Tolstoi, [Oktober 1908?, unveröffentlicht]

(Antwort auf eine Rundfrage, nicht eingesandt)
Ich bewundere Tolstois Werke und liebe manche von ihnen; besonders »Krieg und Frieden«, »die Kosaken« und die »Soldatengeschichten«.
Über die kunsttheoretischen und religions-philosophischen Schriften Tolstois kann ich mich kaum äussern, da ich nicht alle und manche nur im Auszug gelesen habe. Doch muss ich gestehen, dass die Ansichten eines Dichters, seine Ideen als solche, mich immer nur in geringem Masse interessiert haben. Ich lebe nämlich in dem sonderbaren Wahn, als wären alle überhaupt möglichen Ideen und damit aber die Fähigkeit, sie auch selbst auszusprechen oder durch die von mir erfundenen Gestalten aussprechen zu lassen, in meiner Seele vorgebildet, so dass auch die neuesten und bizarrsten für mich keine Überraschung zu bedeuten vermögen. |Scheint übrigens nicht der Fall Tolstoi  die relative Gleichgültigkeit aller Ideen, aller theoretischen Erwägungen zu beweisen? Haben ihn seine blasphemischen Ansichten über die Kunst gehindert Kunstwerke hohen Ranges zu schaffen? Gibt es einen einzigen Menschen, den Tolstoi von Shakespeare oder von Tolstoi selbst abwendig gemacht hätte? Was mir einen Dichter wert macht sind immer die Gestalten, die er in sich trägt, und der Rhythmus, in dem er sie erscheinen und walten lässt. Von Allen, die in diesen Tagen leben, gibt es Keinen, dessen Gestalten lebendiger gewandelt und dessen Rhythmus gewaltiger getönt hätte als der Dichter Tolstoi.