Adolf von Sonnenthals Briefwechsel
[…]
Sonnenthal an Arthur Schnitzler.
Mein lieber junger Freund!
Die unfreiwillige Muße, die mir eine heftige Angina auferlegte, benutzte ich, um
Ihren »
Anatol«
1 durchzulesen. Ich habe ihn auch von der ersten bis zur letzten Zeile
durchgelesen und ich habe mich durchgeärgert durch alle Leidensstationen dieses
Calvarienbergs, auf dem Sie Ihr heiliges, Ihnen von Gott gegebenes Talent selbst ans
Kreuz schlugen! Pfui Judas! – –
Es sind sehr harte Worte, die ich Ihnen da sage, aber fürs erste berechtigt mich
meine langjährige Freundschaft zu Ihrem Hause dazu, und dann,
weil Sie wirklich ein begabter talentirter Mensch sind und weil ich selbst unter dem
schmutzigen, glimmernden, gleißenden Quarz das Edelmetall Ihres Talentes strahlend
hervorleuchten sah. – Ich spreche nicht mehr von Eurer sogenannten »realistischen«
Richtung – ich habe mir einmal darüber in
Berlin
das Maul verbrannt und die Horde fiel wie wahnsinnig über mich her. Ich ließ sie
bellen – die Sache hat sich überlebt oder, wie Sie selbst es pathologisch viel
prägnanter bezeichnen würden, sie liegt in der Agonie, und darum thäte es mir weh,
wenn Sie in der letzten Stunde noch von dem Leichengift inficirt würden.
Reißen Sie sich kräftig heraus, wie es
Fulda
getan – auch er glaubte dem Moloch »Realismus« sein Opfer bringen zu müssen und
schrieb die »
Sklavin«, die seinen Dichternamen
beinahe geopfert hätte; da stürzte er sich kopfüber in das heilbringende Bad der
Poesie und schuf ein reizendes hochpoetisches Werk, »
Der Talisman«, der ihm selbst hoffentlich auch ferner ein Talisman bleiben
wird, und Euch Jüngeren Allen ein kräftiger Sporn, Eure Lorbeeren nur in dem keuschen
Tempel der Poesie zu suchen. Und ist
Wilbrandt
mit seinem »
Meister von Palmyra« nicht der
schlagendste Beweis? und doppelt schlagend, weil er ja auch, wenn er’s sein will und
die Dichtung es erfordert, sehr realistisch sein kann; allerdings nicht in Eurem
Sinne – gemein ist er nie gewesen und wird es nie sein aus dem einfachen Grunde, weil
er es eben nicht sein kann, weil seine edle Künstlernatur sich dagegen auflehnen
würde.
And nun, lieber Arthur, verzeihen Sie mir die etwas lange und etwas harte Epistel,
aber ich mußte mich einmal lossprechen. Und daß ich es gerade Ihnen sage? weil es
schade um Ihr wirklich reizendes, schönes Talent wäre und – weil Sie schließlich der
Sohn meines
Freundes
sind.
Herzliche Grüße von Ihrem treu ergebenen
A. Sonnenthal.
Arthur Schnitzler an
Sonnenthal.
Verehrter Herr von
Sonnenthal!
Wie unendlich werthvoll mir jedes Wort von einem Manne ist, der mir, seit ich
überhaupt für Kunst zu empfinden vermag, als einer der größten und tiefsten Künstler
erschienen ist brauche ich Ihnen das noch zu sagen? Und so nehme ich Ihr Lob mit
stolzem und innigem Dank entgegen und will Ihren Tadel mit Ernst erwägen.
Was ich schon heute sagen darf, ist, daß ich in manchen prinzipiellen Fragen weniger
weit von Ihnen, hochverehrter Herr, entfernt bin, als Sie nach dem
Buch, das Ihnen so viel Unmuth erregt hat,
anzunehmen scheinen; doch will ich Sie hier mit meinen theoretischen Anschauungen
nicht ermüden. Ich bitte Sie jedoch, mir zu glauben, daß jenes Buch (es mag ein
mißlungenes, vielleicht ein widerwärtiges sein) ganz bestimmt ein ehrliches Buch ist,
in welchem keine Zeile steht, die irgend einer Tendenz oder irgend einer »Richtung«
zu Liebe anders niedergeschrieben als empfunden und entworfen wurde. Ich möchte nicht
Anatol sein – aber ich kann
durchaus nicht bedauern, einige Plaudereien geschrieben zu haben, in welchen dieser
Herr vorkommt. Wenn die Grenzen meines Wesens mit den inneren Erlebnissen und
Resultaten jenes
Buchs
umschrieben wären, so thäte mir das selber leid, aber ich hoffe, den Beweis weiterer
Grenzen erbringen zu können, und werde sehr glücklich sein, wenn dann Sie selbst,
hochverehrter Herr, diesen Beweis nicht für fehlgeschlagen erklären sollten.
Ich will gleich hier die herzlichsten Glückwünsche anläßlich Ihres Geburtsfestes
beifügen. Sie, verehrtester Herr, gehören zu jenen Menschen, an die sich meine
höchsten und unvergeßlichsten künstlerischen Erinnerungen knüpfen; und es ist sehr
erfreulich, dafür einmal aus tiefster Seele danken zu dürfen. Dieser Bewunderung für
den unvergleichlichen Künstler gesellt sich bei mir noch die ehrfurchtsvolle
Sympathie für den besten und liebenswürdigsten der Menschen bei, deren Ausdruck
gütigst entgegenzunehmen ich mittelst dieser Zeilen bitten möchte.
In dankbarer und bewundernder Hochschätzung
Ihr sehr ergebener
Dr. Arthur Schnitzler.
[…]
Arthur Schnitzler an
Sonnenthal
Hochverehrter Herr von
Sonnenthal!
Zum heutigen Tag gratulire ich Ihnen von ganzem
Herzen. Meine Dankbarkeit als Autor, so aufrichtig und lebhaft sie ist, geht heute,
noch tiefer als sonst, unter in den beglückten Erinnerungen an das viele hohe,
unvergeßliche, das Sie uns seit vielen Jahren – es sind noch immer viel zu wenige
—
gegeben haben.
»
Einer der uns vorspielen kann, was
er will, ist doch mehr als wir Alle« — sagt der Herzog von Cadignan, den Sie
als Henri (leider nicht oft genug) totgestochen haben.
2
Bleiben Sie doch noch lange, verehrter Meister, der Unvergleichliche, dessen Kunst
wir bewundern und lieben – der, der Sie sind – »mehr als wir Alle!«. . .
Ihr
Arthur Schnitzler.