Stefan Großmann: Der Reigen der Gassenjungen, 26. 2. 1921

Der Reigen der Gassenjungen
In Wien ist Schnitzlers »Reigen« durch Demonstranten aus einem Katholischen Gesellenverein gestört worden. Daraufhin wurde die Aufführung verboten. Arthur Schnitzler schreibt mir darüber:

»Sie haben wohl meine Karte erhalten, in der ich Ihnen sagte, wie sehr mich Ihr parodistischer Dialog amüsiert hat. (Heft 2 des T.-B.) Ich habe vorläufig keine Absicht, mich über den »Reigen« und die sogenannnte Reigen-Affaire in der Öffentlichkeit weiter zu äußern. Von den hiesigen Skandalen, insbesondere von dem gestrigen, werden Sie wohl indeß gelesen haben. Was soll man dazu sagen? Ich käme mir unsäglich komisch vor, wollte ich mit den Abgeordneten Kunschak oder Seipel oder mit dem Schusterlehrling polemisieren, der das Theater stürmt, mit dem begeisterten Ruf: ›Nieder mit dem Reigen! Man schändet unsere Frauen! Nieder mit den Sozialdemokraten!‹ (Es kann übrigens auch ein Stud. med. gewesen sein oder ein Tapezierergehilfe, – wobei meine Sympathie immerhin noch mehr bei dem Tapezierergehilfen ist als bei den Herren Seipel und Kunschak.) Ich habe ja schon einige ähnliche Sachen erlebt, wenn auch in bescheideneren Dimensionen. Erinnern Sie sich nur an den ›Leutnant Gustl‹ und den ›Professor Bernhardi‹. Nach einigen Jahren bleibt von all dem Lärm nichts weiter übrig als die Bücher, die ich geschrieben, und eine dunkle Erinnerung an die Blamage meiner Gegner. In diesem Fall wird es nicht anders sein. Mit herzlichem Gruß
Ihr sehr ergebener
Arthur Schnitzler.«