Josef Popper-Lynkeus: Gespräche
11. Oktober. Nachmittag.
Arthur Schnitzler und die Schauspielerin am
Deutschen
Volkstheater Fräulein
Else Schilling sind da. Popper liegt im Bette. Später kommen
Margit und Dr.
Carl Ornstein.
Es wird viel gelacht. Fräulein
Schilling macht
Scherze mit Popper, sagt, daß sie das »Spitzbübische« an ihm erst jetzt bemerke
usw.
Wir lachen so viel, daß Fräulein
Schilling sagt,
sie möchte wissen, ob irgendwo in
Wien jetzt so viel
gelacht werde, wie hier. Sie erzählt, daß
Anton Wildgans wieder in
Mönichkirchen ist, 1000 Meter
hoch, um zu arbeiten.
Popper (lachend): »1000 Meter, was ist das? Soviel wie der
Semmering. Das ist gar nichts!«
Fräulein
Schilling (lachend): »Natürlich, für Sie ist das gar nichts!
Hietzing liegt viel höher!«
Als sie weggeht, sagt Popper zu uns:
»Wissen Sie, ich habe ja keinen Humor. Aber sie hat Humor,
und ich bin darauf eingegangen.«
[…]
24. Oktober.
[…]
Vormittag.
Popper im Bett.
Arthur Schnitzler erzählt, daß er jetzt
Plutarch und die »
Griechische Kulturgeschichte« von
Jakob Burckhardt liest. Er bewundert die unübertreffliche Kürze und Prägnanz der Ausdrucksweise
von
Burckhardt und vergleicht sie mit dem Stil
des »
Michael Kohlhaas«: »Jeder Satz ist von Bedeutung, es gibt keine Ruhepausen beim Lesen.«
Popper nickt zustimmend. Das Gespräch kommt auf die
Griechen.
»Die
Griechen«, sagt
Popper, »waren ungut und unglücklich, sie kannten keine Zufriedenheiten.«
Nach einer Weile fügt er hinzu:
»Die großen Wohltäter der Menschheit waren keine Genies«.
Schnitzler: »Wie meinen Sie das?«
Popper: »Es bedarf nicht des Genies eines
Newton, um ein Wohltäter der Menschen zu sein.«
Schnitzler: »Wen halten Sie für einen Wohltäter der Menschen?«
Das Gespräch wendet sich dem Kriege zu.
Schnitzler bemerkt, daß die Millionenheere, die jetzt an einem Kriege teilnehmen, eine
ganz neue Erscheinung seien. Popper nickt
| zustimmend: »Man berichtet von den
Riesenheeren des
Xerxes.
Voltaire war der
erste, der aufmerksam gemacht hat, daß diese großen Zahlenangaben nicht richtig sein
können. Nach ihm hat in neuerer Zeit
Delbrück das gleiche getan.
Tamerlan zum Beispiel hätte mit so großen Heeren, wegen der Verpflegung, nicht durch die
Wüste hindurchkönnen.«
Nachdem
Schnitzler gegangen, erzähle ich Popper,
daß ich den
Aufsatz von
Adolf Gelber über den
Buberschen
Baalschem gelesen habe: »Es kommt darin
ein wunderbares Wort vor: Die Not des Schlechterwerdens.«
Popper sehr lebhaft: »Dieses Wort ist etwas Großes, etwas
wirklich Großes!«
[…]