Artur Schnitzler an drei Bühnen: Im
Burgtheater,
Volkstheater und an der
Renaissancebühne. – Wie der Dichter arbeitet. – Ein großmütiges
Geschenk.
Artur Schnitzler, der feinsinnige, stille Poet, der in seinem lieben Häuschen zu Füßen der
Sternwarte mit der schönen
Wiener Natur heimliche
Grüße tauscht, wird in dieser seiner Freude gerade jetzt empfindlich, aber durchaus
nicht unangenehm gestört. Drei
Wiener Bühnen rufen
ihn gegenwärtig zur Teilnahme an Probearbeiten: Das
Burgtheater, das seine neueste Dichtung, das
Casanovastück »
Die Schwestern« vorbereitet, das
Deutsche Volkstheater, auf dem vergangene Woche die Einakter
»
Der Puppenspieler«, »
Der grüne Kakadu« und »
Komtesse Mizzi«, und die
Renaissancebühne, auf der (mit
Harry
Walden) die »
Komödie der Worte« in neuer Inszenierung gegeben worden sind. Es ist, als wäre unser
Wiener Dichter neu in Mode gekommen. Gewiß wird
sich Dr.
Schnitzler darüber freuen. Aber wir
könnten darauf wetten: Er läßt sich durch all diese Geschäftigkeit der Theater in
seinem festen Arbeitsplan nicht stören.
Es gibt nämlich wenige Schriftsteller, die mit solcher Regelmäßigkeit dem Tagewerk
des Schaffens obliegen wie
Schnitzler. Des
Morgens ein Spaziergang rings um den
Türkenschanzpark, dann Lektüre, dann nach Tisch ein wenig Ruhe, aber gleich
darauf die Arbeit. Er hat natürlich ein prächtiges Stück von Schreibtisch und einen
bequemen, weichen Lederstuhl davor, aber sie bleiben abseits, wenn der Dichter
schreibt. Da stellt er sich an sein hohes Stehpult, und erst da fließen ihm Verse
und
Prosa leicht aus der Feder. Es vergeht wohl selten ein Nachmittag, an dem
Schnitzler nicht irgend eine Arbeit fortgesetzt
hätte, sei es eine Novelle, sei es ein Drama. Hat er die Sache fertig, so wandert
sie
zunächst in die Lade; dort bleibt sie mindestens drei Wochen liegen. Dann nimmt er
sie wieder heraus und liest die Blätter förmlich als Fremder, mit den Augen des
Kritikers. Da wird das Ding entweder unbarmherzig verworfen oder aber neu geformt.
Jedenfalls auf das eingehendste durchgearbeitet und ausgefeilt. Kein Dialog
irgendeines
Schnitzlerstückes, der nicht zwei
bis dreimal vollkommen umgearbeitet worden wäre! Und erst wenn die letzte Form die
Prüfung des Dichters bestanden hat, wird die Arbeit in die Welt geschickt. . .
Schnitzlers Villa in der
Sternwartestraße hat seit jeher innige Beziehungen zum
Burgtheater unterhalten. Bevor der Dichter dieses
liebliche Haus besessen, war es
Eigentum des Künstlerehepaares
Römpler–
Bleibtreu gewesen. Es bedeutete eine der größten Freuden im Leben des Dichters, als es
ihm vergönnt war, kurz vor seinem
fünfzigsten Geburtstage für seine Familie und sich dieses Heim zu erwerben. Ein Stück Boden,
und wäre es noch so klein, sein eigen zu nennen, war seit jeher ihm ein lieber Traum
gewesen. Im Frühling und Sommer im Freien sein Abendbrot zu nehmen, bereitete ihm
ein
Wohlbehagen ganz besonderer Art. Als er sich noch nicht »zu den Hausherren« zählen
durfte, ging der Dichter oft und oft in irgendeinen der vielen vorortlichen
Gasthofgärten, um dort zu Füßen alter Bäume nach
wienerischer Art zu »schwelgen«. Ein Gulyas, ein Stück Emmentaler, zwei »aufgesprungene« Riesenwecken dazu, und etwas
Bier und einen G’spritzten – welchen Hochgenuß bereitete dieses volkstümliche Menü
dem Dichter!
Und wenn in diesem Gasthausgarten zufällig Volkssänger eine »Soiree« gaben, so hatte
Schnitzler auch nichts dagegen. Er hörte in
heiterer Beobachtung zu und wurde solcherart ein Kenner dieser heute verschwundenen
Welt des ungehobelten Brettels, in der Unbildung und Talent zu wildem Reigen sich
betteten. Wie urdrollig hat er die Gestalten der
Wiener Volkssängerei in der Novelle »
Das
neue Lied« geschildert: den »Kapellmeister« (eigentlich Klavierspieler), der
die »Nr. 1« spielt, die »Ouvertüre«, den Komiker Wiegel-Wagel, der im grünen Frack
»direkt« aus
Afrika auf die Bühne kommt, den
»Musikclown« Jedek, der auf Glasrändern konzertiert, die »Ungarin« Ilka, die
wienerisch magyarembert usw. Man hat diese Gestalten in
Saltens »
Der
Gemeine« wiedergesehen, als wären sie aus
Schnitzlers Novelle gekommen – ähnlich wie der Mann im grünen Frack aus
Afrika, nur nicht ganz so direkt. . . .
Wer hätte je geglaubt, als das erste
Büchlein
von »
Anatol« vorlag, daß diese Gestalt über die
ganze deutsche Bühnenwelt ihren Siegeslauf nehmen werde.
Artur Schnitzler hatte das
Werk noch als Student der Medizin geschrieben. Sein Vater,
der geschätzte Laryngologe Professor Dr.
Johann
Schnitzler, lebte noch in der Hoffnung, sein Sohn
Artur werde ein berühmter Kehlkopfoperateur werden. Während er
darauf schwor, sein jüngerer Sohn werde zu einem großen Dramatiker sich entwickeln.
Richtig ist dieser jüngere Sohn just der heutige bekannte – Operateur Professor Dr.
Julius Schnitzler geworden! . . . Wie kränkte sich der alte Professor, daß sein Sohn
Artur die Medizin weniger liebte als
verschiedentliche Ausflüge in höhere Regionen, aus denen nur Lorbeerduft zu holen
ist!
Die Sache mußte aber endlich
entschieden werden: entweder Laryngologie oder Schreiberei fürs Theater. Fest
entschlossen nahm eines Tages Professor
Schnitzler das
Anatol-Manuskript seines Sohnes und ging damit zu
Adolf
Sonnenthal, seinem alten Freund. Der las die
Anatol-Einakter mit Hingebung und kam nach einigen Tagen zum Professor, um
ihm zu sagen: »Lieber Freund,
absolut talentlos!«
Selbstverständlich hieß es nun für den jungen Herrn Artur bei der Medizin bleiben
und
brav weiter rackern. Kürzlich zeigte uns übrigens ein Arzt eine kleine Schrift, die
in jener Zeit entstanden ist und von deren Existenz die
Schnitzlerliteratur wohl kaum Kenntnis genommen hat. Sie
betitelt sich: »
Ueber die Behandlung von
Stimmbandlähmungen mittels Hypnose.« Als Verfasser zeichnet »Dr.
Artur Schnitzler, Assistent an der
Poliklinik«. Es wäre übrigens nicht uninteressant
zu erfahren, ob Dr.
Schnitzler auch tatsächlich
eine derartige Heilung bei einem Patienten versucht hat. Mit hypnotischen Mitteln
hat
er übrigens vor unseren Augen schon gearbeitet, aber als – Dichter, nicht als Arzt.
Es geschah dies im reizenden Einakter »
Die Frage an
das Schicksal«. Der Held versetzt sein Liebchen in hypnotischen Zustand, um
ganz wahrhaftig zu erfahren, ob ihm das Mädchen jemals untreu gewesen. Doch bevor
es
noch die ganze Wahrheit aus dem Halbschlaf ausplaudern kann, gerade in dem
Augenblick, in dem das entscheidende Ja oder Nein fallen könnte – erwacht das
Fräulein! Und ist ängstlich, ob sie sich nicht doch verraten habe. . . . Schluß: »Er« weiß nach wie vor nichts Gewisses. . . .
Wie gesagt, von
Sonnenthal aus war
Artur Schnitzler »absolut talentlos«. Niemand
ist jemals ob eines Irrtums so verlacht worden wie
Sonnenthal – von sich selbst. Er hatte
Schnitzler schon als Kind gekannt und vielleicht gerade deshalb an ihn nicht
geglaubt. Er hatte auch kein Auge gehabt für die eigentümliche, halb leichtlebige,
halb versonnene Gesellschaftsschichte, der dieser nachdenkliche Lebemann Anatol
entstammt. Das war eine ganz andere Klasse als die Bourgeoisie
Bauernfelds, in dessen Lustspielwelt
Sonnenthal aufgewachsen war.
Als dann
Burckhard dem jungen
Schnitzler die Pforte des
Burgtheaters öffnete und trotz des wilden Widerstandes
hochadeliger Funktionäre das Proletarierstück »
Liebelei« aufführte, da sprang
Sonnenthal gleich mit beiden Füßen ins Lager der Jungen. Sein Musikus rührte
ganz
Wien zu Tränen. Nur des Künstlers liebste
Freundin und Kollegin
Charlotte Wolter konnte
sich nicht beruhigen. Die Gestalt dieses Vaters – meinte sie – sei einfach eine
Ohrfeige fürs
Burgtheater. Ein Vater, der da
wisse, daß seine Tochter Beziehungen zu einem jungen Mann unterhalte, die nie zur
Ehe
führen können, der diese Tochter darob nicht niederschlägt und zum mindesten aus dem
Hause jagt, das sei kein Held, das sei eine abscheuerregende Erscheinung. Und doch
hatte der Dichter gerade in diesem alten Mann reinste Liebe und edelste
Lebensweisheit verkörpern wollen. Der greise Musikus will das junge Glück seiner
armen Tochter nicht zerstören, er weiß ja, er ahnt, es ist der erste und der letzte Sonnenstrahl, der in
ihr junges Leben fällt.
Aber es dauerte nicht lange und das Drama des
Wiener Mädels war aus dem
Burgtheater
verschwunden. Eine hohe Dame vom
Hofe verbannte es, nicht wegen der
wienerischen Heldin – gefallene Mädchen gibt es ja in so vielen
klassischen Dramen, von »
Faust« angefangen –
sondern wegen dieses verworfenen Vaters. In dem
Burgtheater jener halbvergangenen, unseren Augen aber heute wie tot
daliegenden Zeit konnte man nur Väter dulden wie jener edle
Odoardo Galotti, der sein Töchterchen erdolcht,
bevor der Sturm diese Rose noch entblättert hat.
Vor Jahren saß ich einmal bei
Schnitzler, als das
Stubenmädchen mit einer Visitkarte eintrat. »Haben Sie was dagegen, daß der Herr jetzt
eintrete?« fragte mich der Dichter und reichte mir die Karte. Ich las »
Salom Asch«. Es war der
russisch-jüdische Dichter, dessen Drama »
Gott der Rache« die deutsche Bühne sich erobert hatte. Ein
junger Mann, dunkles englisches Schnurrbärtchen, elegant, stellte der fremde Dichter
sich vor. Er drückte zunächst seine Freude aus,
Schnitzler seine Bewunderung bekennen zu dürfen. Er wolle ihm aber auch
einen kollegialen Rat geben: »Sie verstehen,« meinte Dr.
Asch lächelnd, »leider gar nicht, den Dieben das Handwerk zu
legen, die Sie bestehlen!« – »Da haben Sie recht,« meinte
Schnitzler. – »In
Rußland,« fuhr Dr.
Asch fort, »werden
Sie in hunderten Theatern gespielt, ohne daß die Direktoren Ihnen auch nur einen
Kreuzer bezahlen.« – »Da geschieht mir ein Unrecht,« meinte
Schnitzler in seiner geradezu naiven Weltfremdheit. – »Sie
sind aber schuld,« fuhr der fremde Dichter fort, »weil Sie Ihre Werke zuerst drucken lassen,
ehe Sie sich in
Rußland Ihr geistiges Eigentum gesichert haben. Machen Sie’s in Zukunft
umgekehrt, und die
russischen Direktoren werden
Ihnen dann Tantiemen zahlen müssen!« . . .
Schnitzler dankte seinem Besucher für den
kostbaren Rat.
Ich ging dann mit dem
russischen
Schriftsteller fort. In einem Ecksalon erkannten wir beide fast gleichzeitig
unter Glas und Rahmen die Schriftzüge
Goethes.
Wir traten näher, und richtig: Es war die Originalhandschrift des Unsterblichen – zwei
Zeilen mit wundervoll deutlicher Unterschrift, in
Karlsbad niedergeschrieben.
»Es ist mein kostbarster Hausschatz!« sagte Dr.
Schnitzler. »Ihn für Geld zu erwerben – so reich bin ich nicht. Aber mein
Freund und Kollege
Stephan Zweig hat mir
diesen Reichtum beschert. Ich schenkte ihm einst die Urschrift meiner »
Liebelei« und er erwiderte diese meine Aufmerksamkeit mit zwei Zeilen
Goethes. Hat je ein Freund an einem anderen
solche Großmut geübt?« schloß
Schnitzler. Und
wir beglückwünschen ihn zu seinem Besitz.
Julius Stern.