–rm–: Wiener Brief. [Der Verschwender am Burgtheater], 21. 12. 1899

– [Wiener Brief.] Man schreibt uns aus Wien vom 20. ds.: So wie neulich der »Prinz von Homburg« weniger wegen Kleist als wegen Kainz, so wurde am Sonntag der »Verschwender« beinahe gar nicht wegen Raimund, aber ganz besonders wegen Kainz im Burgtheater aufgeführt. So danken wir dem großen Schauspieler außer dem Vergnügen, das uns seine Leistungen im Allgemeinen bereiten, die Wiederaufnahme von bedeutungsvollen und dadurch das allmähliche Verschwinden von schlechten Stücken aus dem Repertoire. Man weiß, daß die Wiener Hofbühne an schlechten Stücken mit der Zeit sehr reich geworden ist. Das liegt daran, daß mancher Schauspieler und manche Schauspielerin aus der vorigen Generation ihre Glanzrollen in Schauspielen – der vorigen Generation haben und daß bei Feststellung des Spielplans auch auf diese sentimentalen Motive, (nicht ausschließlich aus Sentimentalität) Rücksicht genommen werden muß. Was nun den Valentin des Herrn Kainz anbelangt, so war es eine Leistung, der das Beste fehlte: die Echtheit. Wir sahen verdünnten Girardi. Die »goldenen Herzen« sind unseres königlichen Hamlet Sache nicht. Wir werden ihm die Gütigkeit glauben, weil das die Güte ist, die sich herabläßt, wie die Gutmüthigkeit, weil es die Güte ist, die zuweilen lächerlich ist. Es gibt Gestalten eines anderen Wiener Meisters, für deren Verkörperung Kainz wie geschaffen ist, eines Dichters, der bisher im Repertoire des Burgtheaters gefehlt hat: Nestroys. Er hat Figuren geschaffen, die vielleicht weniger wohlthuend wirken als Valentin, der Vortreffliche, aber die nicht minder wahr und nicht minder wienerisch sind. Auf den Lumpazivagabundus wollen wir meinetwegen verzichten, aber Kampl, den Zerrissenen, würden wir mit Freuden begrüßen und Kainz sei sein Prophet. Wiener Possen im K. u. K. Hofburgtheater? rasen manche mit Schrecken. Gewiß. Wir sind nicht so stolz als das Burgtheater sein sollte.
–rm–