Arthur Schnitzler.
Zu seinem 60. Geburtstag am 15. Mai.
Von Dr. Friedrich Wallisch.
In der
Hasenauer Straße, draußen in
Hietzing, steigt von dem Rasenteppich, der den
Fahrweg begleitet, das dichte Blattwerk der Schlingpflanzen bis zu den Kronen der
Alleebäume auf. So fährt man zwischen zwei Mauern aus lebendigem Grün hindurch, wenn
man zu
Arthur Schnitzlers Wohnhaus in der
Sternwartestraße gelangen will.
In einem stillen Garten liegt das Haus. Vom Balkon sieht man auf die Kirchen und
Dächer der fernen, lärmenden Stadt.
Und
Schnitzler spricht. Alltägliches scheinbar,
und doch liegt in jedem Gedanken der Widerschein einer vornehmen Kultur, einer
durchleuchteten Geistigkeit:
»Die ganze Welt ist Stoff für den Dichter. Es handelt sich eigentlich nur darum, das
Ungeeignete auszuschalten.«
»Reinliche Trennung des Broterwerbs von der Kunst wäre das Ideal.«
Oder Persönliches. »Ich finde, daß sich der ärztliche Beruf sehr gut mit dem
schriftstellerischen verträgt. Ich selbst habe meine Praxis als Arzt nur ganz
allmählich abgestoßen. Es gab noch lange Zeit einige Familien, die mich immer noch
als Arzt haben wollten. Ich war vierzig
Jahre alt, als ich die Praxis gänzlich aufgab.«
Oder über das Schicksal seiner Werke: »Mein erstes Stück, das über die Bühne ging, war das »
Märchen«. Es erlebte nur zwei Aufführungen. Und wissen Sie, was mir N. N. (er nennt den Namen eines
Operettenlibrettisten) sagte? ›Wenn das Stück von mir wäre, hätte es eine Serie
erlebt.‹ Er ist ein besserer Geschäftsmann. Er hätte besser verstanden, sich in Szene
zu setzen. Das meinte er mit dieser Aeußerung.«
»Mein ›
Anatol‹ ist im Jahre
1892
erschienen. Der Zyklus als ganzes ist zum ersten Mal
1910 aufgeführt
worden, also fast zwanzig Jahre später!«
»Mancher Schriftsteller diktiert in die Schreibmaschine drauf los, und damit ist
seine Arbeit getan. Dann liest ers einmal durch oder auch nicht. Sehr oft hat man
den
Eindruck, daß ers nicht durchgelesen hat. Ich kann nicht so arbeiten. Meine ›
Liebelei‹ beispielsweise hat die verschiedensten
Wandlungen durchgemacht. Zuerst war sie ein Volksstück. Es gab keine Akte, sondern
eine Folge mehrerer Bilder. Die dämonische Frau kam auf die Bühne, ein Bild spielte
in der
Tanzstunde, kurzum, es
war ein ganz anderes Stück. Erst nach mehreren Umarbeitungen hat es die gegenwärtige
Gestalt bekommen. Mit dem ›
Weiten Land‹ ist es
mir ähnlich ergangen. Das Stück war auch anfangs eine lose Serie von Bildern. Aber
da
ist so etwas wie ein künstlerisches Gewissen in mir erwacht. Ich dachte mir: Wenn
ich
ein Stück schreibe, muß es auch eine einwandfreie Form haben und darf nicht so
bleiben, wie es mir im ersten Entwurf aus der Feder geflossen ist. Ich zog es in Akte
zusammen und sah, dass das ganz gut ging: denn es ist kein Zufall, daß die
Bühnenwerke die strenge Form der Akte besitzen. Das hat eine tiefe Begründung, eine
Berechtigung, die man nicht ohne weiteres verneinen darf.«. . . .
Erst jetzt, zu
Schnitzlers 60. Geburtstag, ist
die erste umfangreiche literarhistorische Studie über sein Schaffen veröffentlicht
worden.
Josef Körner geht in seinem im
Amalthea-Verlag erschienenen Buche »
Arthur Schnitzlers Gestalten und Probleme« einen aussichtsreichen neuen Weg. Er legt mit dem Werkzeug der
Psychoanalyse einen Querschnitt durch das Lebenswerk des Dichters. Gerade bei
Arthur Schnitzler ist diese Methode
vielversprechend. Einige wenige Gestalten und Motive beherrschen alle seine
Schöpfungen: Der oberflächlich genießende Lebemann, das süße Mädel, die dämonische
Frau, anderseits das geistige Wien der Jahrhundertwende oder allgemein menschliche
Probleme wie etwa die Trostlosigkeit des Suchens nach Wahrheit.
Obgleich
Körners
Schnitzler-Buch eine treffliche,
tiefgründige Arbeit ist, vermisse ich darin denn doch das Letzte, den wahren und
einzigen Schlüssel zum vollen Verständnis dieses Dichters: die innere Einstellung
auf
Schnitzlers
Wienertum.
Und ich fürchte, daß es einer großen literarhistorischen Distanz bedürfen wird, nur
Schnitzler – jenseits der häßlich aktuellen
Aeußerlichkeiten, an denen er, der Vornehmsten und Stillsten einer, keine Schuld
trägt! – in seiner ganzen dichterischen Größe zu erkennen. Aber gerechtermaßen sollte
auch unsere Generation bereits wissen, daß er
der Wiener
Dichter ist. Und daß seinen Dichtungen, beispielsweise seiner »
Liebelei«, durchaus die Wertung einer klassischen Schöpfung
gebührt. Als Schlüssel zu
Schnitzlers Schaffen
sollten die gleichen Worte gelten, mit denen
Grillparzer sich selbst gekennzeichnet hat: