Briefe an Adolf von Sonnenthal, [Oktober 1911]

Adolf von Sonnenthals Briefwechsel
[…]
Sonnenthal an Arthur Schnitzler.
Wien, 16. Dezember 1892.
Mein lieber junger Freund!
Die unfreiwillige Muße, die mir eine heftige Angina auferlegte, benutzte ich, um Ihren »Anatol«1 durchzulesen. Ich habe ihn auch von der ersten bis zur letzten Zeile durchgelesen und ich habe mich durchgeärgert durch alle Leidensstationen dieses Calvarienbergs, auf dem Sie Ihr heiliges, Ihnen von Gott gegebenes Talent selbst ans Kreuz schlugen! Pfui Judas! – –
Es sind sehr harte Worte, die ich Ihnen da sage, aber fürs erste berechtigt mich meine langjährige Freundschaft zu Ihrem Hause dazu, und dann, weil Sie wirklich ein begabter talentirter Mensch sind und weil ich selbst unter dem schmutzigen, glimmernden, gleißenden Quarz das Edelmetall Ihres Talentes strahlend hervorleuchten sah. – Ich spreche nicht mehr von Eurer sogenannten »realistischen« Richtung – ich habe mir einmal darüber in Berlin das Maul verbrannt und die Horde fiel wie wahnsinnig über mich her. Ich ließ sie bellen – die Sache hat sich überlebt oder, wie Sie selbst es pathologisch viel prägnanter bezeichnen würden, sie liegt in der Agonie, und darum thäte es mir weh, wenn Sie in der letzten Stunde noch von dem Leichengift inficirt würden.
Reißen Sie sich kräftig heraus, wie es Fulda getan – auch er glaubte dem Moloch »Realismus« sein Opfer bringen zu müssen und schrieb die »Sklavin«, die seinen Dichternamen beinahe geopfert hätte; da stürzte er sich kopfüber in das heilbringende Bad der Poesie und schuf ein reizendes hochpoetisches Werk, »Der Talisman«, der ihm selbst hoffentlich auch ferner ein Talisman bleiben wird, und Euch Jüngeren Allen ein kräftiger Sporn, Eure Lorbeeren nur in dem keuschen Tempel der Poesie zu suchen. Und ist Wilbrandt mit seinem »Meister von Palmyra« nicht der schlagendste Beweis? und doppelt schlagend, weil er ja auch, wenn er’s sein will und die Dichtung es erfordert, sehr realistisch sein kann; allerdings nicht in Eurem Sinne – gemein ist er nie gewesen und wird es nie sein aus dem einfachen Grunde, weil er es eben nicht sein kann, weil seine edle Künstlernatur sich dagegen auflehnen würde.
And nun, lieber Arthur, verzeihen Sie mir die etwas lange und etwas harte Epistel, aber ich mußte mich einmal lossprechen. Und daß ich es gerade Ihnen sage? weil es schade um Ihr wirklich reizendes, schönes Talent wäre und – weil Sie schließlich der Sohn meines Freundes sind.
Herzliche Grüße von Ihrem treu ergebenen
A. Sonnenthal.
Arthur Schnitzler an Sonnenthal.
Wien, 19. Dezember 1892.
Verehrter Herr von Sonnenthal!
Wie unendlich werthvoll mir jedes Wort von einem Manne ist, der mir, seit ich überhaupt für Kunst zu empfinden vermag, als einer der größten und tiefsten Künstler erschienen ist brauche ich Ihnen das noch zu sagen? Und so nehme ich Ihr Lob mit stolzem und innigem Dank entgegen und will Ihren Tadel mit Ernst erwägen.
Was ich schon heute sagen darf, ist, daß ich in manchen prinzipiellen Fragen weniger weit von Ihnen, hochverehrter Herr, entfernt bin, als Sie nach dem Buch, das Ihnen so viel Unmuth erregt hat, anzunehmen scheinen; doch will ich Sie hier mit meinen theoretischen Anschauungen nicht ermüden. Ich bitte Sie jedoch, mir zu glauben, daß jenes Buch (es mag ein mißlungenes, vielleicht ein widerwärtiges sein) ganz bestimmt ein ehrliches Buch ist, in welchem keine Zeile steht, die irgend einer Tendenz oder irgend einer »Richtung« zu Liebe anders niedergeschrieben als empfunden und entworfen wurde. Ich möchte nicht Anatol sein – aber ich kann durchaus nicht bedauern, einige Plaudereien geschrieben zu haben, in welchen dieser Herr vorkommt. Wenn die Grenzen meines Wesens mit den inneren Erlebnissen und Resultaten jenes Buchs umschrieben wären, so thäte mir das selber leid, aber ich hoffe, den Beweis weiterer Grenzen erbringen zu können, und werde sehr glücklich sein, wenn dann Sie selbst, hochverehrter Herr, diesen Beweis nicht für fehlgeschlagen erklären sollten.
Ich will gleich hier die herzlichsten Glückwünsche anläßlich Ihres Geburtsfestes beifügen. Sie, verehrtester Herr, gehören zu jenen Menschen, an die sich meine höchsten und unvergeßlichsten künstlerischen Erinnerungen knüpfen; und es ist sehr erfreulich, dafür einmal aus tiefster Seele danken zu dürfen. Dieser Bewunderung für den unvergleichlichen Künstler gesellt sich bei mir noch die ehrfurchtsvolle Sympathie für den besten und liebenswürdigsten der Menschen bei, deren Ausdruck gütigst entgegenzunehmen ich mittelst dieser Zeilen bitten möchte.
In dankbarer und bewundernder Hochschätzung
Ihr sehr ergebener
Dr. Arthur Schnitzler.
[…]
Arthur Schnitzler an Sonnenthal
Wien, 20. Dezember 1904.
Hochverehrter Herr von Sonnenthal!
Zum heutigen Tag gratulire ich Ihnen von ganzem Herzen. Meine Dankbarkeit als Autor, so aufrichtig und lebhaft sie ist, geht heute, noch tiefer als sonst, unter in den beglückten Erinnerungen an das viele hohe, unvergeßliche, das Sie uns seit vielen Jahren – es sind noch immer viel zu wenige — gegeben haben.
»Einer der uns vorspielen kann, was er will, ist doch mehr als wir Alle« — sagt der Herzog von Cadignan, den Sie als Henri (leider nicht oft genug) totgestochen haben.2
Bleiben Sie doch noch lange, verehrter Meister, der Unvergleichliche, dessen Kunst wir bewundern und lieben – der, der Sie sind – »mehr als wir Alle!«. . . 
Ihr
Arthur Schnitzler.
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    »Anatol«, eine Folge von vier Einaktern, eines der ersten Jugendwerke Schnitzlers.
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    Im »Grünen Kakadu«, Groteske in einem Akt von Arthur Schnitzler.
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    »Anatol«, eine Folge von vier Einaktern, eines der ersten Jugendwerke Schnitzlers.
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    Im »Grünen Kakadu«, Groteske in einem Akt von Arthur Schnitzler.