Dichterische Arbeit und Alkohol
Eine Rundfrage
Mit Einleitung und Nachwort von Dr.
C.
F. van Vleuten
1. Nehmen Sie regelmäßig vor der
künstlerischen Arbeit Alkohol in irgend einer Form zu sich, und welche Wirkungen
schreiben Sie dem zu?
2. Haben Sie, falls Sie nicht
regelmäßig Alkohol vor der Arbeit nehmen, es aber gelegentlich doch einmal getan
haben, dann eine Steigerung oder Hemmung Ihrer Arbeitsleistung beobachtet?
3. Sehr dankenswert wäre eine
Mitteilung Ihres Standpunktes zur Alkoholfrage im allgemeinen, besonders aber Ihrer
Beobachtungen über die Wechselwirkung zwischen Alkohol und Dichtung.
[…]
Zu 1 und 2. Meine persönlichen Erfahrungen über das Verhältnis des Alkohols zum
künstlerischen Schaffen können kaum in Betracht kommen, da ich sehr wenig, im Laufe
des Tages beinah niemals trinke.
Zu 3. Mein allgemeiner Standpunkt zur Alkoholfrage: Abstinenz. Nicht etwa, weil ich
überzeugt wäre, daß die Aufnahme geringer Alkoholmengen notwendiger Weise eine
Schädigung des Organismus mit sich bringen muß, – sondern weil den meisten Menschen
die Fähigkeit mangelt, sich über die physiologischen Grenzen ihrer Alkoholtoleranz (die
Grenzen, jenseits derer die Gefahren für die eigne Person, die Familie, die
Nachkommenschaft, die Mitwelt beginnen) ein sicheres Urteil zu bilden.
Zweifellos verdanken mehrere künstlerische Produkte über Alkoholismus ihrem Schöpfer
die besondere Eigenart, und man möchte sich, wie die Dinge nun einmal stehen, gewisse
dieser Worte nicht aus der Literatur wegdenken; ebenso zweifellos aber ist, daß jeder
der hier in Betracht kommenden Künstler ohne Alkohol seine Gaben höher entwickelt
hätte, da der Alkohol ein Talent wohl zu verändern, aber nie zu steigern vermag.
Was jene andere Wechselwirkung zwischen Alkohol und Dichtung anbelangt, wie sie
z. B. im Trinklied zum Ausdruck kommt, so sind mir die meisten dieser
Erzeugnisse, wie andere literarische Fälschungen des Weltbilds, durchaus widerwärtig,
und ich fühle mich versucht, hochgestimmten Kneipgesängen gegenüber ein bekanntes
französisches Wort zu variieren, indem ich sage: Es genügt, wenn man betrunken ist;
man muß nicht stolz darauf sein.
Wien Dr. Arthur Schnitzler