[Felix Salten]: Der Bauernfeld-Preis. Eine Interpellation, 19. 3. 1903

Eine Interpellation.
In der morgigen Sitzung des Abgeordnetenhauses wird Abg. Dr. Pattai eine Interpellation an den Unterrichtsminister einbringen, betreffend die Zuweisung eines Preises von K. 2000 aus der Bauernfeld-Stiftung an den, wie es in der Anfrage heißt, »jüdischen Literaten« Dr. Arthur Schnitzler.
Herr Dr. Pattai verwaltet in der christlichsocialen Partei das Ressort der schönen Künste. Es ist nun eine der wichtigsten Functionen seines Amtes, aufzupassen, ob nicht um Gotteswillen irgendwo ein Jude Talent hat. Tritt dieser bedauerliche Fall, der sich ja leider nicht verhindern läßt, dennoch ein, dann muß Herr Dr. Pattai gegen den sanftmütigen Dr. v. Hartel losgehen und ihm Vorwürfe machen. Sonst hört man allerdings nichts davon, daß Herr Dr. Pattai sich besonders viel mit Literatur, Kunst oder Wissenschaft befasse. Es wird auch nicht von ihm verlangt. Seinen Parteigenossen genügt es, daß er mehr von diesen Dingen versteht als Strobach, Schneider oder Bielohlawek. Ob man aber deswegen gleich mit dem Unterrichtsminister grob sein darf, ist eine andere Frage.
Der gute Herr Minister für Cultus und Unterricht ist, nebenbei gesagt, an dem Bauernfeld-Preis, den Arthur Schnitzler erhielt, ganz unschuldig. Im Schoße des Curatoriums hat der Baron Berger den diesbezüglichen Antrag gestellt, der Professor Minor und Dr. Edmund Weissel haben zugestimmt, und der Dr. Hartel hat eben dann auch »Ja« gesagt. Würden aber Strobach und Schneider im Bauernfeld-Curatorium sitzen, und Dr. Pattai könnte dabei sein, um den Antrag zu stellen, man möge dem Herrn Schwer einen Preis verleihen, dann würde der Herr Unterrichtsminister – wie wir ihn kennen, und wie alle Welt ihn kennt – auch nicht Nein sagen.
Es hat aber keinen Zweck, mit einem so gutmütigen alten Herrn grob zu sein, der es ohnehin gern allen Recht machen möchte, und der wirklich nichts dafür kann, daß Arthur Schnitzler ungleich mehr Begabung hat als Herr Schwer. Der aber auch kaum dafür verantwortlich gemacht werden kann, daß die Christlichsocialen beim Bauernfeld-Preis noch nichts dreinzureden haben.
Das aber ist eigentlich der tiefste Schmerz der Christlichsocialen, daß ihr Einfluß noch nicht weit genug reicht, um auch ihren Parteigängern von der Feder Dichterpreise zu verschaffen. Einstweilen müssen sie diese Barden noch mit Gemeinderatsmandaten abspeisen. Und da sich das Urtheil namhafter Literaturkenner, wie des Baron Berger und des Professor Minor, der christlichsocialen Parteidisciplin nicht beugt, möchten sie die Sache gern selbst in die Hand nehmen. Jahrüber ist ihnen die ganze vaterländische Literatur freilich recht gleichgiltig, und sie thun ihrerseits sehr wenig, um junge Talente zu fördern. Wenn die Sache aber praktisch wird, wenn Preisvertheilungen vorgenommen werden und Schwer, Madjera e tutti quanti wieder leer ausgehen, dann wird Herr Dr. Pattai im Auftrag der Partei rabiat und blamirt sich im Auftrag der Partei mit literarischen Phrasen.
Mit Herrn Dr. Pattai über ästhetische Wertunterschiede zu streiten, hat keinen Zweck. Und wenn er auf seinem Culturniveau sich genötigt sieht, hinter geistig arbeitende Männer den alten Hepp-Hepp-Ruf anzustimmen, so kann das für sachliche Leute kein Grund sein, dem Herrn ex offo-Interpellanten aufzusitzen und das konfessionelle Moment bei künstlerischen Fragen in die Debatte zu ziehen. Es ist sehr gleichgiltig, ob Arthur Schnitzler als Jude, Türke, Christ oder Heide geboren wurde. Wesentlich bleibt an der Geschichte nur, ob seine »Lebendigen Stunden« eine Ehrung verdient haben. In dieser Beziehung aber darf man dem Votum unbefangener Fachmänner, wie Baron Alfred Berger und Professor Minor, getrost vertrauen.
Für die Christlichsocialen mag es ärgerlich sein, daß sie ihre Communalwirtschaft nicht auch in künstlerischen Angelegenheiten etabliren können. Es ist aber leichter, wenn man schon am Ruder ist, seinen Freunden einträgliche Lieferungen und Verwaltungsstellen zu verschaffen, als ihnen zu Dichterruhm und Ehrenpreisen zu verhelfen.
Der Wortlaut der Interpellation.
Die Interpellation hat folgenden Wortlaut: »Das Curatorium der Bauernfeld-Stiftung hat in seiner Sitzung vom 16. März 1903, welcher die Mitglieder: Minister für Cultus und Unterricht Dr. v. Hartel, Dr. Alfred Freiherr v. Berger, Professor der deutschen Literaturgeschichte an der Wiener Universität Dr. Jacob Minor und Dr. Edmund Weissel beiwohnten, einstimmig beschlossen, aus den Erträgnissen der Bauernfeld-Stiftung einen Preis von 2000 Kronen dem Literaten Arthur Schnitzler für seinen Einactercyklus ›Lebendige Stunden‹ zu verleihen.
In dieser Verleihung erblicken die unterzeichneten Abgeordneten eine Verletzung der Rechte der nichtjüdischen Schriftstellerwelt unserer Heimat und einen Verstoß gegen den Sinn und Zweck der Stiftung und die unbegründete Auszeichnung eines nicht preiswürdigen Werkes, und zwar aus folgenden Gründen: Das preisgekrönte Werk, die vier Einacter ›Lebendige Stunden‹, hat weder bei seiner Aufführung in Berlin noch bei der durch das Ensemble des Berliner Deutschen Theaters im Wiener Carl-Theater noch auch bei der kürzlich im Wiener Deutschen Volkstheater erfolgten eine tiefere Wirkung geübt oder auch nur oberflächlich den Eindruck eines Dichterwerkes gemacht. Die ausdrückliche Rangerhöhung desselben durch eine Prämiirung in Wien muß daher im Ausland die falsche Vorstellung erwecken, als hätte das österreichische Schriftthum thatsächlich keine besseren Producte aufzuweisen als derlei Minderwertigkeiten.
Die Meinung des Auslandes über die heimische Literatur wurde aber durch das Vorgehen des Bauernfeld-Curatoriums auch noch in weiterer Hinsicht consequent irregeführt, da die Preise der Stiftung innerhalb ganz kurzer Zeit einer unverhältnißmäßig großen Zahl von jüdischen Literaten zugewiesen wurden, und zwar solchen von untergeordneter Bedeutung. Es sind dies Dr. Leo Hirschfeld, prämiirt für die Komödie ›Die Lumpen‹, der Erotiker Felix Dörmann (richtig Biedermann) für ein gänzlich verschollenes Drama ›Der Herr von Abadessa‹, der Literarhistoriker Dr. Emil Horner für eine Bauernfeld-Biographie, der Librettist von Operettentexten Victor Leon (richtig Hirschfeld) für ein vor langer Zeit gegebenes Stück ›Gebildete Menschen‹ und schließlich Arthur Schnitzler für die ›Lebendigen Stunden‹.
Unter diesen Umständen muß im Ausland die irrige Anschauung entstehen, daß einerseits die deutsche Literatur in Oesterreich fast nur von Juden geschrieben wird, andererseits die Qualität eine äußerst niedrige ist.
Diese unleugbare Bevorzugung jüdischer Literaten durch das Curatorium der Bauernfeld-Stiftung bedeutet aber auch eine Zurücksetzung und die Mitarbeit an der Unterdrückung der nichtjüdischen Schriftsteller Oesterreichs, die, durch den Boycott der einflußreichen jüdischen Presse und die Cartelle der jüdischen Gewerbsliteraten schon an sich in bedrängter, mitunter trotz ihrer Begabung fast aussichtsloser Lage, gerade auf die ethische und materielle Förderung durch ähnliche Einrichtungen, wie die der Bauernfeld-Stiftung ist, als einzige Hoffnung hinblicken und die schwere Enttäuschung erleben müssen, mit Abfällen abgespeist oder übergangen zu werden.
Die Verleihung ist endlich gegen die Absicht der Bauernfeld-Stiftung gerichtet, in deren Sinn es gewiß nicht liegt, die Ausbreitung des semitischen Geistes in der Literatur zu fördern, welche das sittliche und ästhetische Gefühl der Stammbevölkerung Oesterreichs oft genug, so auch in den Werken der prämiirten Hirschfeld, Schnitzler und Dörmann, gröblich verletzt, die Vertreter dieser fremden Richtung in unserem Schriftthum aber auf Kosten der autochthonen Dichter und Schriftsteller zu stützen und im Einfluß zu steigern.
In Erwägung dieser Thatsachen richten die Unterzeichneten an Se. Excellenz die Anfrage:
Wie gedenkt der Herr Minister als Mitglied des Curatoriums der Bauernfeld-Stiftung die abermalige Bevorzugung eines jüdischen Literaten, wie sie durch die Zuerkennung des Bauernfeld-Preises an A. Schnitzler gegeben ist, angesichts der bereits vorangegangenen unverhältnißmäßig großen Zahl von Prämiirungen jüdischer Literaten aus dieser Stiftung, angesichts der zahlreichen, wirklich förderungsbedürftigen und vermöge ihres Talentes auch würdigen nichtjüdischen Schriftsteller und angesichts der Verantwortung, welche die Einhaltung der Zwecke der Bauernfeld-Stiftung dem Curatorium auferlegt, zu rechtfertigen?«
Ein Interview mit Arthur Schnitzler.
Auf unsere Anfrage theilt uns Herr Doctor Arthur Schnitzler mit:
»Lebendige Stunden« haben im Berliner Deutschen Theater einen sehr starken Erfolg gehabt, der auch von der ganzen Berliner Presse constatirt wurde. Selbst die dortigen antisemitischen Zeitungen haben sich anerkennend über die vier Einacter ausgesprochen. »Lebendige Stunden« sind in Berlin etwa vierzigmal und vom Deutschen Theater gelegentlich des vorjährigen kurzen Gastspieles in Wien noch weitere zehnmal aufgeführt worden. Wer also behauptet, der Cyklus sei wirkungslos vorübergegangen, der spricht entweder leichtfertigerweise von Dingen, die er nicht kennt, oder er sagt bewußt eine Lüge.
Auf unsere weitere Anfrage über die etwaige Vorgeschichte der Bauernfeld-Ehrengabe erklärt Dr. Schnitzler:
Ich habe mich niemals um irgend einen Preis noch um irgend eine Ehrengabe noch sonst um eine literarische Würdigung beworben. Weder direct noch indirect. Ich habe weder der Bauernfeld-Stiftung noch irgend einem anderen ähnlichen Comité meine Bücher eingereicht. Ich kenne weder den Herrn Unterrichtsminister noch den Herrn Dr. Weissel und habe seit langer Zeit weder mit Herrn Baron Berger noch mit Herrn Professor Minor gesprochen. Niemals aber war zwischen mir und diesen Herren von einem Bauernfeld-Preis die Rede. Weder das erstemal noch jetzt, weder mündlich noch schriftlich. Ich bin auch nicht Mitglied der »Concordia« und gehöre keinem Freimaurerverbande an. Ich stehe allen diesen Dingen von jeher gänzlich fern.
Eine Anerkennung meiner Arbeiten, die mir von berufener Seite spontan entgegengebracht wird, nehme ich selbstverständlich dankbar an und glaube niemandem dafür Rechenschaft schuldig zu sein.
Ueber die Interpellation des Dr. Pattai äußert sich Arthur Schnitzler:
Derlei interessirt mich nicht, und ich habe keinen Anlaß, von so nebensächlichen Zwischenfällen auch nur im geringsten Notiz zu nehmen.
Ein Interview mit Professor Minor.
Ein Mitarbeiter der »Zeit« hatte Gelegenheit, mit einem der Preisrichter, Herrn Universitätsprofessor J. Minor, über die oben wiedergegebene Interpellation zu sprechen. Professor Minor bezweifelt es sehr, daß Unterrichtsminister Dr. Hartel auf die Interpellation überhaupt erwidern wird. Schon anläßlich der Verleihung der Bauernfeld-Ehrengabe an Felix Dörmann sei im December 1901 im Parlament eine ähnliche Anfrage an den Unterrichtsminister gerichtet worden, die er auch unbeantwortet gelassen habe, da er nicht als Minister, sondern als Privatperson Mitglied des Curatoriums der Bauernfeld-Stiftung sei. Dies sei nun noch immer unverändert geblieben und Dr. Hartel müsse dem Parlament in Sachen der Stiftung nicht Rede stehen.
Professor Minor berichtigt die allgemeine Bezeichnung »Bauernfeld-Preis« und sagt, es handle sich da um keine Preiskrönungen, sondern nur um Ehrengaben. Die Höhe derselben hänge von äußeren Umständen ab, habe also etwa mit der Qualität des bedachten Werkes nichts zu thun: so sei diesmal die Ehrengabe geringer ausgefallen, da erst ein halbes Jahr seit den letzten Verleihungen verflossen sei, infolge dessen die Zinsen des Stiftungscapitals weniger betragen.
Was die Antisemiten und Dr. Pattai an ihrer Spitze gegen die diesmalige Verleihung der Ehrengabe vorführen, bezeichnete Professor Minor als die alte abgespielte Walze. Es könne selbstverständlich nicht in Betracht kommen, ob ein in Vorschlag zu bringender Autor Christ oder Jude sei. Dies wäre völlig lächerlich. Man könne bei Beurtheilung von Dichterwerken doch nicht erst ein confessionelles Register anlegen! Auch entspreche die Behauptung Dr. Pattai’s, daß die »Lebendigen Stunden« minder gefallen hätten, nicht im geringsten den Thatsachen. Der literarische Wert dieser Einacter und ihr bedeutender Erfolg stehen fest, so daß man über sie kein Wort mehr zu verlieren brauche. Der Vorschlag, diesmal den Autor der »Lebendigen Stunden« auszuzeichnen, sei von Baron Alfred Berger ausgegangen und ihm haben sich die anderen Preisrichter ohne weiteres angeschlossen. Welches Werk wäre denn sonst in Betracht gekommen? Professor Minor gab zu, daß der Durchschnitt unserer neuesten Belletristik ohne Zweifel im Niveau gestiegen sei, aber wo wäre der Roman, der preiswürdig über diesem Niveau stünde?
In einem Parteiblatte habe man Kranewitter und Schrottenbach genannt, die die Ehrengabe verdient hätten. Kranewitter’s »Andre Hofer« sei jedoch schon vor der vorletzten Sitzung des Curatoriums aufgeführt worden und thatsächlich habe man Kranewitter damals vorgeschlagen. Doch wurde offenbar keine Einigung erzielt. Auch Dörmann sei so seinerzeit für seine »Ledigen Leute« vorgemerkt worden und erhielt die Ehrengabe mehrere Jahre später für den »Herrn von Abadessa«, in dessen Richtung man eine Wendung zum Bessern erblickt habe. Schrottenbach stehe dagegen für das Curatorium der Bauernfeld-Stiftung, da sein »Herr Gemeinderat« im Raimund-Theater gespielt wurde, gleichsam außer Concurs, weil es ja auch einen Raimund-Preis gebe. Die »alte Walze« der Unzufriedenen könne die Preisrichter auch heute nicht irritiren; sie hätten nach ihrem besten Wissen und Gewissen gehandelt.