Vorlesungen
[…]
I.
Das Wort, sie sollen es lassen stahn [Mit Vorbemerkung]. – In eigenster Sache.
II. Aus:
Kralikstag (Einleitung). – Szenen: Die
Cherusker in
Krems / Elfriede Ritter und die
Reporter. – Die vornehmsten Gäste aus der Kulturstadt
Wien /
Großmann daheim. –
Reklamefahrten zur Hölle. – Im Untergang.
Vorbemerkung:
Ein Aufsatz, geschrieben ein Jahr, bevor die Presse zu jenem Kreuze kroch und die
Justiz ihren Segen dazu gab.
Auf dem Programm:
Dem Grabsteinfonds sind zugeflossen: . . . . = K 2,635.500 und
č K 170.
Das bisherige Ergebnis – neben zwei Millionen Kronen aus dem Ertrag einer Vorlesung
nur eine aus der unmittelbaren Beteiligung des Publikums – ist beschämend dürftig
und
recht eigentlich der Tatsache angemessen, daß das Ehrengrab
Peter Altenbergs so lange durch kein sichtbares Zeichen zu
erkennen
| gibt, wer darin ruht. Daß die Leute, die sich Künstler nennen,
wenigstens zu diesem edlen Zweck etwas beisteuern könnten, kommt ihnen gar nicht in
den Sinn. Die Kreuze in der nichtswürdigsten Tagespresse geben Zeugnis davon, wie
viel sie der irdische Ruhm täglich kostet. Ein winziger Bruchteil, an dessen
schmutzigen Verwaltern erspart, würde hinreichen, um dem Andenken eines
Dichters, der freilich
lebendiger ist als ihrer aller Gegenwart, die äußere Ehre zu erweisen. Der Vorleser
spricht die Erwartung aus, daß das Publikum nun durch regere Teilnahme wettmachen
wird, was es selbst und was die armseligen Kunsttreibenden dieser Stadt bisher
versäumt haben. Er müßte sonst, da die Kosten eines Grabsteines viel höher sind als
das bisherige Ergebnis der Sammlung, weitere Vorlesungserträgnisse aufwenden, welche
dann der Fürsorge für ein hungerndes und frierendes Leben entzogen wären. Ganz
nebenbei aber und zur Gelegenheit des 60. Geburtstages
Gerhart Hauptmanns sei bemerkt, daß er besser getan hätte, anstatt einer Welt, die das freilich
so haben will, das allen einstigen Spuren von Echtheit hohnsprechende Schauspiel zu
bieten dieser unermüdlichen Willfährigkeit, sich feiern zu lassen – daß es ihm wohl
angestanden hätte, wenigstens einer einzigen dieser tausend Freß- und Preßorgien
zugunsten der wie eh und je hungernden
Weber abzuwinken. Auch könnte gerade er sich des
Altenberg-Grabes erinnern, der ja das Genie des
Mannes früh genug erkannt hat. Wenigstens ist dies durch ein in meinem Besitz
befindliches Schreiben beglaubigt, das den folgenden Wortlaut hat:
gestern sprach ich mit
Gerhart Hauptmann, der sich über Ihr Buch in
unendlich sympathischer Weise äußerte und unter anderm sagte,
seit Jahren habe kein
Buch einen so starken Eindruck auf ihn gemacht als das Ihre.
Da diese Bemerkung für Sie interessant sein dürfte und sie sonst kaum
an Sie gelangen könnte, fühle ich mich in gewissem Sinne angenehm verpflichtet, sie
Ihnen mitzuteilen.
Mit bestem Gruß Ihr ergebener
Ganz in diesem Sinne will ich (wenn der Autor des Schreibens binnen acht Tagen keinen
Einspruch erhebt) es als Autogramm verkaufen, um wenigstens auf diese Weise die
deutsche
| Literatur zur Errichtung eines Grabsteines für Peter Altenberg
heranzuziehen. Der Wert des Autogramms ist allerdings beträchtlich erhöht durch eine
Randnotiz
Peter Altenbergs, der die
ihm widerfahrene literarische Weihe mit den Adressen eines Nachtcafés und offenbar
einer von dessen Besucherinnen quittiert hat – eine
Altenberg-Reaktion, um derentwillen ich vor so viel Jahren mir das
Doppelautogramm von ihm erbat, das der unheimliche Zufall gerade im Jahr der
Grabsammlung und der sechzigsten Geburtstage auffinden half. Wenn ich noch erwähne,
daß dieser Sachverhalt durch eine handschriftliche Bemerkung von mir festgestellt
ist, so dürfte dem Wert des Schriftstücks und dem guten Zweck, dem er bestimmt ist,
keine Einbuße drohen. Es kann im Ernst nicht angenommen werden, daß die beiden
Dichter, die ja der
lauteren irdischen Huldigung teilhaft wurden, etwas dagegen einzuwenden haben, daß
mit diesem echten
Altenberg-Dokument auf echte
Altenberg-Art dazu beigetragen werde, daß
sein Grab zu der würdigsten und selbstverständlichsten aller Ehren kommt.
[…]
Auf der Rückseite des Programms:
Dem Grabsteinfonds sind zugeflossen: . . . . = K 3,130.500,
č K 170 und M 500.
30. 11. 1922.
Sehr geehrter Herr
Lányi.
Aus dem mir freundlichst übersandten Programm der Vorlesung
Karl Kraus am
26. November 1922 entnehme ich,
daß
Karl Kraus sich im Besitze eines Briefes
von meiner Hand befindet, in dem ich am
29. Oktober 96 Peter Altenberg eine Äußerung
Gerhart Hauptmanns über ihn, gleich ehrenvoll für beide, zur
Kenntnis brachte; und erfahre ferner, daß
Karl
Kraus diesen meinen Brief zu Gunsten des Fonds zur Errichtung eines
Grabsteines für
Peter Altenberg zu verkaufen
beabsichtigt, falls ich binnen acht Tagen keinen Einspruch erheben sollte.
Karl Kraus hat einen solchen Einspruch gewiß
nicht ernstlich befürchtet und wird nicht einmal sonderlich überrascht sein, wenn
ich
selbst als Kauflustiger mich zu melden hiemit so frei bin, – und zwar mit einem Anbot
von 250.000 Kronen, die ich durch die Postsparkasse der
Buchhandlung Richard Lányi überweise.
Mag es auch fraglich erscheinen, ob
Karl Kraus
berechtigt war ein Privatschreiben von mir ohne meine vorherige Genehmigung
abzudrucken oder vorzulesen und zu einer eventuellen Feilbietung dieses meines
Schreibens sich mit meiner nachträglichen oder gar mit einem Schweigen meinerseits
begnügen zu wollen (wenn er auch allen Grund hatte mein Einverständnis zu
Veröffentlichung und Verkauf als selbstverständlich vorauszusetzen) – so wenig denke
ich daran ihm das unbeschränkte Verfügungsrecht über den erzielten Kaufpreis
abzusprechen. Trotzdem – und ich glaube damit nicht nur im Sinne des großen lebenden
Dichters vorzugehen, dessen Äußerung ich festgehalten, sondern auch im Geist des
großen toten
Dichters, dem
ich sie zur Kenntnis gebracht hatte – trotzdem gestatte ich mir dem augenblicklichen
Eigentümer meines Schreibens in aller Bescheidenheit den Vorschlag zu unterbreiten,
ob er nicht – entgegen seiner ursprünglichen edeln Absicht, den Erlös für mein
Autogramm dem Fonds zur Errichtung eines Grabsteines für
Peter Altenberg zuzuführen (von dessen Existenz, des Fonds
nämlich, mir übrigens bis
| zum heutigen Tage nichts bekannt war und auf dessen
Gründung der praktische Philosoph und Durchschauer menschlicher Eitelkeiten kaum sonderlichen Wert gelegt haben dürfte) –
diese Summe einem meines Erachtens noch edleren und jedenfalls nützlicheren Zwecke,
–
nämlich der
Österreichischen Künstlerhilfe
zuzuwenden sich entschließen möchte; wie er es so oft mit anderen, höheren, aus
eigenem Schaffen stammenden Beträgen zu tun pflegt.
Sollte jedoch auf mein Autogramm ein höheres Anbot erfolgen als das meine (was mir
trotz der eigenhändig an den Rand geschriebenen Notiz
Peter Altenbergs unwahrscheinlich dünkt, da im Laufe des
seither vergangenen Vierteljahrhunderts sowohl die Adresse des Nachtkaffeehauses als
auch die vermutliche Adresse der Besucherin jenes Nachtkaffeehauses an aktuellem
Interesse und praktischer Verwendbarkeit allzuviel eingebüßt haben dürften) – so
ziehe ich natürlich mein Anbot zu Gunsten jenes höheren zurück, nicht aber die der
Buchhandlung Lányi überwiesene Summe von
250.000 Kronen, die ich in diesem Falle ohneweiters der
Österr. Künstlerhilfe zur Verfügung zu stellen bitte.
Mit vorzüglicher Hochachtung
2. 12. 1922.
Hochgeehrter Herr Doktor!
Mit dem besten Dank für Ihr sehr freundliches Schreiben vom
30. 11., das
ich Herrn
Karl Kraus übermittelt habe, beehre
ich mich Ihnen mitzuteilen, daß nach meinem Dafürhalten das autographische Dokument
–
mit drei Handschriften und dem Urteil
Gerhart
Hauptmanns – einen noch weit höheren Wert als die freundlich übersandten
250.000 Kronen hat, für deren gütige Spende ich Ihnen, auch im Namen des Herrn
Karl Kraus, in jedem Falle herzlich danke. Es
kann ja wohl nicht angenommen werden, daß jene praktische Unverwendbarkeit der von
Peter Altenberg eigenhändig hinzugesetzten
und heute veralteten Adressen, von der Sie scherzhaft sprechen, dem Wert des
Schriftstücks Abbruch tue, zu dessen Erhöhung überdies, was Sie, hochgeehrter Herr
Doktor, übersehen haben, auch die
| handschriftliche Bestätigung des
augenblicklichen Eigentümers nicht unerheblich beiträgt. Mit vollem Recht aber
bemerken Sie, daß dieser Ihren Einspruch nicht ernstlich befürchtet hat, vielmehr
allen Grund hatte, Ihr Einverständnis zur Veröffentlichung (die übrigens nur durch
das Programm und nicht durch eine Vorlesung erfolgt ist) und zum Verkauf eines
Briefes als selbstverständlich vorauszusetzen, der ja seinem Inhalte nach kaum als
»Privatschreiben« aufgefaßt werden könnte. Hätte er mit der Förmlichkeit einer
Anfrage Zeit verloren, so wäre die Gelegenheit, das Publikum seiner Vorträge auf das
Dokument aufmerksam zu machen und eine kräftige Unterstützung der Aktion zu
ermöglichen, versäumt worden. Was Ihren Vorschlag zur Verwendung des von Ihnen
überwiesenen Betrages anlangt, so wird dieser ganz in Ihrem Sinne der »
Österreichischen Künstlerhilfe« gewidmet werden, wenn der
Erlös des dreifachen Autogramms ihn übersteigen sollte.
1 Im andern Falle, wenn also kein höheres Anbot als das Ihre erfolgt, wären
Sie, hochgeehrter Herr Doktor, der Käufer, dem jenes ausgehändigt würde. In diesem
Fall jedoch könnte sich Herr
Karl Kraus nicht
damit einverstanden erklären, den Betrag statt dem Fonds zur Errichtung eines
Grabsteines für
Peter Altenberg der »
Österreichischen Künstlerhilfe« zu überlassen. Ihr
Hinweis, daß er selbst diesem Zwecke höhere, aus eigenem Schaffen stammende Beträge
zuzuwenden pflege, beruht insoferne auf einem Irrtum, als solche Beträge der »
Österreichischen Künstlerhilfe« tatsächlich zu
einer Zeit zugewendet wurden, da die Bestimmung dieser Aktion die
österreichischen Künstler noch nicht als Objekt – was ja wohl
dem Sinn des Wortes besser entsprechen mag –, sondern als Subjekt der Hilfe gemeint,
also bedeutet hat, daß die
österreichischen
Künstler den hungernden
Russen helfen, nicht,
daß ihnen selbst geholfen werde. Auch dies mag nun, wie Sie ganz zutreffend bemerken,
ein nützlicher und edler Zweck sein, deckt sich aber nicht mit der Intention des
Herrn
Karl Kraus, der Menschennot ohne
Rücksicht auf den Beruf der Notleidenden und darauf, daß sie etwa Künstler sind oder
sich dafür halten, abzuhelfen.
| Er würde gewiß nicht zögern, von den Erträgnissen
seiner Vorlesungen auch Künstler zu beteilen, aber keineswegs in Würdigung ihrer
speziellen Tätigkeit oder eines Werts, der sie aus der unübersehbaren Masse des
Elends heraushebt. Da er in dieser allgemeinen Richtung, die nur das gleiche Recht
des Bedürfens anerkennt, seine Pflicht erfüllt, so glaubt er, sie durch die Ehrung
eines so teuren
Dichtergrabes, welche freilich hinter der Achtung vor der Not des Lebens
zurückstehen müßte, nicht zu verkürzen. Es mag wohl sein, daß auch der praktische
Philosoph und Durchschauer menschlicher Eitelkeiten höheren Wert auf jene Pflicht
als
auf die der Pietät gelegt hätte. Immerhin wollen Sie in Erwägung ziehen, daß er
selbst in einer seiner
Skizzen
die Inschrift für sein Grab
bestimmt hat, das bis heute, obschon es, und im wahren Sinne des Wortes, ein
Ehrengrab der Stadt
Wien ist, sogar eines
Kennzeichens entbehren muß.
Mit wiederholtem Dank und in vorzüglicher Hochachtung