Ein Ehrenbeleidigungsproceß, 23. 2. 1901

Ein Ehrenbeleidigungsproceß.
Wir berichteten im gestrigen Abendblatte über den Beginn des Schwurgerichtsprocesses über die Ehrenbeleidigungsklagen, die von dem Schriftsteller und Theaterkritiker Hermann Bahr sowie dem Director des Deutschen Volkstheaters Emerich v. Bukovics gegen den Redacteur der »Fackel«, Carl Kraus, erhoben worden waren. Die Verhandlung währte bis zum Abend und wird erst heute zu Ende geführt werden. Die Veranlassung zu dem Proceß gaben bekanntlich zwei Artikel, in welchen Herrn Bahr vorgeworfen wurde, daß er sich von Director Bukovics durch einen geschenkten Baugrund habe bestechen lassen; ferner wird Herrn v. Bukovics Ehrenwortbruch gegenüber einem Autor zum Vorwurfe gemacht. Die Verhandlung begann mit der Vernehmung des Angeklagten zu dem zuletzt angeführten Anklagepunkt. Kraus bekannte sich als Verfasser des Artikels, erklärte sich nichtschuldig und bot hiefür den Beweis an. […]
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Weitere Zeugenvernehmungen.
Der Präsident verliest hierauf die Zeugenaussage des Directors des Deutschen Theaters in Berlin, Otto Brahm. Dieser sagt aus, es sei bei ihm ein Stück Hermann Bahr’s eingereicht worden. Da es zur Aufführung nicht angenommen wurde, habe Bahr keine weiteren Annäherungsversuche gemacht.
Es wird zur Vernehmung des Zeugen Dr. Arthur Schnitzler geschritten. Er gibt an, 38 Jahre alt, in Wien geboren und hieher zuständig zu sein, von Beruf Arzt und Schriftsteller.
Präs.: Erinnern Sie sich, Herr Zeuge, für Herrn Bahr mit dem Deutschen Theater in Berlin in Verbindung getreten zu sein?
Zeuge: Ja, ich habe Herrn Brahm im December 1896 ein Stück von Bahr geschickt, das »Tschapperl«. Wir wußten Beide, daß die Chancen für die Annahme dieses Stückes keine besonders günstigen sind.
Präs.: Die Berliner können schon den Titel nicht aussprechen. (Heiterkeit.)
Zeuge: Herr Brahm hat sich geäußert, daß das Stück zur Annahme nicht geeignet sei. Von der Angabe von Gründen könne er umso eher absehen, als das Stück nicht direct eingereicht worden sei. Dies habe ich dem Herrn Bahr mitgetheilt. Ich weiß allerdings nicht, ob mündlich oder schriftlich.
Präs.: Haben Sie später noch einmal intervenirt?
Zeuge: Ich kann mich nicht erinnern, mit Bahr darüber noch einmal gesprochen zu haben, außer in den letzten Tagen, wo wir über diesen Proceß gesprochen haben.
Präs.: Haben Sie, Herr Zeuge, gehört, daß Herr Bahr außer diesem Falle noch einmal mit dem Deutschen Theater verhandelt hätte?
Zeuge: Absolut nicht.
Dr. Harpner (zum Zeugen): Sie hatten wohl die Ansicht, daß das Stück kaum angenommen werden würde. Nicht wahr, es hat sich hier um eine Art Versuch gehandelt?
Zeuge: Ja, ja! So war es auch.
Präs.: Waren Sie also über die Ablehnung so erstaunt?
Zeuge: Nein!
Dr. Harpner: Wenn Sie nun hören, daß Herr Bahr vier Jahre nach diesem Vorfall das Deutsche Theater ungünstig beurtheilt haben soll, glauben Sie, daß es irgend einen Sinn hat, vorauszusetzen, Bahr habe sich dafür rächen wollen, daß sein Versuch mit dem »Tschapperl« mißlungen sei?
Zeuge: Ich bin überzeugt, daß dies nicht der Fall war; ich bin absolut überzeugt davon.
Angekl.: Ich finde es sehr komisch, daß Herr Bahr ein Stück eingereicht haben soll, in der Hoffnung, daß man es ablehnen werde. Die Feindseligkeit Bahr’s gegen Brahm bestand ja auch schon früher, schon aus der Zeit der Gründung der Freien Bühne, sie wurde nur verschärft durch diese Ablehnung. Auch ich habe das Deutsche Theater angegriffen, es aber nicht zu Gunsten des Deutschen Volkstheaters herabgesetzt.
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