Die ausgewiesene »Rose Bernd«, 2. 3. 1904

Die ausgewiesene »Rose Bernd«.
Die Absetzung des erfolgreichen Hauptmann-Dramas »Rose Bernd« vom Repertoire des Burgtheaters aus sehr unliterarischen Gründen erregt die öffentliche Meinung im hohen Maße. Wir haben die Sache für interessant genug gehalten, um über den Vorfall die Meinung eines Wiener Autors und eines hervorragenden Wiener Juristen einzuholen, welch’ Letzterer über die rechtliche Seite der Affaire sich geäußert hat.
äußerte sich im Gespräche mit einem unserer Redacteure über das Verbot der Aufführung der »Rose Bernd« am Burgtheater in folgender Weise:
»Wenn man um jeden Preis Director bleiben will, ist es nothwendig, sich den unterschiedlichen Winken zu unterwerfen; aber es ist die Frage, ob man nicht auch Director hätte bleiben und vielleicht seine ›Position‹ hätte festigen können, wenn man es einfach abgelehnt hätte, ein Stück vom Repertoire abzusetzen, das nicht nur von einem ersten deutschen Dichter stammt, sondern – was zu Intendantenseelen möglicherweise eindringlicher spricht – fünf ausverkaufte Häuser erzielt hat.
Zweifellos ist das Burgtheater ein kaiserliches, in gewissem Sinne also Privattheater; aber man möchte doch wünschen, daß sich die Person des Directors in der Führung dieses Theaters auch in positiven Leistungen zuweilen etwas lebhafter ausdrückt.
Was es mit meinem Kakadu‹ für eine Bewandtniß hat? Ich kann hier nur Andeutungen geben. Er wurde nach siebenmaliger Aufführung abgesetzt, anfangs nur ›nicht erlaubt‹ und erst später – verboten.
Was ich sonst zu sagen habe? Obwohl ich Herrn Director Schlenther noch eine lange und gesegnete Directionszeit wünsche, so glaube ich, daß er sich kaum einen schöneren Abgang hätte finden können als den, als Opfer seiner Treue für Hauptmann zu fallen.«
Ueber die juristische Seite der Affaire äußerte sich einem unserer Redacteure gegenüber ein hervorragendes
Mitglied des Wiener Barreaus
folgendermaßen:
»Es unterliegt nicht dem geringsten Zweifel, daß nach den allgemeinen rechtlichen Grundsätzen der Dichter des abgesetzten Stückes das Recht hätte, gegen die Direction mit einer Schadenersatzklage vorzugehen. Das Stück ist von der Direction angenommen worden, wurde aufgeführt und fand seitens des Publicums eine günstige Aufnahme. Das sind so ziemlich die einzigen Umstände, die für den Juristen bei der Beurtheilung des Falles vom allgemeinen rechtlichen Standpunkte in Betracht kommen. Die Direction fügt dem Dichter durch die Absetzung des Stückes einen materiellen Schaden zu, da ja der Autor seiner Tantièmen verlustig| geht. So stellt sich der Fall in allgemein rechtlicher Beleuchtung dar. Selbstverständlich ließe sich für den concreten Thatbestand ein erschöpfendes Gutachten erst nach Prüfung des zwischen Direction und Autor zustande gekommenen Vertrages abgeben. Da alle civilrechtlichen Bestimmungen bekanntlich dispositiver Natur sind, ist es möglich, daß in den Vertrag eine Bestimmung aufgenommen wird, die der Direction das Recht gibt, ein Stück ohne jede Motivirung vom Spielplan abzusetzen. Ich kenne nicht die diesbezüglichen Gepflogenheiten der Direction des Burgtheaters, glaube jedoch, daß im vorliegenden Falle das rechtliche Verhältniß zwischen Direction und Autor jedenfalls ein derartiges war, daß der Dichter mit einer Schadenersatzklage nicht durchdringen könnte. Selbstverständlich ist das Stück für Wien vorläufig Eigenthum des Burgtheaters und darf ohne ausdrückliche Freigabe seitens der Direction an keiner anderen Wiener Bühne aufgeführt werden.«