[Franz Goldstein]: Eine Morgenstunde bei Arthur Schnitzler, 4. 1. 1928

Eine Morgenstunde bei Arthur Schnitzler.
Kein Interview
Sylvestermorgen, 10° unter Null, strahlende Sonne und blauer Himmel über Wien. Von Hietzing schweift der Blick über hügelige Landschaft, man könnte wähnen, in den Harz versetzt zu sein. Die Luft ist klar, wie in den Bergen. Von der wunderschönen Villa des Dichters im Währinger Cottage, mitten im Park, aus, sieht das unbewehrte Auge bis zum Semmering.
In diesen Zeitläuften hat Arthur Schnitzler Sinn und Bild des Dichters zu wahren gewußt, wie kaum ein anderer. Der herrliche Kopf, aus dem im Gespräch ein blaues Augenpaar das Gegenüber durchleuchtet, wie die Sonnenstrahlen in zwei Fjorden wiederstrahlen, erschiene verehrungswürdig, selbst wenn man nichts wüßte, wer Arthur Schnitzler ist.
Ob man von der oberschlesischen Heimat erzählt oder der Dichter sich im Anschluß an die Lektüre der Tagebücher Theodor Herzl’s erinnert, Persönliches mitteilt und wie stets bedeutsam urteilt, ob er die Bewunderung für sein neuestes Werk, das man vor wenigen Tagen dankbar empfing, das weise »Buch der Sprüche und Bedenken« wahrhaft rührend bescheiden, wie es nur das Genie sein kann, fast schüchtern abwehrt, wie er sprühend und in jugendlichem Feuer über James Joyce, die Dinge des Theaters handelt und auf Bitten von eigenen Plänen berichtet, wie er teil hat an allem, was uns bewegt, das ist menschlich so groß und erschütternd, daß es mir als inferior erschiene, ein Interview daraus zu schleimen.
O, daß doch jedes Jahr so harmonisch schlösse, wie das Gespräch mit dem Dichter am letzten Dezembertage 1927.