Hermann, als Du mir zu meinem Sechzigsten gratuliertest, da fragtest Du, rhetorisch natürlich, was wohl von unseren Sachen in hundert Jahren etwa noch übrig sein werde. Das vermag ich freilich so wenig zu beantworten als Du, und ich glaube, daß Dich diese Frage im Grunde so wenig interessiert als mich. Denn wie meinte jener Puppenspieler: »Sag mir, wann die Unsterblichkeit anfängt und ich will um meinen Ruhm besorgt sein.« Aber, so überzeugt ich bin, daß einer, der so köstliche Akte und Romankapitel und überdies so wundersame, in alle Tiefen des Menschen- und Künstlertums weisende Essais geschaffen wie Du, auch noch einer ferneren Zukunft als ein wirklicher Dichter gelten wird; – so sehr glaube ich, daß diese Bezeichnnug Dein Wesen nicht völlig ausdrückt und umfaßt – und so viel oder so wenig von Deinen einzelnen Werken in hundert Jahren übrig sein wird, – dies ist mir über allem Zweifel, daß Du im Gedächtnis der Nachwelt langen lange Zeit als einer der merkwürdigsten, vielfältigsten und glänzendsten Schriftsteller fortleben wirst, die je in deutscher Sprache geschrieben haben, und daß der schwankende Begriff eines geistigen Oesterreich, um dessen Aufhellung sich wenige so sehr bemüht haben wie Du, kaum jemals so faßbare, fruchtbare und reiche Wirklichkeit geworden ist, als in Deinem Wesen, Deinem Wirken, Deinem Wort. Möge uns diese wundersame Dreiheit noch lange in gleicher, schöner Lebendigkeit erhalten bleiben. Sei gegrüßt und bedankt!
Dein Arthur Schnitzler.