Hinter den Coulissen.
Arthur Schnitzler, außerhalb seines eigenen
dichterischen Schaffens sonst so sparsam, fast geizig mit seiner Feder, leitet die
deutsche Buchausgabe von »
Fesseln der Liebe« mit einem reizenden und anregenden, an
Vaucaire gerichteten Briefe ein, der uns zur Wiedergabe übermittelt wird. Da
das
Stück morgen im jungen »
Lustspielhaus« hier aufgeführt
wird, sei der Brief Arthur Schnitzlers hier mitgeteilt:
Sie wollen also wirklich ein Vorwort zu der deutschen Buchausgabe Ihres
Stückes? Ich glaube, dieser
Wunsch entspringt mehr einer Liebenswürdigkeit Ihrerseits mir gegenüber als der
Empfindung, daß Ihre reizvolle
Komödie einer Einführung beim deutschen Publikum bedürfe.
Ein Vorwort, das ist schließlich immer eine Art von Erklärung oder von
Entschuldigung. Und die beste Entschuldigung für ein Werk wird immer bleiben, daß
es
gelungen ist; die zweifelloseste Erklärung, ja vielleicht die einzig erlaubte, wenn
es sich selbst erklärt. Welches Vergnügen mir die Lektüre von »
Petit chagrin« bereitet hat, habe ich Ihnen seinerzeit nicht
verhehlt. Seither habe ich das Stück im
Josefstädter
Theater gesehen, und wieder hat es mir so lebhaft ans Herz gerührt wie
damals, als ich es las. Nennen Sie es immerhin lächelnd den »kleinen Gram« oder
»kleine Schmerzen« (ich weiß, daß »Petit chagrin« hübscher klingt und eigentlich was
anderes heißt – allerdings bestimmt nicht »Fesseln der Liebe«. . . ), ich finde nun einmal, daß diese alltägliche Geschichte von der kleinen
Mimi Foy im Grunde recht
traurig ist und auch Ihnen viel trauriger vorkommt, als Sie es zugestehen wollen.
Daß
Mimi sich trösten, daß sie
eine große Künstlerin werden, daß sie weiterleben wird, als wäre nichts geschehen
–
wie man zu sagen pflegt –, das macht die Sache höchstens für sie selbst etwas weniger
traurig, aber nicht für uns nachdenkliche Zuschauer des Lebens und seiner
Nachbildungen. Und was mir eigentlich für Mimi noch weher tut, als daß ihr Herz ein
wenig bricht und daß es ihr ein wenig zusammenheilt, ist dieses: daß sie alles, was
ihr passieren wird, im vorhinein gewußt und so auch alle Seligkeit des Anfangs schon
mit der Ahnung von dem banalen Ende genossen und hingenommen hat. Und
merkwürdigerweise hat sie sich nicht einmal aufgelehnt, kaum einen Augenblick, und
jedenfalls nicht sehr ernstlich. Aber sollte sie es wirklich ganz in der Ordnung
finden, daß man ein Wesen ihrer Art verläßt, um irgend ein Fräulein aus guter Familie
zu heiraten, und daß man ohne weiteres das Recht hat, sie in ihre Welt
zurückzustoßen, um ein Mädchen aus einer anderen zur Frau zu nehmen?. . . Nein, ich glaube, sie weiß schon heute, daß ihre Welt
die bessere und hoffnungsreichere ist, und bald wird sie den tieferen Sinn und das
Heil ihres Erlebnisses darin spüren, daß
sie nicht zu
gering für ihren Geliebten, sondern, daß
er ihrer nicht
würdig war. – Damit will ich Ihrem
Georges nicht einmal etwas Böses nachsagen. Er ist im Grunde ein guter
Junge, liebenswürdig und hat viel Geist. . . Den haben sie
alle, die jungen Leute in Ihrem
Stück. Sie haben beinahe so viel Geist als ihr Schöpfer und darum manchmal
mehr, als dieser verantworten könnte. – Besonders Herrn
Daumesnil habe ich sehr gern. Er könnte
sich mit Recht darüber aufhalten, als Episodenfigur behandelt zu werden, und ich
glaube, daß er ein wenig tiefer empfindet, und daß ihm daher mehr Leid beschieden
wird, als Sie uns verraten. Die meisten Stücke haben ja irgend einen allerletzten
Akt, der nicht geschrieben wurde; und wenn man aus dem Theater nach Hause geht, liebt
man es, solche allerletzten Akte zu dem ausgespielten Stück dazu zu träumen. Und
manche solcher vierten Akte könnte man sich zu »
Petit
chagrin« dazudenken. Aber wer weiß, ob es auch nur in einem von ihnen so
lustig zuginge als in Ihren dreien, die in all ihrer Melancholie oft sehr heiter und
immer so amüsant sind. – So denke ich mir einen Akt, der zwischen
Daumesnil und
Mimi spielt; und mir ist, als wenn Schatten
der Vergangenheit ziemlich schwer über ihnen beiden liegen müßten. Dann seh’ ich
Georges im Kreise der Familie
Renouard, und trotz allen
Glückes junger Brautschaft sehnt er sich doch nach einer gewissen Nacht in
Versailles zurück, wo unter den Fenstern drei
Violinen und ein Piano spielten, nach irgend einem unordentlichen Frühstück bei
Mimi, und vielleicht sogar nach dem
traurig-süßen Abschiedsmahle im Café de Madrid, da Sommerlüfte über den offenen
Balkon in das stille Zimmer zogen.
Sehen Sie, lieber Herr
Vaucaire, so mache ich
mir Sorgen um manche Leute, die in Ihrer Komödie erscheinen; so stark ist der Hauch
des Lebens, der von ihnen ausgeht. Nur um die kleinen Freundinnen der Lucie ist mir
wenig bange, – eher um die Herren, die einmal ihre Gatten werden sollen.
Aber was erzähle ich Ihnen da? . . . Sie wissen besser, was
Ihre Figuren nach dem letzten Fallen des Vorhangs anstellen und erleben werden als
ich. Es sind ja keine ungewöhnlichen Menschen, und wie Sie selbst, lieber Herr
Vaucaire, in der wehmütig lächelnden
Ueberschrift ausdrücken, ihre Schmerzen sind gering. Aber wirkliche Menschen sind
es,
und ihre kleinen Schmerzen gehen uns ans Herz, so vergänglich sie sind. Und das wird
wohl die Hauptsache sein.
Und Sie wollen, daß ich Ihnen ein Vorwort schreibe? . . .
Wahrhaftig, Ihre
Komödie
bedarf weder eines Kommentars, noch einer Rechtfertigung. Aber vielleicht könnte ein
Vorwort doch noch etwas Drittes bedeuten: den Dank, den irgend jemand im Namen von
vielen ausspricht. Wollen wir es so nehmen? Da ist es vielleicht pretentiös, daß
gerade ich meinen Namen unter diese Zeilen setze. Aber Sie waren so liebenswürdig,
es
zu wünschen, mein lieber Herr
Vaucaire, und so
mag ich darum auch bei anderen entschuldigt sein.
Arthur Schnitzler.