Die Censur in Oesterreich. Eine Zeitfrage, 6. 1. 1897

Die Censur in Oesterreich.
Eine Zeitfrage.
II.
Den äußerst bemerkenswerthen Aeußerungen des Wiener Polizeipräsidenten und mehrerer Wiener Theaterdirectoren über diese brennende und unaufhaltsam ihrer endlichen Lösung zudrängende Frage lassen wir heute andere Persönlichkeiten folgen, denen in dieser Angelegenheit das Recht, gehört zu werden, zusteht. Vor Allem die vier verschiedene Parteirichtungen unseres Reichsrathes vertretenden Parlamentarier, die den Beginn machen mögen.
[…]
Schriftsteller.
»Wie jeder Autor, bin auch ich selbstredend für die Abschaffung der Bühnencensur und zwar schon deshalb, weil die Censur bei uns in die Hände von Personen gelegt ist, die für die Kunst kein Verständniß besitzen. Es ist ein offenes Geheimniß: der Censor läßt sich bei uns bei der Beurtheilung des ihm vorgelegten Stückes von allen anderen Rücksichten eher leiten, als von künstlerischen. Er ist a priori gar nicht dazu befähigt, ein Stück künstlerisch zu beurtheilen. Wer sind unsere Censoren? Da werden aufs Gerathewohl Beamte herausgegriffen, die sonst alle möglichen guten Qualitäten besitzen mögen, nur keine literarischen. Danach wird eben nicht gefragt. In der heutigen Nummer des ›Neuen Wiener Journal‹ erzählt der Polizeipräsident, daß er Ibsen’s ›Gespenster‹ seinerzeit in Prag verboten habe. Er verhehlt uns auch die Gründe nicht, von denen er sich hiebei hatte leiten lassen. Künstlerische waren es nicht. Herr v. Stejskal hielt die ›Gespenster‹ für ein unsittliches Stück; nun, ich bin in diesem Punkte anderer Meinung, ich halte die ›Gespenster‹ nicht für unsittlich, aber man mag darüber nun denken, wie man will, Kunst und Sittlichkeit sind verschiedene Begriffe, man darf sie nicht miteinander verwechseln, wie Herr v. Stejskal es in diesem Falle gethan.
Freilich, der Staat hat die Neigung und auch die Machtmittel, Alles zu unterdrücken, was ihm nicht in den Kram paßt, und ich muß gestehen, solange der Staat von der Voraussetzung ausgeht, daß die Einrichtungen, die er schützen will, durch das freie Wort auf der Bühne gefährdet sind, solange werde ich begreifen, daß er sich des Rothstifts nicht begeben mag, der ihm die Handhabe bietet, das seiner Meinung nach Gefährliche im Keime zu ersticken. Ob das, was dem Stifte des Censors zum Opfer fällt, wirklich danach angethan ist, den Staat in seiner Ruhe zu bedrohen, ist eine andere Frage. Kein Stück der Weltliteratur ist dem Staate gefährlich geworden, auch Beaumarchais’ ›Figaro’s Hochzeit‹ möchte ich kaum als Ausnahme gelten lassen. Der Figaro hat die französische Revolution nicht erzeugt, er war blos der zündende Funke. Und ich bin überzeugt, wenn wieder einmal ein Wort geschrieben werden sollte, das ›trifft und zündet‹, der Censor wird es gewiß nicht herausfinden. Das ist vor seinem Stifte sicher. Erst wenn es hinausgeflattert sein wird, wird der Censor sich fragen, wo stand denn das Wort. Ich habe es ja gar nicht gelesen.«