Wir wollten bei unserer Enquete über die Anregungen des Dr.
Kürschner den illustren
Namen Arthur Schnitzlers nicht missen. Unser Mitarbeiter
Hermann Menkes wandte sich an den Dichter mit der Bitte, sich
über die wichtige Frage zu äußern. Schnitzler lehnte ab, indem er erklärte, daß er
sich grundsätzlich an Zeitungsrundfragen nicht beteilige. Darauf schrieb ihm unser
Herausgeber, daß es sich hier nicht um eine der gewöhnlichen Zeitungsrundfragen
handle, sondern um eine bedeutsame Kulturaktion, welche voraussichtlich den
Völkerbund beschäftigen werde, an der mitzuwirken für einen Mann von dem Ansehen und
der literarischen Stellung Schnitzlers geradezu eine »moralische Pflicht« sei. Diesen
Brief beantwortete der Dichter zwar nicht mit dem gewünschten Gutachten, aber mit
einem langen Schreiben, das so charakteristisch für Schnitzler als Dichter und Mensch
ist, daß wir es uns nicht versagen können, es im vollen Wortlaut abzudrucken. Der
Dichter schreibt:
Auf Ihr liebenswürdiges Schreiben vom
9. d. M., in dem Sie mich, wie
vorher schon
Hermann Menkes, ersuchen, mich in
irgendeiner Weise zu der Anregung des Dr.
Kürschner zu äußern, erlaube ich mir zu erwidern, daß ich auf einem anderen
prinzipiellen Standpunkt stehe als Sie, verehrter Herr Chefredakteur. Sie präzisieren
den Ihren dahin, daß die »prominentesten unter den literarischen Führern geradezu
die
moralische Verpflichtung haben, bei einer so bedeutsamen kulturellen Aktion (wie es
die Enquete über die
Kürschnersche Idee sei,
ein internationales Schulamt in
Genf zu schaffen
etc. etc.) nicht abseits zu stehen. Ich bin demgegenüber vor allem der Meinung, daß
es keineswegs ein »Abseitsstehen« bedeutet, wenn man es vermeidet, öffentlich das
Wort zu irgendeiner kulturell noch so bedeutsamen Frage zu ergreifen; ferner
bestreite ich mit aller Entschiedenheit die von Ihnen behauptete »moralische
Verpflichtung« eines freien Schriftstellers, in irgendeinem Falle »nicht abseits«
zu
stehen. Nichts wäre leichter und wohlfeiler, als sich zu der
Kürschnerschen Idee mit ein paar Worten, sei es völlig
zustimmend und hoffnungsvoll, sei es (in Hinsicht auf den Erfolg, der von ihm
vorgeschlagenen Aktion) skeptisch zu äußern – ich aber für meinen Teil empfände es
vor allem als höchst prätentiös, wenn ich mich zu einer solchen Sache überhaupt
äußern wollte, ohne sie nach allen Seiten hin reiflich erwogen zu haben und ohne
irgend etwas Wesentliches und Neues zu der Lösung der Frage beitragen zu können. Wie
ich im allgemeinen über »nationalistische, den Klassen- und Rassenhaß nährende«
Schulbücherbeiträge denke, davon dürften sich die Leute, die einiges von dem kennen,
was ich bisher geschrieben habe, wohl ein Bild zu machen imstande sein. Und daß ich
gerade nicht zu den Abseitsstehern gehöre, wenn das auch jederzeit mein gutes Recht
wäre, habe ich mehr als einmal in meinem Leben zu beweisen Gelegenheit gehabt. Aber
es muß durchaus meinem Ermessen anheimgestellt bleiben, bei welcher Gelegenheit,
innerhalb welchen Rahmens, in welcher Form – ob ich eine politische oder unpolitische
Anschauung dramatisch, episch, essayistisch, aphoristisch zum Ausdruck zu bringen
den
Wunsch hege. Ich muß nicht erst betonen, daß diese Worte weder eine Stellungnahme
gegen Enqueten im allgemeinen, noch eine solche gegen die von Ihnen veranstaltete
Enquete, noch gar eine gegen den vorzüglichen
Artikel von Dr.
Kürschner zu bedeuten haben, sondern daß ich nur mit aller Entschiedenheit
das Bestehen einer moralischen Verpflichtung in Abrede stelle, mich an irgendeiner
Enquete zu beteiligen, Meinungen abzugeben, mich kritisch zu äußern, kurz irgendwo
und sei es im allerrespektabelsten Kreise, und über irgendein Problem, sei es so
aktuell und interessant wie möglich, mitzureden, ohne daß mich im Augenblick ein
inneres Bedürfnis dazu zwingt. Sollten Sie aber, sehr verehrter Herr Chefredakteur,
den Lesern Ihres hochgeschätzten Blattes eine Erklärung für meine Nichtbeteiligung
an
Ihrer Enquete schuldig zu sein glauben (ich bin ja keineswegs dieser Ansicht), so
habe ich gegen die Veröffentlichung dieses Briefes nichts einzuwenden – natürlich
nur
einer vollständigen Veröffentlichung, da einzelne Sätze
immer leicht mißverstanden werden können.
Mit verbindlichstem Dank für Ihre freundliche Einladung und in vorzüglicher
Hochachtung