[Über Gustav Mahler], August 1910

Gustav Mahler. Ein Bild seiner Persönlichkeit in Widmungen
[…]
Von allen Musikern, die heute schaffen – und manche von ihnen sind mir wahrhaft wert – , hat keiner mir mehr gegeben als Gustav Mahler, – Freude und Ergriffenheit, wie ich sie nur den Größten verdanke. Mir über die letzten Ursachen starker künstlerischer Erlebnisse ästhetisch-kritische Rechenschaft abzufordern, habe ich kaum je den Drang verspürt, – und aussichtsloser noch als anderswo dünkt mich solches Beginnen dem Tongebild gegenüber, dessen Urgesetze in die starren Wurzeltiefen mathematischer Formeln gegründet sind und dessen letzte Wirkungen innerhalb der fernsten, im Metaphysischen verschwimmenden Grenzen sich entscheiden. Mir bleibt also – was oft auch pedantischeren Genießern als letzte Ausflucht winkt – nichts andres übrig als meinem eingeborenen Gefühle zu vertrauen, – und zu danken, wo ich empfangen habe. Es ist ein schönes Bewußtsein, solchen Dank an einem Tage aussprechen zu dürfen, der, an Hoffnungen womöglich noch reicher als an Erfüllungen, die Höhe eines begnadeten Künstlerdaseins bedeutet. –
Zum 7. Juli 1910.
Arthur Schnitzler