Mit Arthur Schnitzler im Film-Atelier
Der Dichter sieht zu erstenmal, wie er verfilmt wird
Im Filmatelier ist man Aufregung gewöhnt. Irgendjemand muß ja immer schuld daran
sein, wenn es nicht klappt, und irgendwas klappt immer nicht. Insbesondere nicht,
wenn man die Presse zu besonders interessanten Aufnahmen einlädt. Sonst müßte sie
ja
nicht jedesmal stundenlang warten, bis es »so weit« ist.
»Und weshalb sollten Filmleute, wenn es sich gerade um die Unzuverlässigkeit der
Menschen handelt, eine Ausnahmeerscheinung bilden!« Mit diesen Worten kennzeichnete
Arthur Schnitzler seine persönlichen
Erfahrungen im Filmbetrieb.
Allerdings kennt er den deutschen Film nur aus seinen häufigen Kinobesuchen und aus
seinen Verhandlungen mit der
Hegewald-Filmgesellschaft, die im vorigen Jahr seine »
Liebelei« in die
Schwarz-Weiß-Sprache übersetzt hat und augenblicklich daran ist,
Schnitzlers Schauspiel »
Freiwild« in den
Weißenseer Ateliers zu
einem Film werden zu lassen.
»Ich war schon in
Wien in Filmateliers und habe
auch wiederholt Aufnahmen im Freien beigewohnt. Heute bin ich aber zum erstenmal in
einem
deutschen Atelier und soll zum ersten Male sehen,
wie
eines meiner Werke verfilmt wird.«
Natürlich hatte es auch heute wieder nicht so ganz geklappt, als wir die große Halle
des alten
May-Ateliers in
Weißensee betraten, denn außer dem Regisseur
Holger Madsen und einigen Bühnenarbeitern,
Beleuchtern und Dekorateuren war niemand im Atelier zu sehen, der für eine
Filmaufnahme in Frage gekommen wäre. Wir stiegen die steilen Treppen zu der im Keller
liegenden Kantine hinunter, um dort zu warten, bis es »so weit« wäre.
Schnitzlers Augen wanderten ein wenig verwundert
und neugierig um die vielen jungen Damen herum, die, in schwere Wintermäntel gehüllt,
an den Tischen saßen und ihre stark geschminkten Lippen in billigen Brauselimonaden
badeten. Aber noch erstaunter wurden seine Augen, als die jungen Damen auf ein
Glockenzeichen sich von den Plätzen erhoben und man sehen konnte, daß sie unter ihren
Mänteln nichts anderes als bunte Badetrikots anhatten.
»In diesem Milieu könnte man beinahe glauben, daß man selbst zum Film gehört.«
Und
Schnitzlers Erstaunen kannte keine Grenzen,
als er erfuhr, daß diese Badegirls im »
Freiwild«
mitwirken. Die beiden Filmbearbeiter seines Schauspiels,
Herbert Juttke und
Georg C. Klaren, erklärten nun
Schnitzler genau die
Szene, in der die Mitwirkung dieser großen Schar schöngewachsener junger Mädchen
nötig sei.
Schnitzler lächelte und sagte zu
mir: »Sehen Sie, in wie netter Weise die Herren meine Stücke verbessern.« Es lag kein
Vorwurf in diesen Worten, wohl aber bei einer leichten Ironie ein gütiger
Ansporn.
Während
Schnitzler in anregendem Ton von der
Erstaufführung seines »
Freiwilds« plauderte und dabei erzählte, daß von allen
Darstellern, die damals vor 31 Jahren mitgewirkt hatten, nur noch der alte
Thaller am Leben sei, ließ sich der junge
blonde Star des Films,
Evelyn Holt, die auch in der verfilmten »
Liebelei« die
Hauptrolle gespielt hatte, ihren berühmten Dichter vorstellen. Und abermals lächelte
Schnitzler sehr gütig, als die junge Dame
ihm stolz erzählte, sie habe sich das Schauspiel »
Freiwild« sogar gekauft. Dann machte noch
Hilde Maroff, die man als Soubrette Pepi in dem Film sehen wird, ihren Knix vor
Schnitzler und endlich – war es »so weit«.
Durch ein Gewirr von Kabelleitungen, Dekorationsstücken und gerade a. D. befindlichen
Beleuchtungskörpern wurden wir hinter die Kulissen einer reizend gebauten
Vorstadtbühne geführt, auf der sich die vielen schlanken Wassernixen munter
umhertummelten, jetzt allerdings ohne die schweren Mäntel, die ihren hübschen
Körperwuchs vorhin so unfreundlich verdeckt hatten. Scheinwerfer, Aufheller und
Quecksilberlampen gossen ihre Lichtströme über die jungen Gestalten,
Holger Madsens Kommandorufe ertönten, der
Operateur drehte, während die Badegirls eine Freitreppe im Laufschritt zu erklimmen
hatten.
»Es ist zu schade, daß man allen diesen Filmen die Nachkriegszeit so deutlich ansehen
muß,« sagte
Schnitzler. »Ohne Jazz, Bar,
Charleston scheint es gar nicht mehr zu gehen.« Als ich darauf bemerkte, diese Filme
sollten ja eigentlich zeitlos sein, meinte
Schnitzler: »Das Zeitlose ist von kürzester Dauer.«
Und weiter wurden Bilder von den hübschen Badegirls gedreht.
Als ich
Schnitzler fragte, wie ihm diese
Filmarbeit so aus nächster Nähe gefalle, sagte er sichtlich befriedigt: »Ich fühle
mich ungemein wohl in solcher Atmosphäre.
Das Erleben des
Werdens ist ungemein packend, interessant und hinreißend. Ich habe das
gleiche frohe Empfinden auch bei Theaterproben. Wenn man beispielsweise beobachtet,
daß dem Schauspieler auf der Probe plötzlich die Schuppen von den Augen fallen und
ihm die ganze Situation, der Gedanke, der Wille des Dichters, also das Werk selbst,
klar wird, dann ist das für mich ein Moment von beispielloser Eindruckskraft. Und
gerade hier im Film offenbart sich das Werden eines Werkes durch das Mosaik der
vielen Einzelszenen noch viel deutlicher.« Dann erzählte
Schnitzler, wie er jede Szene eines Bühnenstückes, das er
lese, sofort stets als abgerundete Bilder vor sich sehe, während die Aufführung von
Stücken fast immer darunter litte, daß Regisseure und Darsteller meistens nicht
imstande seien, so in Bildern zu lesen. Auch
Schlenther hätte das nicht gekonnt, obwohl oder weil er eben nur ein großer Kritiker
gewesen wäre. Auch bei der Lektüre von Filmmanuskripten hätte
Schnitzler stets den Eindruck, nicht Beschreibungen, sondern
Bilder zu lesen.
Und weshalb schreiben Sie nicht selbst Filmmanuskripte?
»Das überlasse ich lieber den jungen Herren, denen die Technik des Films geläufiger
ist als mir. Sie verbessern, wie gesagt, meine Stücke, wenn sie auch aus Gründen,
die
ich nicht verstehe, beispielsweise die Handlung der ›
Liebelei‹, die unbedingte Frühlingsstimmung erfordert, in den kalten Winter
verlegen, wenn sie auch aus dem möblierten Zimmer des Studenten einen Schloßsaal
machen –, aber vielleicht trägt da der Architekt die Schuld. Jedenfalls – wieder
lächelte
Schnitzler sehr gütig – ist es schade,
daß die Verfilmung meiner Werke erst jetzt geschieht. Wäre das schon früher der Fall
gewesen, so hätte ich gewiß von den jungen Autoren lernen können, wie man ein Stück
schreibt, um ihm den Erfolg zu sichern.«
Auf der Heimfahrt erzählte mir
Schnitzler, daß
seine Novelle »
Fräulein Else« wohl als nächster
Schnitzler-Film herauskommen werde. Mit
Elisabeth Bergner in der Hauptrolle.
Dr. Kurt Mühsam.