Ein Brief Arthur Schnitzlers an eine Nürnbergerin, 29. 10. 1931

Ein Brief Arthur Schnitzlers an eine Nürnbergerin
Gar mancher, der Schnitzlers »Anatol« gelesen hat, wunderte sich über die den 7 modernen Szenen vorausgeschickte Einleitung von Loris Hofmannsthal, die, als reines Rokokostimmungsbild, so wenig zu diesen realistischen Begebenheiten aus unseren Tagen zu passen scheint. Dies Problem beschäftigte auch vor vielen Jahren eine jugendliche Verehrerin des Dichters und – ungeniert wie die Jungen nun einmal sind – setzte sie sich hin und fragte bei Schnitzler ganz einfach nach den Motiven dieser Zusammenstellung an, die sie sich trotz allen Grübelns nicht erklären könne. Hier die postwendend eingelaufene, eigenhändig geschriebene Antwort, die hiemit zum ersten Male veröffentlicht wird:

 

Verehrtes Fräulein, grübeln Sie nicht weiter. Der Zusammenhang zwischen dem Einleitungsgedicht von Loris und den sieben Szenen des Anatol ist ein ganz loser, in einer Stimmung begründeter. Vielleicht könnte man sagen: wenn der Anatol vor 100 Jahren geschrieben worden wäre sollte man ihn in den von Loris gedichteten Angaben spielen. Aber auch das ist schon zu grob ausgedrückt und daher kaum wahr. Vielleicht würden Sie auch einen Zusammenhang spüren, wenn Sie sich einmal in Schönbrunn, dem Park bei Wien, auf eine der steinernen Bänke setzten und beispielsweise »Agonie« läsen. Aber wenn Sie einmal auf so einer Bank sitzen werden, haben Sie hoffentlich was Gescheiteres zu tun.
Vielmals grüßend
Arthur Schnitzler.
Wien, 18. 12. 1900.

 

Beglückt hob die Empfängerin diesen Brief auf; als sie viele Jahre später einmal nach Wien reiste, da nahm sie den Anatol mit und las, auf einer steinernen Bank im Schönbrunner Park sitzend, den ganzen Band durch. Und obwohl sie keine Dichterin war, spürte sie leise den inneren Zusammenhang zwischen Loris’ Kavalieren des ancien regime und Schnitzlers modernem Helden.