Resurrecturi! [Käm’ ein Großer uns wieder], 14. 4. 1895

(Rundfrage der »Wiener Allgemeinen Zeitung«.)
Unsere Zeit erweckt mit der Verworrenheit ihrer socialen Verhältnisse, der Unbestimmtheit ihres politischen Gefühles und der Trostlosigkeit einiger ihrer charakteristischen Erscheinungen die Sehnsucht nach manchem Verlorenen, das in der Vergangenheit nicht auf seinen vollen Werth erkannt wurde.
Aber, man verstehe uns recht. Weder entspringt diese Betrachtung der Sehnsucht nach der »guten alten Zeit«, noch dem ernstlichen Glauben, es könne irgend etwas, das einmal gewesen, wiederkehren. Aber daß uns Manches von den gewesenen Dingen und Menschen heute wieder sehr zugute käme, ist klar, und da ist es denn interessant zu erfahren, was die Einzelnen der hervorragenden Persönlichkeiten unserer Zeit wieder auferstanden sehen möchten.
Auf unsere Frage:
»Für welches Gewesene (Mensch, Institution, Kunstform, Idee, Ereigniß) würden Sie Auferstehung wünschen?«
haben uns bedeutende Geister aus Oesterreich, Deutschland und Frankreich bereitwillig ihre Ansicht mitgetheilt, wofür wir Allen unseren besten Dank aussprechen.
Die Mehrzahl dieser Antworten spricht für unsere Anschauung, daß
    »Nicht Alles, was bestand,
    Werth war, daß es ein Ende fand.«
Wir lassen im Nachfolgenden die einzelnen Antworten folgen:
[…]
    Käm’ ein Großer uns wieder, und wär’ er erst gestern geschieden,
    Wandelt’ er einsam und fremd in der lebendigen Welt.
    Wächse Vergang’nes um uns mit blühendem Scheine des Lebens,
    Staunten und schauerten wir, fremd und einsam gleich Dem.
    Denn es heißt ja leben: vielfältig verstrickt in ein Netz sein,
    D’ran ein jeder Moment neue Fäden uns spinnt;
    Und nicht nur, daß wir sind, gibt uns des Daseins Empfindung,
    Auch, daß and’res vorbei, ist uns’res Daseins ein Theil.
    Todt ist ein Wiedererstandenes; lebendig oft das Gewesene,
    Da sein Sinn es im All nur als Gewes’nes erfüllt.
Arthur Schnitzler (Wien)