[Felix Cleve]: Arthur Schnitzler und die »Ravag«, 1. 10. 1927

Bekanntlich hat Arthur Schnitzler durch seinen Rechtsfreund Dr. Norbert Hoffmann gegen die »Ravag« eine Klage einbringen lassen, weil im Mai dieses Jahres an einem von der »Ravag« gesendeten literarischen Abend durch den Burgschauspieler Paul Pranger unter anderm drei Novellen  Schnitzlers zum Vortrag gebracht wurden, ohne daß die »Ravag« dem Dichter hiefür Tantiemen gezahlt oder auch nur bei ihm vorher angefragt hätte, ob ihm die Funksendung jener Novellen genehm sei. Nun sollte in der nächsten Zeit ein dramatisches Werk  Schnitzlers in das Repertoire der Radiobühne aufgenommen werden. Schnitzler hat nun in der Annahme, daß der »Ravag« möglicherweise sein Entschluß, sie zu klagen, noch nicht bekannt wäre, ihr hievon Mitteilung machen lassen. Daraufhin ist die »Ravag« von ihrer Vereinbarung, jenes dramatische Werk Schnitzlers aufzuführen, zurückgetreten. Der Dichter hat hievon seinen Rechtsanwalt in einem Schreiben benachrichtigt, in dem es heißt: »Die ›Ravag‹ hat sich stilgerecht benommen. Ich habe ihr loyal durch einen mir befreundeten Theaterverleger mitteilen lassen, daß ich einen Prozeß gegen sie habe anstrengen lassen, und sie schrieb an diesen: ›Es entfällt für uns dann selbstverständlich jede weitere Möglichkeit, Werke eines künftigen Prozeßgegners in das Repertoire aufzunehmen.‹ Auflehnung des geistigen Arbeiters wird mit Aussperrung bestraft!«
Gespräch mit Arthur Schnitzler.
Arthur Schnitzler hat sich einem unserer Mitarbeiter gegenüber wie folgt zu dieser Angelegenheit geäußert: »Es handelt sich mir hiebei keineswegs um die 300 S., wegen deren Nichtbezahlung ich die ›Ravag‹ geklagt habe, um einen Betrag also, auf den ich ebenso wie die ›Ravag‹ leicht verzichten könnte. Es handelt sich mir vielmehr um eine prinzipielle Frage. Ich demonstriere mit diesem Prozeß dafür, daß das geistige Eigentum dem materiellen Eigentum endlich einmal gleichgestellt werde. Es geht nicht an, daß Lücken im Gesetz dazu benützt werden, geistiges Eigentum für vogelfrei zu erklären. Ich will damit dem Publikum zum Bewußtsein bringen, daß geistiges Eigentum auch Eigentum ist. Gesetzt den Fall, daß durch eine Lücke des Gesetzes der Diebstahl von Silberschüsseln oder Winterröcken nicht strafbar wäre, es würde sich zweifellos die Zahl derer, die Winterröcke oder Silberschüssel stehlen und dann die Entscheidung eines Prozesses abwarten, erheblich vermehren.
Die Leiter der ›Ravag‹ spielen sich als Leute auf, die rechtlich vorgehen. Ich sehe in ihrem Verhalten nur den unbeschreiblichen unternehmerischen Machtdünkel. Sie stehen auf dem Standpunkt: wir machen, was wir wollen, solange der geistige Arbeiter gesetzlich nicht geschützt ist. Ich erwarte zuversichtlich, daß die prinzipielle Frage, um die es sich hier dreht, auch bei uns so entschieden werden wird, wie sie in Deutschland nach dem Prozeßkampf, den Gerhart Hauptmann und Hofmannsthal geführt haben, entschieden worden ist, daß also der Urheberschutz auch bei Vorlesungen bereits veröffentlichter epischer und lyrischer Werke eintritt. Ueberhaupt wird endlich einmal das ganze Urheberrechtsgesetz von Grund auf umgekrempelt werden müssen, da es lauter Lücken enthält, weil es eben nicht von dem Prinzip ausgeht, daß Eigentum Eigentum bleibt, ob es sich um geistiges oder materielles handelt, und vielmehr das geistige Eigentum nur ausnahmsweise schützt.
Nebstbei, wenn die ›Ravag‹ zwischen Theateraufführungen und Vorlesungen epischer oder lyrischer Werke unterscheidet, jene bezahlt und diese nicht, so ist diese Unterscheidung schon deshalb hinfällig, weil zwischen Vorlesung und Theateraufführung im Radio ein Unterschied gar nicht existiert. Wer geistiges Eigentum stiehlt, ist genau so verächtlich wie der Dieb materiellen Eigentums. Ja verächtlicher noch, da das Risiko hiebei viel geringer ist, während ein richtiger Dieb sich doch immerhin in eine gewisse Gefahr begibt.«
Der Standpunkt der »Ravag«.
Ein leitender Funktionär der »Ravag« teilt uns mit: »Die ›Ravag‹ hat im Sinne der geltenden österreichischen Gesetze| selbstverständlich alle dramatischen Aufführungen jederzeit voll honoriert nach dem Tantiemensatz, mit dem die jeweiligen Verleger die Werke offeriert haben. Daß da irgendwie der Autor zu kurz komme, davon kann keine Rede sein, denn die Autoren verhandeln gar nicht selbst. Die Auffassungen in bezug auf den Schutz von epischen und lyrischen Werken sind juristisch geteilt. Es handelt sich um eine noch nicht geklärte Streitfrage. Es sind diesbezüglich verschiedene Klagen gegen die ›Ravag‹ eingebracht worden, darunter auch von Dr. Schnitzler. Diese Klagen laufen gegenwärtig. Es ist daher der richtige Weg für die ›Ravag‹ damit gegeben, daß die entsprechenden gerichtlichen Instanzen die Frage studieren, einer Behandlung zuführen und die ›Ravag‹ diese Erledigungen abwartet