Ein Brief Schnitzlers über den »Reigen«, 21. 2. 1921

Ein Brief Schnitzlers über den »Reigen«.
Mitgeteilt von
Max Epstein.
Vor Jahren, als zuerst die Idee aufgetaucht war, die Szenenreihe des Schnitzlerschen »Reigen« aufzuführen, wollte der Dichter von einer solchen Veranstaltung nichts wissen. Wie Arthur Schnitzler jetzt darüber denkt, hat er durch seine Genehmigung der Aufführung bewiesen. Als es noch keinen Weltkrieg und keine Revolution gab, hat er seine Meinung recht bestimmt zum Ausdruck gebracht.
Der verstorbene Giampietro wollte Schnitzlers »Reigen« mit einer Dame zusammen vorlesen. Er hat es später in beschränktem Umfange tatsächlich getan. Zuerst aber hatte er den Wunsch nach einer mehr öffentlichen richtigen Aufführung. Er wandte sich an einen dem Dichter wohlbekannten Herrn, der Schnitzler Giampietros Bitte unterbreitete. Die wörtliche Antwort Arthur Schnitzlers lautete:
13. 9. 1912.
Sehr geehrter Herr . . . . . . 
Entschuldigen Sie, wenn ich Ihnen erst heute auf Ihr freundliches Schreiben vom 28. August antworte. Die bisherigen Bühnenschicksale des »Reigen« waren folgende: Vor etwa 6–7 Jahren hat der akademisch-dramatische Verein in München drei Szenen daraus, trotz meines Abratens (zu einem Verbot lag kein Grund vor) aufgeführt und wurde daraufhin aufgelöst. Von einem anderen Erfolg der Veranstaltung ist mir nichts bekannt geworden. Einige Zeit später haben die Elf Scharfrichter (München) ohne mein Wissen – ich erfuhr durch Zufall davon – eine Szene aus dem »Reigen« aufgeführt, ich weiß nicht welche; es soll ganz miserabel gewesen sein. Seither sind manche Anträge an mich gelangt. Ich habe mich jedesmal ablehnend verhalten, da ja eine Aufführung dieser zehn Szenen in ihrer wahren Gestalt ein absolutes Ding der Unmöglichkeit wäre, und jede Milderung den Sinn des Ganzen zunichte machen müßte. In der nächsten Zeit soll, wie ich höre, der »Reigen« in Ungarn zur Aufführung kommen. Da dort das Stück ungeschützt ist, so werde ich wohl, um mich nicht aller Rechte a priori zu begeben, durch meinen Vertreter mit den betreffenden Leuten in Verhandlung treten müssen. Meinen prinzipiellen Standpunkt in der Angelegenheit berührt das keineswegs.
Mit verbindlichen Grüßen
Ihr sehr ergebener
Arthur Schnitzler