Persönliches von
Artur Schnitzler
Von Dr. Kurt Sonnenfeld
Als ich
Artur Schnitzler vor einigen Wochen
nach einer Theatervorstellung ein Stück Weges heimwärts begleiten durfte, sprachen
wir von seinem bevorstehenden sechzigsten Geburtstage. »
Eigentlich fröstelt es mich ein bißchen,« sagte er, »wenn ich an
dieses Datum denke. Die zehn Jahre seit meinem fünfzigsten Geburtstage sind mir
unheimlich schnell vergangen. So greifbar, als ob’s gestern gewesen wäre, sehe ich
den
Mai 1912 vor mir, die herrlichen Frühlingstage in
Brioni. Die folgenden Jahre waren mit
Ereignissen vollgepfropft und trotzdem sind sie so schnell an mir vorübergegangen.
Und so werde ich auf einmal, noch bevor ich’s recht bemerke, siebzig Jahre alt sein. . . . Was waren doch in meiner Jugend zehn Jahre für eine
lange Zeit! Als achtjähriger Bub ging ich in die Volksschule und als achtzehnjähriger
Maturant hatte ich Liebesabenteuer. Aber wenn wir älter werden, so gleiten die Jahre
immer schneller und schließlich spurlos an uns vorüber. . . . «
Sie gleiten wohl auch deshalb so schnell an mir vorüber, hätte
Schnitzler hinzufügen sollen, weil sie bis an den Rand mit
Arbeit gefüllt sind. Von ihm kann man lernen, was Arbeit heißt.
Von der ersten flüchtigen Konzeption, vielleicht auf einsamem
Waldspaziergang empfangen, bis zur endgültigen Niederschrift führt ein weiter Weg,
dessen Etappen man erst ermessen kann, wenn man Entwürfe seiner Manuskripte zu sehen
bekommt und sich davon überzeugt, wie er an jedem Worte feilt und bosselt. Er diktiert seine Arbeiten in die
Schreibmaschine, deren Geklapper ihn trotz seiner
Abneigung gegen Lärm (die Doppeltür seines Arbeitszimmers ist mit schalldämpfenden
Lederkissen gepolstert) durchaus nicht stört.
Ebenso sprichwörtlich wie seine bezaubernde Liebenswürdigkeit ist seine vornehme
Zurückhaltung. Er stellt sich nicht gern auf ein Piedestal, und wie er allen
Geburtstagsfeiern bisher stets aus dem Wege gegangen ist, so ist er vor seinem
sechzigsten Geburtstag ins
Ausland entflohen.
Die strenge Kritik, die er seinem eigenen
Schaffen gegenüber übt, ist daran schuld, daß er einige Arbeiten überhaupt nicht
veröffentlicht hat. Als ich ihm einmal nach dem Erscheinen eines Buches sagte, daß
es
dem bleibenden Bestande der deutschen Literatur angehören werde, lächelte er
skeptisch: »Unsterblichkeit? Davon sprechen wir erst bei der zweiten Auflage. . . . « Seine schöpferische Gestaltungskraft wird von einem
taghellen Verstande beherrscht, der zu seiner Vorliebe für das Zwielicht, für die
Dämmerseelen seltsam kontrastiert.
Ueber die
Frage, ob er nicht für einen Dichter beinahe zu viel Verstand, eine allzu analytische
Veranlagung habe, darüber macht er sich keine Sorgen: »Man kann nie genug Verstand haben. . . . «
Es ist üblich, in seiner ärztlichen Vergangenheit die wichtigste Komponente seines
Wesens zu erblicken. Daß er aber auch ein glänzender Jurist ist, wissen die Theaterdirektoren
und Verleger, mit denen er Verträge abschließt, zu bestätigen. Und wer soviel über
den Tod nachgegrübelt hat wie er, der vermag den philosophischen, den metaphysischen
Trieb nicht zu verleugnen. So kann ihn eigentlich jede Fakultät für sich
reklamieren. . . .
Unter seinen Dichtungen sind ihm einige
sozialkritische Werke, die viel Widerspruch gefunden haben, besonders ans Herz
gewachsen, so »
Leutnant Gustl«, »
Reigen«, »
Professor
Bernhardi«.
Es ist schwer, die Gesinnung eines so komplizierten und in allen Bezirken des Geistes
heimischen Mannes auf eine eindeutige Formel zu bringen.
Schnitzlers Ritterlichkeit läßt ihn immer die Partei der
Unterdrückten ergreifen. So sehr er als Dichter objektiv ist und jeder »Tendenz« aus
dem Wege geht, so ist ihm seine Kunst dennoch oft zur Tribüne geworden und er hat
immer gegen offenkundiges Unrecht mutig Partei ergriffen. Jede Art von Chauvinismus
widerspricht seinem innersten Geschmack. Als während des Krieges irgend ein
literarischer
Industrieritter ein
Interview mit ihm erfand und ihm Worte des Hasses gegen große
französische und
russische
Dichter zuschrieb, die ihm lieb und teuer sind, da hat er dagegen aufs schärfste
protestiert, obwohl eine solche Auflehnung gegen den Chauvinismus damals gewiß nicht
ungefährlich war. Sein
Protest machte dann, von
Romain Rolland
übersetzt, die Runde durch die gesamte internationale Presse und wurde als Kundgebung
des repräsentativen
österreichischen Dichters
überall mit der größten Achtung und Sympathie aufgenommen. Bei späteren Anlässen hat
Schnitzler mit der ganzen Autorität seiner
Persönlichkeit gegen jeden Terror von rechts und links nachdrücklichst Einspruch
erhoben.
Er ist ein wahrer Künstler des Gesprächs, dem er aus den entlegensten Gebieten des
Wissens und aus seiner intimen Kenntnis von Menschen und Dingen immer neue Nahrung
zuströmen läßt. Müßige Brillantfeuerwerke des Geistes liebt er nicht, und er
empfindet sie in seinen frühen Jugendwerken als störend. Starken Worten und Urteilen
geht er keineswegs vorsichtig aus dem Wege, und wie er zu lieben und zu verehren
vermag, so kann er auch hassen und verachten. Wenn er lebhaft spricht, so bedauert
man oft, den unwiderstehlichen Zauber seiner Rede nicht festhalten zu können.
Freilich müßte man dazu, wie einmal ein
Kritiker über den »
Anatol« gesagt hat, eine goldene
Feder in Champagner tauchen. . . .
Seiner Herzensgüte ist es zuzuschreiben, daß er trotz seiner ungeheuren
Arbeitsleistung immer noch die Zeit findet, jungen Schriftstellern mit Rat und Tat
zur Seite zu stehen. Dankbar entsinne ich mich eines persönlichen Erlebnisses. Als
völlig unbekannter, blutjunger Mensch hatte ich ihm einmal mit der Bitte um sein
Urteil ein umfangreiches Manuskript, eine
Wiener
Liebesgeschichte, übersandt, die »Wilder Mohn« hieß und noch dazu – ein erschwerender
Umstand! – in Distichen abgefaßt war.
Schnitzler antwortete mir auf dieses Attentat in einem ausführlichen Briefe,
und er hat sich die Zeit genommen, mich auf jeden holprigen Hexameter, auf jeden
hinkenden Pentameter aufmerksam zu machen und einige Einzelheiten, die ihm gefallen
hatten, in sachlichen Bemerkungen hervorzuheben.
In seiner grüblerischen und halb schwermütigen,
halb ironischen Art beschäftigt sich
Schnitzler
schon seit mehreren Jahren mit dem Problem des alternden Mannes, und aus dieser
Stimmung heraus hat er die Gestalten
Doktor
Gräslers und
Casanovas
geschaffen. Meines Wissens verwahrt er in seiner Schreibtischlade die Skizzen zu
einer
Novelle, in der das Seelenleben des Mannes um die Sechzig noch deutlicher enthüllt
ist. Er weiß genau, wie alt und wie jung man mit sechzig Jahren ist, und ihm
gegenüber wäre es eine nichtssagende Redensart, von der unverwelklichen Jugend seines
Wesens zu sprechen. Jedes Lebensalter hat seinen eigenen Wert und seinen eigenen
Reiz. Auf der Höhe des Lebens, alle Probleme deiner Kunst souverän beherrschend, von
den Besten unter deinen Zeitgenossen bewundert und geliebt, gehst du,
Artur Schnitzler deinen Weg steil aufwärts zu
immer neuen Fernblicken und immer neuen Gipfeln. Daß du ihn in ungebrochener Kraft
noch viele Jahre schreiten mögest, wünschen dir alle, denen du kostbarster
Kulturbesitz bist. Denn
Dir drängt sich Dichtertraum an
Dichtertraum.
So sag’ doch, wie bewältigst du die Last
Der reichen Früchte, die das Auge kaum,
Das schönheitstrunkene, im Blick umfaßt?
So wächst aus reichem Lande ein üppiger Baum,
Dem schwergesegnet prangen Ast an Ast,
Der Wipfel aber ragt hoch aufgerichtet
Wie eines Künstlers Haupt, das träumt und dichtet.
Ob dir dein Schaffen nicht auch Leid beschert
Und ob nicht manchmal leise Müdigkeit
Dem Ueberdrange der Gestalten wehrt?
Wer weiß! . . . Doch triumphiert die Seligkeit
Und macht dich Tausenden beneidenswert,
Wenn aus der Schöpferstunde tiefem Leid
Ein Werk zu freudigem Leben ringt sich los –
Gleichwie das Kind aus seiner Mutter Schoß.