Josef Popper-Lynkeus: Gespräche, Ausschnitt, Mai 1925

Josef Popper-Lynkeus: Gespräche
11. Oktober. Nachmittag.
Arthur Schnitzler und die Schauspielerin am Deutschen Volkstheater Fräulein Else Schilling sind da. Popper liegt im Bette. Später kommen Margit und Dr. Carl Ornstein.
Es wird viel gelacht. Fräulein Schilling macht Scherze mit Popper, sagt, daß sie das »Spitzbübische« an ihm erst jetzt bemerke usw.
Wir lachen so viel, daß Fräulein Schilling sagt, sie möchte wissen, ob irgendwo in Wien jetzt so viel gelacht werde, wie hier. Sie erzählt, daß Anton Wildgans wieder in Mönichkirchen ist, 1000 Meter hoch, um zu arbeiten.
Popper (lachend): »1000 Meter, was ist das? Soviel wie der Semmering. Das ist gar nichts!«
Fräulein Schilling (lachend): »Natürlich, für Sie ist das gar nichts! Hietzing liegt viel höher!«
Als sie weggeht, sagt Popper zu uns:
»Wissen Sie, ich habe ja keinen Humor. Aber sie hat Humor, und ich bin darauf eingegangen.«
[…]
24. Oktober.
[…]
Vormittag.
Popper im Bett. Arthur Schnitzler erzählt, daß er jetzt Plutarch und die »Griechische Kulturgeschichte« von Jakob Burckhardt liest. Er bewundert die unübertreffliche Kürze und Prägnanz der Ausdrucksweise von Burckhardt und vergleicht sie mit dem Stil des »Michael Kohlhaas«: »Jeder Satz ist von Bedeutung, es gibt keine Ruhepausen beim Lesen.«
Popper nickt zustimmend. Das Gespräch kommt auf die Griechen.
»Die Griechen«, sagt Popper, »waren ungut und unglücklich, sie kannten keine Zufriedenheiten.«
Nach einer Weile fügt er hinzu:
»Die großen Wohltäter der Menschheit waren keine Genies«.
Schnitzler: »Wie meinen Sie das?«
Popper: »Es bedarf nicht des Genies eines Newton, um ein Wohltäter der Menschen zu sein.«
Schnitzler: »Wen halten Sie für einen Wohltäter der Menschen?«
Popper: »Hippokrates, Euripides1
Das Gespräch wendet sich dem Kriege zu. Schnitzler bemerkt, daß die Millionenheere, die jetzt an einem Kriege teilnehmen, eine ganz neue Erscheinung seien. Popper nickt| zustimmend: »Man berichtet von den Riesenheeren des Xerxes. Voltaire war der erste, der aufmerksam gemacht hat, daß diese großen Zahlenangaben nicht richtig sein können. Nach ihm hat in neuerer Zeit Delbrück das gleiche getan. Tamerlan zum Beispiel hätte mit so großen Heeren, wegen der Verpflegung, nicht durch die Wüste hindurchkönnen.«
Nachdem Schnitzler gegangen, erzähle ich Popper, daß ich den Aufsatz von Adolf Gelber über den Buberschen Baalschem gelesen habe: »Es kommt darin ein wunderbares Wort vor: Die Not des Schlechterwerdens.«
Popper sehr lebhaft: »Dieses Wort ist etwas Großes, etwas wirklich Großes!«
[…]
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    Ich war erstaunt über die Zusammenstellung dieser zwei Namen. Später fiel mir ein, daß Schnitzler Dichter und Arzt ist.
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    Ich war erstaunt über die Zusammenstellung dieser zwei Namen. Später fiel mir ein, daß Schnitzler Dichter und Arzt ist.