(Ein Brief aus dem Jahre 1892
1).
Von Arthur Schnitzler.
Verehrtester Freund,
eine Ahnung muß ich doch immer gehabt haben, daß wir einander einmal näher kommen,
daß Sie mich sogar loben werden; denn es ist merkwürdig, mit welcher Präzision mir
die einzelnen Etappen unserer kurzatmigen Bekanntschaft im Gedächtnis geblieben
sind.
Ich weiß noch – »als ich zum erstenmal Dich sah« – das war in der
akademischen Lesehalle. Sie hielten eine Rede und waren
»scharf« – in einer Weise scharf! Ich befand mich in Ihrer Nähe und hatte die
Empfindung, als wenn Sie mich mit einem gewissen milden Sarkasmus betrachteten; Sie
lächelten ironisch – und ich begann Sie zu beneiden. »Wer so reden und so lächeln
könnte«, dachte ich mir. Bald darauf hörte ich noch mehr von Ihnen: im Kaffeehaus,
das ich viel eifriger besuchte als die politischen Diskussionen und Wahlabende der
Lesehalle, und wo Sie eines beträchtlichen
Rufes als Dominospieler (hauptsächlich im blinden Domino, wie ich leider hinzufügen muß) genossen. Einige Schöngeister
sprachen übrigens bereits von Ihrer Bedeutung als dreiaktiger Lustspieldichter.
Wollen Sie einen Beweis für meine literarhistorische Begabung? Ich weiß noch genau,
daß
Siegfried Wertheimer der erste war, der
mir von dem
Dichter Herzl sprach. Bald darauf lernte ich Sie
persönlich kennen und las zwei Ihrer
Stücke im Manuskript: »
Tabarin« und ein zweites –
hieß es nicht »Die Aufgeregten«?
Und wieder beneidete ich Sie – wer solche Stücke schreiben könnte – (damals schrieb
ich nämlich ganz bestimmt schlechtere Stücke als Sie). Aber die ganze Studentenzeit
verstrich, ohne daß wir ein Verhältnis zueinander finden konnten – offenbar, wie mir
Ihre letzten Zeilen beweisen – weil ich für Sie zu arrogant war! – In
Kammer habe ich Sie dann gesprochen, als
wir schon beide Doktoren waren; Sie waren von einem Kreis hübscher junger Frauen
umgeben – und wieder habe ich Sie – hoffentlich nicht ganz ohne Grund – beneidet.
Und
auch damals lächelten Sie ironisch! – Und wieder verließ ich Sie in jener gedrückten
Stimmung, die man Leuten gegenüber hat, die einem auf derselben Straße zwanzig
Schritte weit vorauslaufen.
An diese Erinnerung aber reiht sich eine von Ihnen, die, über das Persönliche weit
hinausgehend, in einer Geschichte der modernen Literatur als kleingedruckte Anmerkung
einen sicheren Platz verdiente. Das neue
Burgtheater war noch im Bau; wir spazierten an einem Spätherbstabende vor dem Bretterzaun auf und ab.
Natürlich hatten wir uns zufällig getroffen – da es uns ja bis heute noch nicht
gegönnt war, uns je absichtlich zu begegnen. Da sagten Sie, mit einem
bescheiden-erobernden Blick, der auf den emporsteigenden Mauern ruhen blieb: da komm’
ich einmal hinein! Ja, mein lieber Freund, damals wär’s der Moment gewesen, mich für
Ihr vielfaches ironisches Lächeln einmal pauschaliter mittelst eines grausen
Hohnlachens zu revanchieren – ich blieb jedoch stumm; ich kann es nicht leugnen, Sie
haben mir damals mehr imponiert als je. Sie werden begreifen, daß ich diese kleine
Geschichte, welche von den Tatsachen zum Rang einer Anekdote emporgehoben wurde,
jedem Menschen erzähle, der den Namen »
Theodor
Herzl« ausspricht. Sie ist aber so wahrscheinlich, daß sie alle Welt für
erfunden hält.
Ich erinnere mich noch meines letzten Zusammentreffens mit Ihnen – auf irgend einem Ball, in einer Nacht, wie Sie schon
lange, aber schon sehr lange ein berühmter Mann waren, während ich an mir, an meinem
Beruf – an beiden! – verzweifelnd, von niemand eigentlich ernst genommen, meinen
Ehrgeiz als guter Gesellschafter und Demimondainer (in
Bourget’s Sinne ) zu
befriedigen suchte. Ich war an jenem Abend besonders gut gelaunt und, wie ich
glaubte, namenlos elegant. Da erschienen Sie. Mit ruhigen, überlegenen Augen prüften
Sie meine Krawatte und – vernichteten mich. Wissen Sie, was Sie sagten? – »Und ich
hielt Sie für einen
Brummel!!!« – Ich hatte die deutliche
Empfindung, in Ungnade gefallen zu sein. Es war klar, daß ich lernen mußte, meine
Krawatten besser zu knüpfen oder doch wenigstens auf einem andern Gebiete etwas
Hervorragendes zu leisten. In kühnen Momenten vermaß ich mich, beiden Zielen
zuzustreben; vielleicht werde ich Sie auch einmal von meiner Krawattenknüpfbegabung
zu überzeugen Gelegenheit haben?
Und wenn ich nun heute bedenke, daß Sie offenbar darum mit mir nicht verkehren
konnten – weil ich Ihnen dünkelhaft vorkam! Und gar Ihnen gegenüber! Ich, der sich
die »
Causa Hirschkorn« aus der Leihbibliothek,
das »
Neue von der Venus« von einem guten
Bekannten ausgeliehen, und der sich das »
Buch der
Narrheit« sogar gekauft hat, als es eines Tages in einer Auslage um 15
Kreuzer sichtbar wurde. Ich, der zwar vom »
Flüchtling«
behauptete, er könne durch die
Burgtheaterbesetzung gehalten werden, der aber bei den »
Prinzen aus Genieland« die Ansicht verfocht, daß Sie im
Carl-Theater zu Grund gespielt wurden. – Ich weiß nicht, ob
es mir mit dem Bisherigen gelungen ist, Ihnen gerade das zu sagen, was ich Ihnen
sagen will: daß es wahrhaftig nicht viele Menschen auf der Welt gibt, auf deren
Urteil ich den gleichen Wert legen möchte wie auf Ihre. Ermessen Sie daraus, wie sehr
mich Ihre freundliche Anerkennung gefreut und wie wohltuend mich besonders der
warme und weiche Ton berührt hat, mit welchem Sie zu mir sprechen. Daß ich Ihnen aber
auch persönlich sympathisch geworden bin, kann ich unmöglich der Bekanntschaft mit
meinem
Stück allein
zuschreiben: da hat gewiß mein Freund
Paul, der beste und liebenswürdigste der Menschen, das
seinige dazu getan.
Ich sage Ihnen für heute Adieu, verehrter Freund, und bitte Sie, meiner herzlichen
Ergebenheit für alle Zeit versichert zu sein.
Ihr
Arthur Schnitzler.