Kurt Mühsam: Mit Arthur Schnitzler im Film-Atelier, 2. 12. 1927

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Mit Arthur Schnitzler im Film-Atelier
Der Dichter sieht zu erstenmal, wie er verfilmt wird
Im Filmatelier ist man Aufregung gewöhnt. Irgendjemand muß ja immer schuld daran sein, wenn es nicht klappt, und irgendwas klappt immer nicht. Insbesondere nicht, wenn man die Presse zu besonders interessanten Aufnahmen einlädt. Sonst müßte sie ja nicht jedesmal stundenlang warten, bis es »so weit« ist.
»Und weshalb sollten Filmleute, wenn es sich gerade um die Unzuverlässigkeit der Menschen handelt, eine Ausnahmeerscheinung bilden!« Mit diesen Worten kennzeichnete Arthur Schnitzler seine persönlichen Erfahrungen im Filmbetrieb.
Allerdings kennt er den deutschen Film nur aus seinen häufigen Kinobesuchen und aus seinen Verhandlungen mit der Hegewald-Filmgesellschaft, die im vorigen Jahr seine »Liebelei« in die Schwarz-Weiß-Sprache übersetzt hat und augenblicklich daran ist, Schnitzlers Schauspiel »Freiwild« in den Weißenseer Ateliers zu einem Film werden zu lassen.
»Ich war schon in Wien in Filmateliers und habe auch wiederholt Aufnahmen im Freien beigewohnt. Heute bin ich aber zum erstenmal in einem deutschen Atelier und soll zum ersten Male sehen, wie eines meiner Werke verfilmt wird.«
Natürlich hatte es auch heute wieder nicht so ganz geklappt, als wir die große Halle des alten May-Ateliers in Weißensee betraten, denn außer dem Regisseur Holger Madsen und einigen Bühnenarbeitern, Beleuchtern und Dekorateuren war niemand im Atelier zu sehen, der für eine Filmaufnahme in Frage gekommen wäre. Wir stiegen die steilen Treppen zu der im Keller liegenden Kantine hinunter, um dort zu warten, bis es »so weit« wäre. Schnitzlers Augen wanderten ein wenig verwundert und neugierig um die vielen jungen Damen herum, die, in schwere Wintermäntel gehüllt, an den Tischen saßen und ihre stark geschminkten Lippen in billigen Brauselimonaden badeten. Aber noch erstaunter wurden seine Augen, als die jungen Damen auf ein Glockenzeichen sich von den Plätzen erhoben und man sehen konnte, daß sie unter ihren Mänteln nichts anderes als bunte Badetrikots anhatten.
»In diesem Milieu könnte man beinahe glauben, daß man selbst zum Film gehört.«
Und Schnitzlers Erstaunen kannte keine Grenzen, als er erfuhr, daß diese Badegirls im »Freiwild« mitwirken. Die beiden Filmbearbeiter seines Schauspiels, Herbert Juttke und Georg C. Klaren, erklärten nun Schnitzler genau die Szene, in der die Mitwirkung dieser großen Schar schöngewachsener junger Mädchen nötig sei. Schnitzler lächelte und sagte zu mir: »Sehen Sie, in wie netter Weise die Herren meine Stücke verbessern.« Es lag kein Vorwurf in diesen Worten, wohl aber bei einer leichten Ironie ein gütiger Ansporn.
Während Schnitzler in anregendem Ton von der Erstaufführung seines »Freiwilds« plauderte und dabei erzählte, daß von allen Darstellern, die damals vor 31 Jahren mitgewirkt hatten, nur noch der alte Thaller am Leben sei, ließ sich der junge blonde Star des Films, Evelyn Holt, die auch in der verfilmten »Liebelei« die Hauptrolle gespielt hatte, ihren berühmten Dichter vorstellen. Und abermals lächelte Schnitzler sehr gütig, als die junge Dame ihm stolz erzählte, sie habe sich das Schauspiel »Freiwild« sogar gekauft. Dann machte noch Hilde Maroff, die man als Soubrette Pepi in dem Film sehen wird, ihren Knix vor Schnitzler und endlich – war es »so weit«.
Durch ein Gewirr von Kabelleitungen, Dekorationsstücken und gerade a. D. befindlichen Beleuchtungskörpern wurden wir hinter die Kulissen einer reizend gebauten Vorstadtbühne geführt, auf der sich die vielen schlanken Wassernixen munter umhertummelten, jetzt allerdings ohne die schweren Mäntel, die ihren hübschen Körperwuchs vorhin so unfreundlich verdeckt hatten. Scheinwerfer, Aufheller und Quecksilberlampen gossen ihre Lichtströme über die jungen Gestalten, Holger Madsens Kommandorufe ertönten, der Operateur drehte, während die Badegirls eine Freitreppe im Laufschritt zu erklimmen hatten.
»Es ist zu schade, daß man allen diesen Filmen die Nachkriegszeit so deutlich ansehen muß,« sagte Schnitzler. »Ohne Jazz, Bar, Charleston scheint es gar nicht mehr zu gehen.« Als ich darauf bemerkte, diese Filme sollten ja eigentlich zeitlos sein, meinte Schnitzler: »Das Zeitlose ist von kürzester Dauer.«
Und weiter wurden Bilder von den hübschen Badegirls gedreht.
Als ich Schnitzler fragte, wie ihm diese Filmarbeit so aus nächster Nähe gefalle, sagte er sichtlich befriedigt: »Ich fühle mich ungemein wohl in solcher Atmosphäre. Das Erleben des Werdens ist ungemein packend, interessant und hinreißend. Ich habe das gleiche frohe Empfinden auch bei Theaterproben. Wenn man beispielsweise beobachtet, daß dem Schauspieler auf der Probe plötzlich die Schuppen von den Augen fallen und ihm die ganze Situation, der Gedanke, der Wille des Dichters, also das Werk selbst, klar wird, dann ist das für mich ein Moment von beispielloser Eindruckskraft. Und gerade hier im Film offenbart sich das Werden eines Werkes durch das Mosaik der vielen Einzelszenen noch viel deutlicher.« Dann erzählte Schnitzler, wie er jede Szene eines Bühnenstückes, das er lese, sofort stets als abgerundete Bilder vor sich sehe, während die Aufführung von Stücken fast immer darunter litte, daß Regisseure und Darsteller meistens nicht imstande seien, so in Bildern zu lesen. Auch Schlenther hätte das nicht gekonnt, obwohl oder weil er eben nur ein großer Kritiker gewesen wäre. Auch bei der Lektüre von Filmmanuskripten hätte Schnitzler stets den Eindruck, nicht Beschreibungen, sondern Bilder zu lesen.
Und weshalb schreiben Sie nicht selbst Filmmanuskripte?
»Das überlasse ich lieber den jungen Herren, denen die Technik des Films geläufiger ist als mir. Sie verbessern, wie gesagt, meine Stücke, wenn sie auch aus Gründen, die ich nicht verstehe, beispielsweise die Handlung der ›Liebelei‹, die unbedingte Frühlingsstimmung erfordert, in den kalten Winter verlegen, wenn sie auch aus dem möblierten Zimmer des Studenten einen Schloßsaal machen –, aber vielleicht trägt da der Architekt die Schuld. Jedenfalls – wieder lächelte Schnitzler sehr gütig – ist es schade, daß die Verfilmung meiner Werke erst jetzt geschieht. Wäre das schon früher der Fall gewesen, so hätte ich gewiß von den jungen Autoren lernen können, wie man ein Stück schreibt, um ihm den Erfolg zu sichern.«
Auf der Heimfahrt erzählte mir Schnitzler, daß seine Novelle »Fräulein Else« wohl als nächster Schnitzler-Film herauskommen werde. Mit Elisabeth Bergner in der Hauptrolle.
Dr. Kurt Mühsam.