Die Censur in
Oesterreich.
Eine Zeitfrage.
II.
Den äußerst bemerkenswerthen Aeußerungen
des
Wiener
Polizeipräsidenten und mehrerer
Wiener
Theaterdirectoren über diese brennende und unaufhaltsam
ihrer endlichen Lösung zudrängende Frage lassen wir heute andere Persönlichkeiten
folgen, denen in dieser Angelegenheit das Recht, gehört zu werden, zusteht. Vor Allem
die vier verschiedene Parteirichtungen unseres
Reichsrathes vertretenden Parlamentarier, die den Beginn machen mögen.
[…]
Schriftsteller.
»Wie jeder Autor, bin auch ich selbstredend
für die
Abschaffung der Bühnencensur und zwar schon deshalb, weil die Censur bei uns in die
Hände von Personen gelegt ist, die für die Kunst kein Verständniß besitzen. Es ist
ein offenes Geheimniß: der Censor läßt sich bei uns bei der Beurtheilung des ihm
vorgelegten Stückes von allen anderen Rücksichten eher leiten, als von
künstlerischen. Er ist
a priori gar nicht dazu befähigt, ein
Stück künstlerisch zu beurtheilen. Wer sind unsere Censoren? Da werden aufs
Gerathewohl Beamte herausgegriffen, die sonst alle möglichen guten Qualitäten
besitzen mögen, nur keine literarischen. Danach wird eben nicht gefragt. In der
heutigen Nummer des ›
Neuen Wiener
Journal‹ erzählt der
Polizeipräsident, daß er
Ibsen’s ›
Gespenster‹ seinerzeit in
Prag verboten habe. Er verhehlt uns auch die Gründe nicht, von
denen er sich hiebei hatte leiten lassen.
Künstlerische
waren es
nicht. Herr
v. Stejskal hielt die ›
Gespenster‹ für
ein unsittliches Stück; nun, ich bin in diesem Punkte anderer Meinung, ich halte die
›
Gespenster‹ nicht für unsittlich, aber man
mag darüber nun denken, wie man will, Kunst und Sittlichkeit sind verschiedene
Begriffe, man darf sie nicht miteinander verwechseln, wie Herr
v. Stejskal es in diesem Falle gethan.
Freilich, der Staat hat die Neigung und auch die Machtmittel, Alles zu unterdrücken,
was ihm nicht in den Kram paßt, und ich muß gestehen, solange der Staat von der
Voraussetzung ausgeht, daß die Einrichtungen, die er schützen will, durch das freie
Wort auf der Bühne gefährdet sind, solange werde ich begreifen, daß er sich des
Rothstifts nicht begeben mag, der ihm die Handhabe bietet, das seiner Meinung nach
Gefährliche im Keime zu ersticken. Ob das, was dem Stifte des Censors zum Opfer
fällt, wirklich danach angethan ist, den Staat in seiner Ruhe zu bedrohen, ist eine
andere Frage. Kein Stück der Weltliteratur ist dem Staate gefährlich geworden, auch
Beaumarchais’ ›
Figaro’s Hochzeit‹ möchte ich kaum als Ausnahme gelten
lassen. Der
Figaro hat die
französische Revolution nicht erzeugt, er war blos der zündende
Funke. Und ich bin überzeugt, wenn wieder einmal ein Wort geschrieben werden sollte,
das ›trifft und zündet‹, der
Censor wird es gewiß
nicht herausfinden. Das ist vor seinem Stifte sicher. Erst
wenn es hinausgeflattert sein wird, wird der Censor sich fragen, wo stand denn das
Wort. Ich habe es ja gar nicht gelesen.«