Die Enquete über »Schund und Schmutz«.
Die Vertreter der Schriftsteller und Künstler beim
Bundeskanzler.
[…]
Die Schwierigkeiten einer Definition von Schmutz und Schund
Dr. Arthur
Schnitzler erinnert an seine Ausführungen, die er im Jahre
1905 bei einer von der
Ethischen Gesellschaft in der Frage der Bekämpfung der
Schmutzliteratur abgehaltenen Enquete gemacht hat; er habe schon damals auf die
unüberwindlichen Schwierigkeiten hingewiesen, die sich einer
Definition des Begriffes »Schmutz und Schund« entgegenstellen. Solange man
diese nicht gefunden hat, kann man über das Gesetz nicht sprechen. Ich hätte,
schließt der Redner, die größte Freude, wenn es gelänge, den wirklichen Schund und Schmutz
aus der Welt zu schaffen. Aber wie soll das geschehen? Keinesfalls darf man hier nur
von
Büchern und
Bildern
sprechen, ebenso schädlich wirken auch
Gerichtssaalberichte, vor denen man die Jugend schützen sollte. Die
Schmutzliteratur der ganzen Welt hat nicht so viel angerichtet wie die Berichte über
den
Scheller-
Krantz-Prozeß in
Berlin.
Hofrat Dr.
Ernst Lothar: Dr.
Schnitzler hat unser aller Meinung ausgesprochen, wenn er sagte, er hätte die größte
Freude, wenn es gelänge, den wirklichen Schmutz aus der Welt zu schaffen. Der
Leidtragende, der Hauptgeschädigte ist ja, wie sich einmal Dr.
Beer-Hofmann ausdrückte, der schriftstellerische Beruf, dem man dann die Verantwortung für
alle Exzesse zuschiebt.
Wir alle wollen Schund und Schmutz
bekämpfen, die Frage ist nur: Wie kann dies praktisch geschehen? Zur
Definition des Begriffes »Schund und Schmutz« ist zu sagen, daß die
deutsche Oberprüfstelle in
Leipzig zweimal versucht hat, diese Definition zu geben, ohne daß es ihr auch nur vage
gelungen wäre. Das
deutsche Gesetz besteht nun schon zwei Jahre. Und sein Erfolg?
Ein
ungeheurer Apparat wurde aufgeboten – es wurde ein
Roman obskurer Herkunft verboten. Die
deutsche Oberprüfstelle hat
vier
Merkmale mitgeteilt, die, um eine Druckschrift als »Schund« zu
stigmatisieren, vorliegen müssen: 1. Wertlosigkeit; 2. das Werk muß schädigend
wirken, wobei auch die »ahnungslose Weltfremdheit« des Betroffenen in Frage kommt;
3. die Schutzbedürftigkeit; 4. muß ein »den Wirklichkeitssinn schädigendes« Weltbild
vermittelt werden. Wollten wir ein ähnliches Gesetz erlassen, dann könnte wohl
mancher der hier Anwesenden in die Lage kommen, an solchen substanzlosen
Entscheidungen mitzuwirken. Keiner von uns, glaube ich, wäre imstande, die von der
Oberprüfstelle angeführten Tatbestandsmerkmale
in einem Werk beweishaft aufzufinden. Im Kampf gegen Schund und Schmutz gilt es vor
allem, jenen
bildlichen Nuditätsorgien und
Spekulationsprodukten, die uns täglich auf der Straße
begegnen, wirksam entgegenzutreten! Hiezu reicht aber der § 516 des Strafgesetzes
aus. Ein Gesetz aber, wie immer es hieße, wird den »Schund und Schmutz« nie aus der
Welt schaffen.
Bundeskanzler Dr.
Seipel erwiderte, die
Definition von Schund und Schmutz
interessiere ihn nicht sehr. Man brauche sie auch nicht. Hier handelt es sich
darum, daß man im Laufe der Zeit und in jedem einzelnen Falle unvoreingenommene
Menschen darüber urteilen läßt, ob das bestimmte Produkt, um das es sich handelt,
das
ist, was man allgemein Schund und Schmutz nennt und in dessen Abwehr wir alle, wie
jetzt wieder sehr betont wurde, einig sind, oder ob es das nicht ist. Daher würde
dieses Argument nicht gegen einen Versuch einer neuen gesetzgeberischen Regelung
sprechen, wobei es gleichgültig ist, ob diese in ein altes Gesetz durch Novellierung
hineingearbeitet wird oder die Form eines neuen Gesetzes hat.
Mir sind die Menschen wichtiger als die Termini einer Definition. Die
Menschen wissen schon, was als schädlich in dem Sinne, in dem wir jetzt davon reden,
abzuwehren ist, und was man noch durchgehen lassen kann. Wie bei jedem Urteilsspruch,
müßte es natürlich auch hier sein, daß man im Zweifel die
mildere Praxis einzuhalten habe. Selbstverständlich muß ein solches Urteil
auch nicht für alle Zeiten gelten. Ich finde es vollständig berechtigt, daß
Werke der Kunst und Literatur der Vergangenheit, die an sich
anzüglich und zweideutig sein mögen, doch
anders beurteilt
werden als Werke der lebenden Künstler.
Ich bin selbstverständlich ganz im Gegensatze zu Doktor Schnitzler, wenn er gesagt hat, daß die Erregung der
Sinnlichkeit an sich nicht verwerflich ist; sie ist verwerflich, sobald diese
Erregung denen, die sie selbst nicht wollen, gegen ihren Willen oder wenigstens gegen
ihr besseres Sein aufgezwungen wurde. In diesem Punkt sind wir eben ganz anderer Anschauung, da trennen uns Welten. Für uns existiert nicht nur die
physische Gesundheit, sondern auch die sittliche
Gesundheit; die Sittlichkeit ist etwas Objektives, ein Gut, das verteidigt zu
werden verdient, und ein Gut, in dem ein jeder geschützt werden muß. Daß wir dabei
den Jugendlichen mehr schützen als den Erwachsenen, ist
ganz klar, da der Erwachsene sich eben selbst besser wehren kann als der
Jugendliche.
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